Friedrich Merz spricht gern über seine Herkunft und Heimat. Schon als
Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wollte er sein Image vom etwas
streberhaften Steuerfachmann korrigieren - mit einem Selbstporträt als
jugendlicher Halbstarker: "Ich hatte schulterlange Haare, bin mit dem Motorrad
durch die Stadt gerast." Nicht immer gehen Merz Reminiszenzen so harmlos ab.
Jetzt, zum Fraktionsvize von Angela Merkel zurückgestuft, hat er vor
Parteifreunden in seinem sauerländischen Heimatort Brilon dazu aufgerufen, das
"rote Rathaus" der Stadt "zu stürmen". Zur Begründung verwies er auf seinen
Großvater, der im Nationalsozialismus Bürgermeister des Ortes war.
Sein
Großvater habe von 1917 bis 1937 als Bürgermeister amtiert. Ihn, Merz, erfülle
daher "mit tiefem Grausen", dass derzeit "ein roter Bürgermeister" amtiere. In
keiner Gemeinde des Hochsauerlandkreises engagiere er sich so gern persönlich,
wenn es darum gehe, "ein rotes Rathaus zu stürmen". Diese Äußerungen bestätigten
gegenüber der taz übereinstimmend drei Teilnehmer der Veranstaltung, bei welcher
der CDU-Bürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl aufgestellt wurde.
In
der Lokalpresse sorgten die Äußerungen vom Dienstag voriger Woche für eine
Leserbriefkontroverse. Das Berliner Bundestagsbüro von Friedrich Merz, dem die
Artikel vorlagen, hat gegenüber der taz die Aussagen nicht bestritten. Zur
Anfrage der taz nach der Rolle des Großvaters im Dritten Reich wollte Merz nicht
Stellung nehmen.
Unbestritten ist: Die Karriere von Merz Großvater Josef Paul Sauvigny war auch
nach der NS-Machtergreifung und der Auflösung seiner Partei, des katholischen
"Zentrums", nicht vorbei. Während viele katholische Spitzenbeamte vom Dienst
suspendiert wurden, durfte Sauvigny weiter Brilon regieren. Sein Ausscheiden
1937 war altersbedingt. Ob Sauvigny zwischen 1933 und 1937 NSDAP-Mitglied war,
will die Briloner Stadtverwaltung nicht beantworten. "Niemand in dieser
Verwaltung wird Ihnen das sagen", wehrt der erste Beigeordnete Reinhard Sommer
(CDU) gegenüber der taz ab.
Nach
Forschungen von Briloner Lokalhistorikern waren die Nationalsozialisten durchaus
zufrieden mit Sauvignys Amtsführung. In der Sauerländer Zeitung vom 2. Juli 1937
äußert sich der von den Nationalsozialisten eingesetzte Landrat Schramm
anlässlich von Sauvignys Pensionierung: "Sein Amt verwaltete er stets im
nationalsozialistischen Geiste." Sauvigny bedankte sich bei den lokalen
NS-Größen. "Erst durch die Maßnahmen des Dritten Reiches habe die Arbeit wieder
Freude gemacht", gibt die Zeitung Sauvigny wieder.
Schon kurz nach der so genannten "Machtergreifung" der Nazis hatte sich der
Bürgermeister positiv über die neuen Herrscher geäußert. In der Sauerländer
Zeitung wird am 3. Mai 1933 eine Lobeshymne Sauvignys auf Adolf Hitler
abgedruckt: "Während bisher sich deutsche Kraft zerspalten und verbluten am
ewigen Führerwechsel, ist es heute eine Kraft, die uns leitet, ein Führer, der
uns ruft. (…) Das arbeitende deutsche Volk, sein ehrwürdiger Reichspräsident,
die Verkörperung deutscher Treue, der Kanzler Hitler, sein tatgewordener
Aufbauwille, sie leben hoch, hoch, hoch."
Über das Lob des Enkels für den Opa 71 Jahre später berichtete nur eines der
drei Lokalblätter nicht. "Ich habe dem nicht diese Schärfe beigemessen", sagt
Sauerlandkurier-Reporter Helmut Große-Vollmer zur Begründung: "Er hat das Ganze
mit einem Lächeln gesagt."