Viele Leute kamen nicht zu der Kundgebung der Grünen
in Gera am vorigen Donnerstag. Gerade mal 50 Personen waren es, die dem Aufruf
der Partei unter dem Motto: »Saufen, prügeln, töten – rechte Unkultur und ihre
Anhänger« folgten. Anlass war die Ermordung des Aussiedlers Oleg V.
In der Nacht vom 20. zum 21. Januar war er von
vier Tätern im Alter von 14 bis 19 Jahren in ein Wäldchen inmitten des
Neubauviertels Biblach-Ost im Norden Geras gelockt worden, wo sie ihn erst mit
eine Bierflasche von hinten auf den Kopf schlugen und ihn dann mit Fäusten,
Füßen, einem Messer und einem Hammer auf brutale Weise töteten.
Noch am 21. Januar verhaftete die Polizei die
vier Tatverdächtigen. Sie legten ein Geständnis ab. Bis auf den 14jährigen sind
alle Täter bereits unter anderem wegen Körperverletzung, Raub und Einbrüchen
vorbestraft. Auslöser der Tat sei ein Streit mit dem Opfer gewesen, der
aufgekommen sei, als man in der Wohnung eines Täters getrunken habe, erklärte
Matthias Klitzsch von der Geraer Kriminalpolizei.
Oleg V. ist nicht der einzige Tote in diesem
Zusammenhang. Spätestens seit dem 5. Februar hat sich die Situation in Gera noch
einmal verschärft. An diesem Tag geriet der 19jährige Bundeswehrsoldat Marcel W.
bei einer Schlägerei mit einem 18jährigen Armenier an einer Haltestelle unter
eine Straßenbahn und starb noch dort. Der Auseinandersetzung sei ein Streit
zwischen dem wegen Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung
polizeilich bekannten Obergefreiten und zwei weiteren Deutschen einerseits und
dem Armenier andererseits vorausgegangen. Es sei nicht auszuschließen, dass die
drei Deutschen den Armenier zuvor in ausländerfeindlicher Weise beschimpft
hätten, räumten der Leitende Oberstaatsanwalt Raimund Sauter und der
Polizeidirektor Lothar Kissel diesmal ein.
Am Tag darauf hielten 25 Rechte am Ort des
Geschehens eine Mahnwache ab. Sie hielten ein Transparent hoch, auf dem stand:
»Marcel, wir trauern um Dich! Kriminelle Ausländer raus! Elsterfront«. Die
Polizei war nach Angaben des Geraer Bündnisses gegen Rechts zwar über die
Mahnwache informiert, aber nicht anwesend, mit der Begründung, es handle sich
nicht um »erkennbar rechtsextreme Jugendliche«.
Christel Wagner-Schurwanz von der Thüringer
Opferberatungsstelle Abad kritisiert die Darstellung der Geraer Polizei im Falle
Oleg V. »Die Behörden stellen den Mord als Beziehungstat heraus, um einen
möglichen rassistischen Hintergrund herunterzuspielen«, sagt sie. In Gera habe
es ständig Übergriffe von Rechten auf Aussiedler gegeben. Durch ihre Arbeit bei
Abad habe sie schrittweise das Vertrauen der Opfer gewonnen und so von immer
mehr Übergriffen erfahren, die sonst nie aufgedeckt worden wären.
Ein Sprecher des Geraer Bündnisses gegen Rechts
sagte der Jungle World, nach Aussagen von Jugendlichen seien die Mörder von Oleg
V. sowohl durch ihre Kleidung als auch durch ihr Umfeld der rechten Szene
zuzuordnen. Der Polizeidirektor Lothar Kissel hingegen verneinte in einem
Interview mit der Ostthüringer Zeitung (OTZ) jegliche Anhaltspunkte für ein
politisches Mordmotiv. »Die unbewiesenen Behauptungen der linksautonomen Gruppen
sind in hohem Maße geeignet, unserer Region den Stempel politischer
Gewalttätigkeit aufzudrücken und werden in keiner Weise der Realität gerecht.«
Wie Kissel kritisierte auch der parteilose Geraer
Oberbürgermeister Ralf Rauch in der OTZ die Proteste nach dem Mord, etwa die
Antifa-Demonstration vom 1. Februar. Die Stadt wolle in der Jugendarbeit den
Extremismus aller Schattierungen eindämmen. Das besonnene Vorgehen der Polizei
bei der Demonstration sei lobenwert gewesen. Teilnehmer der Demonstration
hingegen berichten, die Polizei habe rechte Provokationen am Rande des
Protestzuges geduldet. Rechte Anti-Antifaaktivisten hätten ungeniert aus
nächster Nähe Demonstranten fotografieren können. Das Gleiche soll bei der
Kundgebung der Grünen am vorigen Donnerstag auch vorgekommen sein.
