Ausnahmezustand am
Sonnabend im Hamburger Stadtteil Winterhude: Etwa 1.000 Neonazis aus dem
gesamten Bundesgebiet waren in der Elbmetropole eingetroffen, um gegen die
gehasste "Schandaussstellung" über die Deutsche Wehrmacht des Instituts für
Sozialforschung in den Kampnagel-Hallen zu marschieren. Mit massiven
Schlagstock- und Wasserwerfereinsätzen löste die Polizei eine antifaschistische
Gegendemo mit mehr als 4.000 Teilnehmern auf. "Die Einsatzkräfte sind mit
selbstgebastelten Feuerwerkskörpern beschossen worden", versuchte ein
Einsatzführer das harsche Vorgehen gegenüber der taz zu rechtfertigen. "Die
Werfer gehörten zu keiner bekannten Gruppe. Es wäre nicht das erste Mal, dass
solche agents provocateurs staatliches Salär beziehen", erklärten hingegen die
Veranstalter.
Zum Protest hatten
von der Antifa über ASten bis zu Gewerkschaften aufgerufen. Dass es unter den
Antifaschisten Provokateure gab, hatte sich früh gezeigt: Eine autonome Gruppe
"Antideutscher" versuchte sich mit Israel-Fahnen an die Demospitze zu mogeln.
Als es Unmut darüber gab, prügelten sie um sich.
Derweil scheute
die Polizei keine logistischen Mühen, dem braunen Mob den Marsch des
"Aktionsbüros Norddeutschlands" ins Ex-Arbeiterviertel "Jarrestadt" zu
ermöglichen. So wurden zwei Hochbahn-Sonderzüge bereitgestellt und sonstiger
öffentlicher Verkehr stillgelegt.
Während des kurzen
Naziaufmarsches in die "Jarrestadt" - angeführt von der Kameradschaft Nordheim
und der NPD Hannover - herrschte eine gereizte Stimmung: Mehrere Male griffen
Nazischläger protestierende Anwohner an, die Banner entrollt hatten: "Nazis raus
aus der Jarrestadt". Die Polizei musste mehrfach dazwischengehen, bis sie den
Aufmarsch vor den Kampnagel-Hallen stoppte. Da fast alle Reden wegen der lauten
Proteste nicht zu hören waren, posierten Neonazis medienwirksam nach dem Vorbild
ihres Idols Michael Kühnen mit Esel- und Schafsmasken: "Ich bin ein Esel, weil
ich immer noch glaube, dass die Deutsche Wehrmacht Verbrechen begangen hat."
Wenige hundert
Meter Luftline entfernt ging es derweil auf der parallel verlaufenden
Antifa-Demo chaotisch zu. Kaum hatte der Marsch von 4.000 Menschen unter dem
Motto "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" den
Abschlusskundgebungsplatz erreicht, setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Einige
der Teilnehmer wurden von den Fontänen der sechs Wasserwerfer umgeschossen.
Viele versuchten sich in Hauseingängen zu schützen, andere stemmten sich gegen
die Wassermassen.
Den Versuch der
Ausschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, mit einer Rede zu schlichten,
verhinderte jedoch die Polizei. Einsatzkräfte stürmten zum Lautsprecherwagen und
beschlagnahmten das Stromaggregat. "Ich hätte nie gedacht", empörte sich
Bejarano, "dass mir die Polizei das Wort abschneiden würde". Immer wieder
richtete die Polizei die Wasserwerfer auf die Kundgebung und drängte die
Teilnehmer zurück. Kaum stoppte der Wasserbeschuss, liefen Einsatzkräfte auf die
überwiegend jugendlichen Demonstranten zu, schlugen mit Schlagstöcken auf sie
ein, versprühten Pfefferspray und griffen einzelne Personen heraus.
"Wir fordern die
Polizeiführung auf, sofort mit dem Einsatz aufzuhören. Wir ziehen uns zurück",
bot die Demonstrationsleitung mehrmals vergeblich mit Hilfe der zweiten, noch
intakten Lautsprecheranlage an. Die Polizeieinsatzleitung nahm das Angebot
jedoch nicht an.
Als stattdessen
die Wasserwerfer wieder angeworfen wurden und Beamte erneut auf Demonstranten
einzuschlagen begannen, warfen diese Straßenabsperrungen, Verkehrsschilder,
Mülltonnen und Bauschutt auf die Straße. Einige Polizisten setzten daraufhin nur
zögerlich die Befehle um, die Demonstranten wegzutreiben und die Straße
freizuräumen. "Los jetzt!", musste ein Einsatzleiter des Öfteren seinen Zug
auffordern.
Die Veranstalter der Demo kündigten an, gegen die für den massiven
Polizeieinsatz Verantwortlichen rechtliche Schritte einzuleiten.