Walter Jens:
"Leute, unterschreibt da mal"
Geschah die Aufnahme in die NSDAP wirklich ohne eigene
Kenntnis? Der Historiker Götz Aly springt für Walter Jens in die Bresche. Dabei
legt er profund recherchiertes Material vor, das in der Debatte noch nicht
berücksichtigt wurde...
Dirk Knipphals
In
die Debatte um die NSDAP-Mitgliedschaft von Walter Jens hat nun der Historiker
Götz Aly eingegriffen. Im vergangenen November waren Karteikarten aufgetaucht,
die Walter Jens als Mitglied der Nazi-Partei führten. Jens selbst kann sich an
eine Mitgliedschaft nicht erinnern; falls er als Mitglied geführt worden sei,
sagt er, könne das höchstens ohne sein Wissen geschehen sein. Nach einem
Gutachten, das der Historiker Michael Buddrus für das Institut für
Zeitgeschichte verfasst hat, war so etwas allerdings nicht möglich. In einem
Beitrag, der gestern in der Zeit erschien, stärkt Götz Aly nun jedoch die
Argumentation von Walter Jens. Allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt.
Beweise kann auch Aly nicht liefern - wie auch? Im Zuge eines intensiven
Quellenstudiums ist er aber auf Indizien gestoßen, die bislang noch nicht
berücksichtigt wurden. So hat es während des Wintersemesters 1942/43 an der
Hamburger Universität den Sonderfall gegeben, dass alle Studenten der ersten
drei Semester für den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB)
zwangsweise erfasst wurden. In dieser Zeit studierte Walter Jens in Hamburg, er
war Mitglied der "Kameradschaft Hermann von Wißmann" des NSDStB. Wie Götz Aly
selbst einräumt, bezog sich diese Zwangsrekrutierung, die bereits im nächsten
Semester gestoppt wurde, auf den Studentenbund, nicht auf die NSDAP. Laut Statut
der Partei waren Zwangsrekrutierungen sogar ausdrücklich verboten. Aber Aly
schließt auf "eine höchst ehrgeizige NS-Universitätsführung, die den
Organisationsgrad mit sonst unüblichen Zwangsmethoden erhöhte". Darauf fußt die
zentrale Folgerung des Beitrags: "Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wurde er
[Walter Jens, d. Red.] in einer wenig förmlichen, kollektiven Prozedur (,Leute,
unterschreibt da mal') zum NSDAP-Karteimitglied."
Das
kann gut sein. Aber auch nach Götz Alys beeindruckend recherchiertem Beitrag
bleiben Fragen. Zum einen: Was bedeutet "mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit".
Zum zweiten: Ist damit das Gutachten von Michael Buddrus tatsächlich widerlegt?
Wer genau liest, wird eher dem Eindruck zuneigen, dass es das keineswegs ist.
Auch Götz Aly nimmt nämlich an, dass es eine Aufnahmeprozedur gegeben hat. Auch
nach diesem Beitrag hat es also etwas gegeben, an das sich Walter Jens erinnern
könnte. Was Götz Aly letztendlich stützt, ist die Aussage von Walter Jens, sich
nie persönlich um eine Aufnahme in die NSDAP beworben zu haben. Darum geht es in
der Debatte aber gar nicht. Die Frage ist, ob Walter Jens ohne sein Wissen
aufgenommen wurde. In diesem Punkt entlastet ihn Aly, wenn man es genau nimmt,
nicht.
Hilfreich ist der Beitrag dennoch. Er liefert viel Material in Bezug auf die
Frage, was die NSDAP-Mitgliedschaft für Walter Jens bedeutete: nämlich letztlich
gar nichts. Zwar attestiert Götz Aly dem damals 19-jährigen Walter Jens eine
"vorübergehende intellektuelle Nähe … zu völkischem Gedankengut". Aber schon der
21-jährige Walter Jens hatte sie, wie Götz Aly überzeugend nachweist,
überwunden. Insofern gibt es keinen Fall Jens, seine intellektuelle Reputation
steht nicht in Frage. Dass Walter Jens ein wirklich überzeugtes und aktives
Mitglied der NSDAP gewesen war, hat sowieso niemand behauptet. Aber die
möglichen Erinnerungslücken bleiben.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 16.01.2004
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/ 2004-01-16
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