Eine Frage wird derzeit gern von Journalisten und Politikern
gestellt: »Wird der 21. März zum 21. April?« Nicht, dass dem französischen
Kalender revolutionäre Umwälzungen bevor stünden. Am Tag des diesjährigen
Frühlingsbeginns werden in ganz Frankreich alle Regional- und ein Teil der
Bezirksparlamente neu gewählt. Eine Woche später findet ein zweiter Wahlgang
statt.
Der 21. April wiederum verweist auf die
Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren. Damals waren der bürgerliche Amtsinhaber
Jacques Chirac und der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen als
bestplatzierte Kandidaten aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen.
Für viele Franzosen und Französinnen war das ein Schock.
Sollte sich so etwas jetzt in einigen französischen Regionen wiederholen? Daran
glauben derzeit einige Beobachter. Noch weiter verbreitet ist jedoch die
Annahme, dass die extreme Rechte zumindest hohe Wahlergebnisse in einigen
Regionen und im Landesdurchschnitt erzielen werde.
Die klarste Parallele zur Konstellation der
Präsidentschaftswahl von 2002 zog der Chefredakteur von Le Monde, Jean-Marie
Colombani. Im Januar warnte er in einem Leitartikel davor, die Debatte rund um
das Gesetz zum Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen – das vorige Woche in
erster Lesung verabschiedet wurde (Jungle World, 8/04) – öffne eine »wahrhafte
Büchse der Pandora«. Der liberale Journalist sieht die Eile, mit der die
Konservativen gesetzgeberisch aktiv wurden, im Zusammenhang mit den anstehenden
Regional- und Bezirkswahlen.
»Alle haben gesehen, wie das Ausweiden des Themas ›Innere
Sicherheit‹ der extremen Rechten genutzt hat«, unterstrich Colombani mit Blick
auf 2002. »Sie wird erneut an Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage der
›kulturellen Identität‹ in den Mittelpunkt der innenpolitischen Debatte gerückt
ist.« Colombani zufolge herrscht bei den Konservativen ein politisches Kalkül:
Bleibe die extreme Rechte als einzige starke Alternative übrig, dann könne das
die Konservativen über die Wahlen retten, wie bereits vor zwei Jahren Chirac.
Nicht sicher ist jedoch, ob die extreme Rechte zugleich
auch in der Lage sein wird, eine französische Region zu regieren. Diesen
Anspruch erhebt sie vorab besonders im südostfranzösischen Paca (Provence –
Alpes – Côte d’Azur), wo der alternde Parteigründer des Front National,
Jean-Marie Le Pen, persönlich antritt. Vielleicht hat allerdings Le Pen sich
selbst ein Bein gestellt, da er es versäumt hat, sich in der Region anzumelden.
Mitte voriger Woche rief er ein Verwaltungsgericht an, um klären zu lassen, ob
er überhaupt in Paca antreten kann.
Das Klima erscheint günstig für den FN, dessen
Umfragewerte tatsächlich steigen und bereits die 15-Prozent-Marke überschritten
haben. Nachdem die »Kopftuch-Debatte« seit Anfang Dezember fast alle sonstigen
innenpolitischen Diskussionen überlagert hatte, kommt nun auch ein zweites Thema
dem FN entgegen.
Ganz Frankreich hat in den letzten zwei Wochen verfolgt,
wie der frühere Premierminister Alain Juppé von einem Gericht in Nanterre wegen
illegaler Parteifinanzierung verurteilt wurde, woraufhin seine konservativen
Parteifreunde ein Rührstück rund um das »Justizopfer« inszenierten und die
Richter offen herausforderten. Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte
öffentlich gewünscht, im Berufungsverfahren in einigen Monaten vor einem
Versailler Gericht möge »das Urteil anders ausfallen«, was eine offene
Einmischung der Exekutive in die Angelegenheit der Judikative darstellt.
Da braucht der FN gar nicht mehr laut »Korruption« zu
rufen, um Gehör zu finden. Zwei Drittel der Franzosen, so ergab eine Befragung
im Auftrag von Le Monde, wollen derzeit »Protest wählen« oder abstimmen, um die
Regierung »abzustrafen«. Mit Ausnahme der konservativen UMP wollen fast alle
Parteien aus dem Regional- eine nationale Testwahl machen.
Die etablierten Linksparteien befinden sich dabei aber
ebenfalls in einem schlechten Zustand. Die Sozialdemokratie hat sich noch immer
nicht von der verheerenden Wahlniederlage ihrer Präsidentschaftshoffnung Lionel
Jospin erholt. Dass sie ernsthafte Alternativen anböte, kann sie kaum ernsthaft
behaupten. Die Konservativen weisen meist nur darauf hin, dass die Sozialisten
nachweislich dieselben Rezepte zur Krisenbewältigung gehabt hätten, aber nur »zu
feige gewesen sind, um die Reformen durchzusetzen, auch wenn sie unpopulär
sind«.
Das tut die derzeitige Regierung gewiss, oft in brachialer
Form. Allen möglichen sozialen Gruppen wird derzeit signalisiert, dass ihre
einstmaligen sozialen Errungenschaften systematisch zur Disposition gestellt
werden, und dass es dabei nichts zu verhandeln gibt.
Doch die Widerstände bleiben noch voneinander isoliert,
zumal die Niederlage angesichts der so genannten Rentenreform im Sommer 2003 –
bis zu zwei Millionen Menschen hatten damals dagegen demonstriert – hat Spuren
in Form einer Demoralisierung vieler Kampfeswilligen hinterlassen. Eine
mitreißende, kämpferische Alternative zur knallharten sozialen Krisenverwaltung
stößt daher derzeit auf ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dennoch bieten sich auch
Alternativen links von den Sozialdemokraten an.
Die Kommunistische Partei, die unter Jospin fünf Jahre
lang mitregiert hatte, steckt tiefer in der Krise denn je. In einigen Regionen
tritt sie von vornherein auf Einheitslisten mit den Sozialdemokraten an, um
wenigstens ihre lokalen und regionalen Mandate retten zu können. Im Großraum
Paris wiederum tritt sie mit Vertretern aus sozialen Bewegungen, etwa Claire
Villiers aus der Arbeitslosen-Selbstorganisation AC!, auf einer gemischten Liste
an. Weiter links treten die beiden trotzkistischen Parteien mit
unterschiedlichem Profil, die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und Lutte
Ouvrière (Arbeiterkampf, LO), mit gemeinsamen Listen an, denen bisher sechs bis
sieben Prozent der Stimmen vorausgesagt werden.
Für einen Sitz in einem Regionalparlament wird das jedoch wahrscheinlich nicht
reichen. Denn vor einem Jahr hat die Raffarin-Regierung auch das Wahlrecht
geändern. Jetzt benötigt eine Liste stattliche zehn Prozent der Stimmen, um
überhaupt noch in den zweiten Wahlgang zu kommen. Und in der Stichwahl erhält
die bestplatzierte Liste von vornherein ein Paket von Sitzen als »Siegerprämie«,
das ihr zur Mehrheitsfähigkeit verhelfen soll. Raffarin hatte damals die
Wahlrechtsreform zugunsten der großen Parteien damit gerechtfertigt, sie bilde
einen Sperrriegel für den FN. Doch jetzt wird befürchtet, in einzelnen Regionen
könnte auch der von der Reform profitieren. Falls er denn, etwa in Paca, die
Konservativen und die Sozialdemokraten überholen könnte.