Auch in der
Fotografiegeschichte Hamburgs gibt es weiße Flecken. Auf eine eklatante Lücke
machen jetzt eine Ausstellung und eine begleitende Buchveröffentlichung
aufmerksam: Erstmalig nach ihrer Vertreibung aus Deutschland erfahren die
Fotografen Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg eine
umfassende öffentliche Würdigung. Wilfried Weinke, der zuvor drei Jahre lang die
Biografien der vier recherchiert hat, hat damit überhaupt erst die
Voraussetzungen dafür geschaffen, die von den Nazis als Juden verfolgten
Künstler der Fotografiegeschichte der Hansestadt zuzurechnen.
Diese Geschichte
wurde bisher, wie viele andere, erstens unter weitgehender Auslassung der Jahre
zwischen 1933 und 1945 geschrieben. Und zweitens finden in ihr Fotografen wie
die vier in der Ausstellung präsentierten kaum einmal Erwähnung. Wenn doch, dann
entweder ohne einen Satz zu ihrer Verfolgungsgeschichte oder mit gänzlich
falschen biografischen Angaben, mindestens aber unter verharmlosenden
Formulierungen, was ihre erzwungene Emigration angeht: als sei es eine
"Urlaubsreise" gewesen, wie Weinke in seinem einführenden Beitrag zum Buch
anmerkt.
Alle vier besaßen
ein Studio in Hamburg, in dem sie in erster Linie Porträtfotos anfertigten. Bis
1933 kam kaum eine Zeitung ohne ihre Fotografien aus. Zu Biebers Kunden zählten
Albert Ballin, Max Warburg, Bürgermeister Mönckeberg oder der Schauspieler Emil
Jannings, auch Kaiser Wilhelm II. ließ sich von Bieber fotografieren. Sein Name
galt den gehobenen Klassen lange Jahre als Markenbegriff für ausgezeichnete
Porträtfotografie. Von Halberstadt, der in erster Ehe mit Sigmund Freuds Tochter
Sophie verheiratet war, stammen unter anderem einige noch heute für
Publikationen verwendete Porträts des Psychoanalytikers.
Emil Kastan, der
jüngste der vier, hatte sich auf Fotografien von Hamburger Bühnenkünstlern
spezialisiert. Und Kurt Schallenberg schließlich, von dem ebenfalls einige
Bürgermeisterporträts stammen, war Gründer der Gesellschaft Deutscher
Lichtbildner (GDL).
Anfang der 50er
Jahre erreichte Schallenberg, der seit 1939 in Australien unter dem Namen
Shalley arbeitete, ein Schreiben der GDL, man wolle ihn zum Mitglied
"ehrenhalber" machen. An einen Freund schrieb er später: "Ich habe die Sache nur
angenommen unter der Bedingung, daß keines der Vorstandsmitglieder sich aktiv in
einer Nazi-Organisation betätigt hatte. Nachher habe ich nichts mehr von der GDL
gehört." Ihre jüdischen Mitglieder hatte die GDL schon im Mai 1935
ausgeschlossen.
Ins Ausland
konnten sich auch Schallenbergs drei Kollegen retten, nachdem sie ihrer
Arbeitsmöglichkeiten sukzessive beraubt und schließlich zur Geschäftsaufgabe
gezwungen worden waren. Wo möglich, präsentiert die Ausstellung auch Fotografien
der vier aus Australien, Südafrika oder aus den USA. Doch im Zentrum stehen die
fotografischen Arbeiten aus ihrer Hamburger Zeit. An Originalen oder stark
vergrößerten Aufnahmen lassen sich Technik und Formwillen der vier Fotografen
studieren.
Einige Dokumente
zeugen zusätzlich von ihrer Verfolgung durch die Nazis. Wer Ausführliches über
die Biografien erfahren möchte oder mehr zur Vergangenheit des langjährigen
Leiters der Staatlichen Landesbildstelle Hamburg, Fritz Kempe, als Fotograf in
den Propagandakompanien Goebbels, sollte sich zusätzlich den Begleitband
vornehmen. " Jana Babendererde
Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen. Die Fotografen Emil Bieber, Max
Halberstadt, Erich Kastan, Kurt Schallenberg. Geöffnet 11-18 Uhr, Altonaer
Museum, Hamburg; bis 12. April. Begleitbuch von Wilfried Weinke, Kunstverlag
Weingarten 2003, 303 S., 29 Euro