Er habe »keine Probleme, von den rechten Jugendlichen akzeptiert zu werden«,
empfiehlt sich der Aussteiger und Mitarbeiter des Programms Exit mit dem
kräftigen Körperbau, denn er entspräche schon äußerlich nicht dem Feindbild der
Rechten. Er sei weder schwächlich noch habe er eine krumme Nase. Die versammelte
Zuhörerschaft, krummnasig und schwach, sinkt in ihren Sitzen zusammen.
Bei der heiß diskutierten Frage, wie man bei den Rechten ankomme, kann man aber
nicht nur mit einem arischen Äußeren punkten, sondern sich auch ideologisch bei
der anspruchsvollen Klientel anbiedern. Mit der Lektüre von Landserheften und
anderen Nazi-Schmonzetten kriegt der bemühte Pädagoge Zugang zum Hirn der jungen
Rechten. Hat man nach gelungener Mimikry erst mal das Zutrauen der scheuen
rechten Jugend erheischt, zeigt der Pädagoge sein wahres Gesicht und kann
Zweifel an der rechten Ideologie säen.
Auf der Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem
Berliner Gangway e.V. fanden sich am Dienstag der vergangenen Woche rund 200
Interessierte im Gebäude der Stiftung in Berlin-Tiergarten ein, um über neue
Wege im Umgang mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen zu diskutieren. Doch
die Suche nach den neuen Wegen stellte sich schnell als das Abschreiten
ausgetretener Holzwege heraus.
In ihrem Einführungsvortrag lobt die Vorsitzende des Familienausschusses des
Bundestages, Kerstin Griese (SPD), ihre Bundesregierung für das engagierte
Engagement gegen den Rechtsextremismus. Dass das rechte Gedankengut aus der
Mitte der Gesellschaft kommt, weiß Griese auch. Warum sich die Mitte allerdings
nur auf die CDU/CSU und auf die antisemitischen Äußerungen Martin Hohmanns
beschränkt und die Regierungspartei aus der Mitte der Gesellschaft herausfällt,
bleibt ein Rätsel. Der Hinweis auf die Mitte der Gesellschaft wird zu einer
Leerformel, wenn die rechte Ideologie den Diskurs des politischen Mainstream
prägt. Etwa wenn der angebliche Staatsnotstand beschworen wird, umständliche
demokratische Entscheidungsprozesse beklagt und schnelle Entscheidungen
gefordert werden.
Seit dem »Aufstand der Anständigen« im Jahre 2000 wachse jährlich, nach einer
leichten Entspannung im Jahr 2001, die Zahl rechter Straftaten und rassistischer
Übergriffe auf nicht deutsch erscheinende Menschen im Brandenburg und Berlin,
beschreibt der Berliner Politologe Hajo Funke die Lage. Ein Viertel der
erwachsenen Bevölkerung Brandenburgs und ein Achtel der Bevölkerung Berlins
besäßen ein rechtsextremes Weltbild. »Rechte Jugendliche sehen sich nicht ohne
Grund als Vollstrecker des Willens der Bevölkerung«, stellt Funke fest.
Natürlich müsse man den institutionellen Rassismus verurteilen, die
Zivilgesellschaft stärken, MigrantInnen vor Übergriffen schützen und die
sozialen Chancen der Jugendlichen verbessern, betont Funke, um dann schnell bei
der Forderung nach einer Verstärkung der guten alten aufsuchenden Jugendarbeit
mit rechtsorientierten Jugendlichen zu landen. Zwar wird die so genannte
akzeptierende Jugendarbeit immer wieder gerne kritisiert, doch gleichzeitig wird
oft gefordert, dass man die Jugendlichen, ihre Wünsche und rechten Gedanken
anerkennen und eigene Tabus überwinden und auch mal über den deutschen
Nationalstolz diskutieren müsse.
Das in den neunziger Jahren von dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer gezeichnete
Bild vom rechten Jugendlichen als Opfer einer verfehlten Sozialisation, der von
bemühten Sozialarbeitern »nachsozialisiert« werden müsste, hat immer noch
Konjunktur. Konsens auf der Tagung ist, dass der Hauptfehler beim Kampf gegen
die rechte Orientierung von Jugendlichen deren Ausgrenzung sei. »Wenn ich bei
denen noch was löten will in der Birne«, meint der Sozialarbeiter Peter Steeger
vom Sportclub Lichtenberg, »muss man sich auf die rechten Jugendlichen
zubewegen.« Das Problem, dass mit dieser Integrationsarbeit MigrantInnen und
linke Jugendliche ausgegrenzt werden, wird nicht diskutiert. Doch die rechte
Dominanzkultur unter ostdeutschen Jugendlichen ist kaum zu bekämpfen, wenn die
Neonazis nach dem Besuch der Tankstelle auch noch mal schnell in ihrem örtlichen
Jugendclub vorbeischauen können.
Die Erfolglosigkeit der Projekte gegen den Rechtsextremismus erklären die
Tagungsteilnehmer mit einer rätselhaften »Resistenz« der rechten Jugendlichen
gegenüber der Sozialarbeit. Eckhard Osborg, ein Dozent an der Hamburger
Hochschule für Angewandte Wissenschaften, will dieser Resistenz mit seinem
Konzept der »subversiven Verunsicherungspädagogik« entgegenwirken. Die
»Widersprüche der rechten Ideologie« sollen durch den »emotionsauslösenden
Videoclip ›Tugend & Ehre‹« aufgedeckt werden. Ein Nazischlager der rechten
Szeneband Zillertaler Türkenjäger dröhnt aus den Boxen, dazu gibt es eine nach
MTV-Manier geschnittene Collage aus marschierenden Nazis, Hitlerreden, flotten
Wehrmachtsbildern und Bildern von der Judenvernichtung. Hat man erst mal das
jugendliche Naziherz erweicht, soll den schunkelnden Kameraden am Ende der
Widerspruch überraschen: Auch 5,6 Millionen Deutsche ließen ihr Leben im Zweiten
Weltkrieg, flimmert es über den Bildschirm. So kommt die Idealisierung des
Nationalsozialismus bedrohlich ins Wanken!
Von den Unmutsäußerungen aus dem Publikum sichtlich überrascht, betont Osborg
gebetsmühlenhaft die nötige pädagogische Einbindung des Clips. Aber seiner
eigentümlichen Dialektik, dass aus einem Clip, den die Band Blood & Honour nicht
besser machen könnte, mit einer pädagogischen Begleitung eine Waffe gegen
rechtes Gedankengut wird, will das Publikum dann doch nicht folgen. Nicht zu
Unrecht erinnert den Marburger Professor für Pädagogik, Benno Hafeneger, dieses
Konzept an die verstaubte und nutzlose Betroffenheitspädagogik.
Von einer Kritik der Betroffenen rechter Gewalt, von MigrantInnen und linken
Jugendlichen etwa, blieb man auf der Tagung übrigens verschont. Sie waren
nämlich gar nicht eingeladen.