Der Kanzler erinnerte nicht an den »Aufstand der
Anständigen«, kein Ministerpräsident trat mit Trauermine vor die Kameras, kein
Innenminister beschwor Toleranz und Gewaltfreiheit, kein Wolfgang Thierse und
kein Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft »zeigten Gesicht«. Die Nachricht,
dass ein Neonazi im baden-württembergischen Heidenheim an der Brenz in der Nacht
zum 20. Dezember vorigen Jahres drei jugendliche Aussiedler tötete, schaffte es
zwar noch vereinzelt in die Agenturmeldungen, war aber nach wenigen Tagen schon
völlig vergessen.
In der Nacht zum 20. Dezember taucht Leonhard
Schmidt, ein stadtbekannter Neonazi, der sich gerade bei der Bundeswehr als
Zeitsoldat beworben hat, vor der alternativen Diskothek Kulturbühne K2 auf, der
Türsteher lässt ihn aber nicht hinein. Die herbeigerufene Polizei erteilt ihm
einen Platzverweis und nimmt seine Personalien auf. Eine Schusswaffe und das 20
Zentimeter lange Messer bemerkten die Beamten offenbar nicht.
Eine halbe Stunde später tauchen Schmidt, seine
Freundin und ein weiterer Begleiter wieder vor der Disko auf, letzterer beginnt
einen Streit mit drei Jungen im Alter von 15, 16 und 17 Jahren. Völlig
unvermittelt fügt Leonhard Schmidt den drei Aussiedlern tödliche Stiche in das
Herz und den Hals zu. Zwei der Angegriffenen sterben noch am Tatort, der dritte
im Krankenhaus. Der Täter stellt sich zwölf Stunden später der Polizei, zu der
er die ganze Zeit per Mobiltelefon in Kontakt stand.
Seither kann nicht sein, was nicht sein darf. Die
Staatsanwaltschaft Ellwangen streitet den rechten Hintergrund des Täters nicht
ab, schließt aber sofort ein politisches Motiv für die Tat aus. Dem
baden-württembergischen Verfassungsschutz ist der Vorfall keine Zeile wert. Alle
einigen sich darauf, dass man es eben mit einem »verrückten Einzeltäter« zu tun
habe. Ein Deutscher habe drei Deutsche umgebracht, bedauert Oberbürgermeister
Bernhard Ilg (CDU), die Bevölkerung dürfe sich jetzt nicht »in Linke und Rechte«
spalten lassen. Obwohl Schmidt von »Kameraden« zum K2 gefahren wurde, mit
mehreren Personen unterwegs war, auf der Flucht unterstützt wurde und
schließlich in Dillingen Unterschlupf fand, bleiben die Ermittlungen bisher auf
einen »Einzeltäter« beschränkt.
Heidenheim liegt nicht im Osten der Republik,
sondern im Süden, es ist ein ostwürttembergisches »Oberzentrum« am Rand der
Schwäbischen Alb mit gut 50 000 EinwohnerInnen. Viele PendlerInnen aus der
Region arbeiten in den Firmen der Industriestadt, die meisten bei dem
Maschinenbauer Voith oder bei einem Hersteller von Verbandsmaterial, der
Hartmann AG. Auch wenn derzeit zahlreiche Stellen abgebaut werden, liegt die
Arbeitslosenquote mit 7,7 Prozent noch weit unter dem Bundesdurchschnitt.
AussiedlerInnen aus den Staaten der ehemaligen
Sowjetunion und des Warschauer Pakts sind in Heidenheim von der Bevölkerung
isoliert, die meisten wohnen ghettoisiert im Ortsteil Zangerberg. Viele
jugendliche Aussiedler berichten von Pöbeleien und Diskriminierungen durch die
normalen Mitmenschen oder durch Heidenheimer Neonazis. Letztere hetzen nach den
Morden im Forum des bayerischen Wikingerversandes gegen die »Wodkadeutschen«,
das »Kroppzeugs«. Einer meinte, man sollte dem Täter »ein Trinkgeld geben«.