Dieser Kundgebung stand Mike Huster, ein Mitglied
der Geraer Stadtratsfraktion der PDS, sowieso skeptisch gegenüber. Er sagte der
Jungle World: »Die Situation hat sich hochgeschaukelt.« Das Motto der Kundgebung
teile er nicht. »Das ist eine Zuspitzung, die eine weitere Konfrontation
fördert. Die Rechten haben ihre Schwerpunkte, ich wehre mich aber gegen eine
Reduzierung der Stadt Gera auf ein Nazinest. Polizeidirektor und Bürgermeister
haben sich deppert geäußert.«
Auch viele Bürger denken so, wenn sie sich
überhaupt für die Vorfälle interessieren. »In Gera wollen die Leute erstmal
alles ganz genau wissen«, erklärt ein Antifaaktivist. »Die fragen: Waren das
wirklich Nazis? Stimmt das denn?« Am besten solle man erst über den Mord reden,
wenn ein rechtskräftiges Urteil gefällt sei. Viele wollten einfach nicht
glauben, was da in ihrer Stadt geschehe.
Seit Jahren existiert in Gera eine fest
etablierte Neonaziszene, die auch unterstützt wird von einem latenten
alltäglichen Rassismus. Im Juni vergangenen Jahres konnte die NPD in einem Park
im Stadtzentrum ein Open-Air-Konzert unter dem Titel »Rock gegen Krieg«
veranstalten. In der Stadt mit den 115 000 Einwohnern gibt es mehrere rechte
Kneipen, Modeläden und Musikvertriebe.
Es kommt auch immer wieder zu Übergriffen auf
Flüchtlinge und auf Linke, Passanten greifen meist nicht ein. Und auf die
Polizei ist sowieso nicht zu hoffen. Die Antifaschistische Aktion Gera berichtet
sogar davon, dass im Februar vorigen Jahres Kurden festgenommen worden seien,
die sich gegen Neonazis zur Wehr gesetzt hätten. Und erst vor zwei Wochen sei
ein Linker mitten in der Stadt von einem Rechtsextremen angegriffen worden,
erzählt der Antifaaktivist weiter. Trotz eines telefonischen Hilferufes sei die
Polizei nicht gekommen. Als der Betroffene sich in einem zweiten Anruf darüber
beschwert habe, sei ihm von einem Beamten mit einer Anzeige gedroht worden.
Auch mit Flüchtlingen geht die Polizei in Gera
nicht sonderlich zimperlich um. Die Residenzpflicht verwehrte den Flüchtlingen
aus dem einen halben Kilometer von Gera entfernten Markersdorf den Aufenthalt in
Gera, bis die Proteste das im Sommer 2003 änderten. Abad hatte die Schikanen der
Geraer Polizei gegen Flüchtlinge an die Öffentlichkeit gebracht.
»Ständig wurden an bestimmten Orten die
Flüchtlinge von der Polizei in Streifenwagen gezogen und abtransportiert«, sagt
Wagner-Schürwanz. In einem Gespräch mit ihr habe der Polizeidirektor Kissel
gesagt, die Vertreter der Flüchtlinge sollten sich nicht wundern. Die Polizei
sehe ausländische Menschen als besonders Kriminelle an, die härter verfolgt
werden müssten.
Christel Wagner-Schürwanz will sich in diesen Tagen mit den Angehörigen von Oleg
V. treffen. »Ich versuche so gut es geht, die Arbeit der letzten beiden Jahre
ehrenamtlich weiterzuführen.« Seit Anfang 2004 gibt es für Abad keine
Finanzierung durch die Bundesstiftung Civitas mehr. Der Grund: Die Thüringer
Landesregierung verweigerte ihre Einschätzung der Arbeit der
Flüchtlingsberatung. Das Motto der Landesregierung sei: »Lobbyarbeit für
Flüchtlinge, so etwas macht man in Thüringen nicht.«
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