Eine Stadt auf der Schwäbischen
Alb ehrt ein ehemaliges NSDAP-Mitglied und lädt dazu einen ehemaligen
Nazi-Marinerichter ein. Doch kaum einer protestiert. Es geht um den Ort
Albstadt, um Ex-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und um den früheren
Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger (beide CDU). Der 1988
verstorbene Kiesinger stammte aus der Stadt Ebingen, die inzwischen zu Albstadt
gehört. Zu seinem 100. Geburtstag soll eine Straßenkreuzung in
Kurt-Georg-Kiesinger-Platz umbenannt werden, dazu veranstaltet die
Konrad-Adenauer-Stiftung im April eine Festveranstaltung mit Zeitzeugen. Unter
ihnen: Hans Filbinger.
Der heute 90-jährige
Ehrenvorsitzende der baden-württembergischen CDU musste 1978 als
Ministerpräsident zurücktreten, nachdem herausgekommen war, dass er am Ende des
Zweiten Weltkriegs an sechs Todesurteilen gegen Deserteure beteiligt war. Dies
hatte er so kommentiert: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein."
Die Benennung der Albstädter
Kreuzung nach Kiesinger beschloss der Verwaltungs- und Finanzausschuss des
Gemeinderates am 12. Februar - mit einer Gegenstimme. Die kam von Martin Frohme
(SPD), der nicht verstehen kann, wie man einen Platz nach einem Menschen
benennen könne, der 1933 "ohne Not in die NSDAP eintrat" und "im Dritten Reich
verstrickt" war.
Mit seiner Ablehnung will Frohme
seiner Linie treu bleiben. Er trat in den 60er-Jahren in die SPD ein, als die
Bundespartei in der großen Koalition mit Kiesinger regierte. Damals ging Frohme
gegen die Wahl Kiesingers zum Kanzler auf die Straße - und wollte, um gegen
diese Politik der SPD zu protestieren, in der Partei "sozusagen den Marsch durch
die Institutionen gehen".
Außer Frohme saßen noch drei
weitere SPDler im Ausschuss, der über die Umbenennung der Kreuzung entschied.
Sie schlossen sich dem Protest ihres Genossen nicht an. Frohme vermutet, dass
sie Kiesinger wohl abnahmen, dass er sich geändert habe. Etwas Verständnis hat
er dafür auch. Schließlich habe selbst Willy Brandt in einer Koalition mit ihm
gearbeitet.
Vermutlich steckt aber auch ein
gewisser Stolz dahinter, den viele Albstädter empfinden, weil einer von ihnen
Kanzler wurde. "Kiesinger hat ein sehr hohes Ansehen in der Stadt", sagt ein
Gemeinderat. "Wer sich gegen ihn wendet, würde sich selber schaden." Protest
gibt es deshalb kaum. Auch Frohme sieht keine Chance, dass der Beschluss
rückgängig gemacht wird. "Dagegen sprechen die Kräfteverhältnisse hier auf der
Alb."
Für diese Kräfteverhältnisse steht
Oberbürgermeister Jürgen Gneveckow (CDU). Seine Partei hat im Gemeinderat
doppelt so viele Stimmen wie die SPD. Die Aufregung um die Umbenennung kann er
"nicht richtig nachvollziehen", schließlich gebe es in Stuttgart auch einen
Kiesinger-Platz. "Er ist hier geboren, also ist es angemessen, ihn in in dieser
Form zu ehren", sagt Gneveckow. Auch die Einladung Filbingers ist für ihn kein
Problem, schließlich wolle man nicht den Exministerpräsidenten ehren, sondern
Kiesinger. Filbinger komme als Zeitzeuge - "und als solcher ist er für mich
interessant". Außerdem, darauf legt der Bürgermeister besonders Wert: In
Albstadt setze man sich durchaus mit der Vergangenheit auseinander. Gleich
nebenan steht das Schloss Lautlingen, das der Familie von Hitler-Attentäter
Claus von Stauffenberg gehörte. "Deshalb begehen wir dort jedes Jahr den 20.
Juli."
SPD-Mann Frohme dagegen fürchtet um den guten Ruf von Albstadt, wenn Filbinger
in den Ort kommt: "Das rückt die Stadt doch nur in ein schlechtes Licht."