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Alan Bullock:
Porträtist der Tyrannen

Alan Bullock ist tot. Berühmt wurde der sozial engagierte Intellektuelle als erster Hitler-Biograf. Noch im hohen Alter beleuchtete er die "Parallelen Leben" von Hitler und Stalin...

Christian Semler

Diesen Montag starb im gesegneten Alter von 89 Jahren der Historiker Lord Bullock of Leafild, seinem nach Millionen zählenden Lesepubikum besser bekannt unter dem Namen Alan Bullock. Seine Arbeit als Forscher und Lehrer der Zeitgeschichte umspannte ein halbes Jahrhundert.

 

Der Vorhang dieser glanzvollen Karriere hob sich 1952 mit der Hitler-Biografie "Hitler, A Study in Tyranny". Dieses Werk basierte auf dem Studium der Nürnberger Prozessakten gegen die nazistischen Hauptkriegsverbrecher. Da diese Akten weit über ihren Nutzen als Prozessunterlage eine erstrangige historische Quelle darstellen, wurde Bullocks Arbeit zu einem historischen Pionierunternehmen. Allerdings waren viele der Dokumente, die zur Aufklärung von Hitlers Charakter und Rolle beitragen, damals nicht bekannt, sodass das Werk heute sicher in Teilen durch die Forschung überholt ist. Es zeichnet sich aber nach wie vor dadurch aus, dass es Hitler weder zum Alleinschuldigen dämonisiert noch ihn im Getriebe miteinander rivalisierender Cliquen und Apparate quasi als Nullstelle porträtiert. Schon Bullock stellte sich die Frage, die eine Generation später im Zentrum des biografischen Werks seines britischen Kollegen Ian Kershaw stand: Wie konnte es kommen, dass Millionen Menschen dieser Witzfigur nachliefen? Von Bullocks Hitler-Biografie aus führt ein Weg zu den späteren Forschungen, die den Tyrannen innerhalb der sozial und psychologisch in der Epoche wirksamen geschichtlichen Triebkräfte porträtierten.

 

Bullock kehrte immer wieder zum Thema tyrannischer Herrschaft im 20. Jahrhundert zurück, um schließlich, schon im hohen Alter, sein Werk "Hitler und Stalin - Parallele Leben" vorzulegen. Diese Arbeit versteht sich ausdrücklich nicht als Beitrag zur vergleichenden Forschung totalitärer Systeme, wie schon der Begriff "Parallele" nahe legt. Sowohl ähnliche als auch vollkommen unterschiedliche Charakterzüge in den Persönlichkeiten wie den Herrschaftssystemen werden aufgezeigt und durch diese gegenseitige Beleuchtung unsere Einsicht bereichert.

 

Befragt, mit wem er lieber ein Wochenende verbracht hätte, mit Hitler oder mit Stalin, antwortete er prompt: "Hitler. Zwar wäre das extrem langweilig geworden, aber ich hätte eine größere Chance gehabt, lebendig wieder nach Hause zu kommen." Eine fragwürdige Anekdote, denn Bullock firmierte nicht auf Hitlers Vernichtungsliste. Aber instruktiv insofern, als sie Stalins umfassende, stets zuschlagsbereite Paranoia beleuchtet.

 

Bullock verweigert sich der Frage, ob es jenseits der oberflächlichen, politisch motivierten Gleichheitszeichen rot = braun nicht doch gemeinsame, in der Entwicklung der europäischen Moderne wurzelnde Ursachen der tyrannischen Regime gibt. Das wäre nach seiner Meinung Geschichtsphilosophie gewesen.

Bullock war ein auf Seiten der Labour Party engagierter Intellektueller. Sein politisches Hauptinteresse galt der Partizipation der Arbeiter im industriellen Prozess, der "industrial democracy". Dieses Thema wird heute nicht nur bei New Labour als toter Hund traktiert, was Bullock deprimierte, aber in seinem sozialen Engagement nicht lahm legte. Auch hinsichtlich der Universitätsreform hat er, der unermüdliche Komitee-Gründer, einiges geleistet, zum Beispiel den Aufbau des St. Catharine College (ursprünglich eine Einrichtung für Studis, die zu arm waren, um sich ein reguläres Studium leisten zu können) zu einer vollwertigen Institution. Es gelang ihm sogar, hierfür potente Geldgeber aufzureißen. Welcher deutsche Zeithistoriker könnte schon ein solches Verdienst für sich in Anspruch nehmen?

die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 04.02.2004

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