Friedrich Merz kommt aus einer christlichen und der Heimat verbundenen Familie.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union ist stolz darauf, »in achter
Generation in Brilon im Sauerland geboren und aufgewachsen« zu sein. Sein
Großvater mütterlicherseits brachte es in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt
sogar bis zum Bürgermeister.
Merz hat Josef Paul Sauvigny in guter Erinnerung behalten: »Nach allem, was ich
aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine beeindruckende Persönlichkeit.«
Wie sein Parteifreund Konrad Adenauer in Köln, so amtierte Sauvigny als
Stadtoberhaupt für die katholische Zentrumspartei in Brilon, und zwar in den
Jahren 1917 bis 1933. Dann wurde Adenauer von den Nazis wegen politischer
Unzuverlässigkeit entlassen. Sauvigny nicht.
Wie mehr als 95 Prozent der Beamten der Weimarer Republik konnte er seine
Laufbahn im Dritten Reich fortsetzen. So viele Beamte wollten damals der NSDAP
beitreten, dass sich die Parteiführung gezwungen sah, sich des Ansturms durch
mehrmalige Aufnahmesperren zu erwehren.
Sauvigny wusste sich auf die neue Zeit einzustellen. In Reden beschwor er den
Willen, »der uns eint, eine Kraft, die uns leitet, einen Führer, der uns ruft,
vergessend des Parteihasses von gestern«. 1933 trat er der SA der Reserve bei,
1935 wurde er zum Oberscharführer befördert. Dem Vereinsleben frönte er u.a. in
der »NS-Volkswohlfahrt«, dem »NS-Rechtswahrerbund« und dem
»NS-Reichskriegerbund«. Mitglied der NSDAP wurde er 1938.
In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde Sauvigny 1947 als »Minderbelasteter«
in die Kategorie drei eingestuft. Er erhielt nur noch 60 Prozent seiner Pension
und durfte keine öffentlichen Ämter übernehmen. Für Sauvigny ein schreiendes
Unrecht, denn: »Eine persönliche Schuld kommt bei mir nicht in Frage.« Außerdem
hätten ihn die Nazis doch zwangspensioniert. Daher sei er »als Nazigeschädigter
anzusehen«.
Tatsächlich wurde Sauvigny 1937 mit einem offiziellem Lob in den vorzeitigen
Ruhestand verabschiedet. Das bedeutet aber auch, dass er davor in Brilon
verantwortlich war für die Durchsetzung der 1935 verabschiedeten Nürnberger
Gesetze, die die deutschen Juden vogelfrei machten. Über die Opfer des
nationalsozialistischen Terrors schwieg er sich in seinen Protestschreiben an
den Berufungsausschuss in Arnsberg aus.
Doch Sauvigny hatte Erfolg mit seiner Rechtfertigungslyrik. In der Berufung
wurde er 1948 als »Mitläufer« in die Kategorie vier hinabgestuft, er erhielt
wieder seine volle Pension. Der Ausschussvorsitzende bescheinigte ihm: »Sein
Eintritt in die SA erfolgte unter Druck, da S. sonst seine Stellung als
Bürgermeister verloren hätte. (…) Innerlich stand er dem Nazismus ablehnend
gegenüber.« Wie ja eigentlich alle Deutschen. Nachher.
Seit vergangener Woche kennt Friedrich Merz nun die Akte seines Opas. Er musste
sie sich besorgen, weil sich die taz allzu hartnäckig mit der Vergangenheit
seines Vorfahren befasst hatte, nachdem Merz auf einer CDU-Versammlung in Brilon
mit Verweis auf Sauvigny dazu aufgerufen hatte, bei der kommenden Kommunalwahl
das »rote Rathaus zu stürmen«.
An seinem Urteil über Sauvigny änderte auch das Aktenstudium nichts: »Mein
Großvater ist kein Nationalsozialist gewesen.« Ebenso wenig wie die
NSDAP-Mitglieder Kurt Georg Kiesinger, Karl Carstens oder auch Franz Josef
Strauß, dessentwegen Merz einst in die CDU eintrat. Auch Strauß erlernte sein
politisches Handwerk bei den Nazis – und blieb doch immer ein guter Katholik.
Wie Josef Paul Sauvigny und sein Enkel.