Rechtsextremismus sei in Heidenheim »kein
Problem«, kann man dagegen in der lokalen Presse lesen. Dabei gründete schon
1987 Ewald Bela Althans, bekannt aus dem Film »Beruf Neonazi«, mit dem
ehemaligen NS-General Otto Ernst Remer hier die Deutsche Freiheitsbewegung
(DDF). Jahrelang galt die Stadt an der Brenz als Hochburg der Republikaner, die
hier 1989 bei der Europawahl 19,7 Prozent der Stimmen erhielten, auch heute
verfügen sie noch über ein Gemeinderatsmandat. Den ehemaligen Landesvorsitzenden
der Republikaner, Klaus-Peter Köhler, ernannte die Heidenheimer FDP 1995 zu
ihrem Kandidaten für die Landtagswahl.
Peter Gmähle und der ehemalige
Bundesschatzmeister der verbotenen Wiking-Jugend, Hans Jaus, betreiben in der
Stadt den neonazistischen »Verlag Neue Ordnung«. Ehemalige Angehörige der SS und
der Waffen-SS treffen sich in einem »Kameradenkreis«. Im Jahr 1999 führten
Aktionen der Antifaschistischen Aktion Ulm/Neu-Ulm und Heidenheimer Antifas im
Rahmen der bundesweiten Antifa-Offensive zur Schließung des Naziladens Paddy’s
Military Shop von Jürgen Boer vom so genannten Freiheitlichen Volksblock und von
Dirk Plankenhorn von der 1993 verbotenen Heimattreuen Vereinigung Deutschlands.
Danach dauerte es mehrere Jahre, bis die
rechtsextreme Szene Heidenheims wieder von sich reden machte. Sie lebte
allerdings in den Bauwagen fort, in denen sich Jugendliche in den Dörfern rund
um Heidenheim treffen, und stützte sich auf die Skinheads im benachbarten
bayerischen Landkreis Dillingen und auf dem Härtsfeld, wo zeitweise eine
Kameradschaft Härtsfeld auftrat. Im Lauf des vergangenen Jahres kam es dann
wiederholt zu Übergriffen und Drohungen von Neonazis gegen Punks und Linke.
Zum Nationalfeiertag am 3. Oktober provozierten
einige Neonazis mit dem Hitlergruß vor dem K2. Derweil verbargen sich rund 15
Nazi-Skinheads vermummt und bewaffnet, die dann über aufmerksam gewordene Punks
und Antifas herfielen. Leonhard Schmidt fügte dabei einem Punk mit einem
Schlagstock eine Platzwunde am Kopf zu.
Schmidt trägt einen Seitenscheitel, eine
Nickelbrille und geht in die elfte Klasse des Technischen Gymnasiums. Er wuchs
in Berlin auf. Seine Eltern, die aus dem Raum Heidenheim stammen, geben sich
emanzipiert und engagierten sich in der Friedensbewegung der achtziger Jahre.
Der Vater ist Architekt, die Mutter Lehrerin, sie war in der Giengener SPD
aktiv.
Als Schmidt in Berlin in Neonazikreisen aktiv
wurde, schickten ihn seine Eltern im Sommer 2003 zu einem Onkel nach Heidenheim.
Hier sollte er sich von seinen rechtsextremen Einstellungen lösen. Ein Plan, der
scheitern musste, denn der Onkel, ein Besitzer mehrerer Fahrschulen im
Landkreis, gilt als äußerst konservativ und autoritär. Der Waffenliebhaber
kandidierte bei den Kommunahlwahlen 1999 für die Republikaner. In der Schule
prahlte Leonhard Schmidt mit seiner Messersammlung, mehrfach bedrohte er
schwarze oder ausländische Schüler. Der Leiter der Schule sagt, er habe »nie
etwas Ungewöhnliches bemerkt«.
Die Heidenheimer Neue Presse berichtet mittlerweile nicht mehr über den
Dreifachmord, dafür hat sie eine neue Gefahrenquelle entdeckt. Angesichts der
antifaschistischen Gegenaktivitäten ließ sie die LeserInnen ihrer Online-Ausgabe
abstimmen: »Viele Bürger fürchten nun, dass es zu weiteren Zusammenstößen und
vielleicht auch zu neuerlicher Gewalt kommen könnte. Haben auch Sie Angst
davor?« 62,4 Prozent der LeserInnen antworteten mit Ja.