Allen anders lautenden Bekundungen zum
Trotz mag nicht einmal Jörg Friedrichs expressionistische Bombenkriegsprosa den
Deutschen noch eine emotionale Reaktion entlocken. Die Geschichte von
Nazi-Faschismus und Krieg rührt niemanden mehr, selbst wenn die Deutschen nun
wieder als Opfer und nicht mehr als Täter vorkommen. Die Täter waren ja
eigentlich auch Opfer, nicht alle Opfer waren unschuldig, und eigentlich ist
sowieso alles gleichgültig, Hauptsache, es ist irgendwie nützlich: Auschwitz,
die Vertreibung der Deutschen, die Zwangsarbeiter, die Trümmerfrauen …
Die von Martin Walser beklagte
»Dauerpräsentation unserer Schande« hat, eine List der Unvernunft, das von ihm
gewünschte Resultat gebracht: die freie Verfügung über die Geschichte der
deutschen Verbrechen. Die Souveränität nicht nur als nationale, politische und
militärische, sondern als Verfügungsgewalt über das Geschichtsbild, das war das
Ziel des nationalen Befreiungskampfes der Deutschen nach 1945. Der viel
befürchtete Schlussstrich war nicht das endgültige Schweigen, sondern die
definitive Instrumentalisierung der deutschen Verbrechen und ihrer Folgen.
Jetzt, wo es so weit ist, stellt sich
jedoch Katzenjammer ein. Die Landsleute sind nie so recht zufrieden, eben weil
kein Affekt mehr im Spiel ist, keine kollektive Katharsis, nach der man sich
doch eigentlich sehnt, völlig unabhängig von ihrem Anlass. Es gibt nichts
Schöneres, als Masse zu sein.
Die Ausstrahlung
Die im Januar 1979 ausgestrahlte
Fernsehserie »Holocaust« ist den meisten ehemaligen Westdeutschen deswegen in
guter Erinnerung, weil sie als solch ein Erlebnis gilt. Die BRD widmete sich in
zuvor nicht gekanntem Ausmaß der eigenen Vergangenheit. So heißt es wenigstens.
Die Ausstrahlung der amerikanischen Produktion gilt heute als der Anfang jener
spezifisch deutschen Melange aus (individueller) Erinnerung und (politischem)
Gedenken, die gemeinhin Betroffenheit genannt wird und deren sichtbarste Folge
das im Bau befindliche Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist.
Betroffen zu sein, gar unheimlich, diese
deutsch-existenziale Formulierung der sich selbst glaubenden Lüge trat mit
»Holocaust« ihren Weg von der linken Subkultur in die Mitte der Gesellschaft an.
»Eine Nation ist betroffen«, lautet entsprechend der Untertitel der
Dokumentation, die die Debatte und die Ausstrahlung der Serie bilanziert. Bei
diesem Thema jubelt man zwar nicht, doch offenbar hatte man das Gefühl, einen
Sieg errungen zu haben. »Das Schweigen ist gebrochen«, freute sich in Hörzu (Nr.
6/1979) der stockreaktionäre Springer-Kommentator Matthias Walden nach der
Ausstrahlung der Serie. »Das hat wehgetan. Aber es war wie eine
Wundreiztherapie, die einem Heilungsprozess vorausgeht.«
Mit einem Mal waren alle begeistert bzw.
betroffen, obwohl es zunächst so aussah, als werde »Holocaust« gar nicht
ausgestrahlt, und zwar selbstverständlich nicht etwa, weil man eine
Beschäftigung mit der Vernichtung der Juden ablehnte, sondern weil es sich bei
»Holocaust« um ein Produkt der Kulturindustrie handele, so die Kritiker.
Die gleichen Argumente wurden schon im
Frühjahr 1978 in den USA ausgetauscht, anlässlich der Erstausstrahlung der
Serie. In einigen Städten der USA kam es zu Demonstrationen von Überlebenden,
die gegen die Trivialisierung des wirklichen Massenmords protestierten, der
Publizist Elie Wiesel wandte sich in der New York Times (16. April 1978) gegen
»Holocaust«: »Kunst und Theresienstadt waren vielleicht in Theresienstadt
vereinbar, aber nicht hier – nicht in einem Fernsehstudio. Dasselbe gilt für das
Gebet und Buchenwald, für den Glauben und Treblinka. Ein Film über Sobibor ist
entweder kein Film, oder es ist nicht Sobibor.«
Wiesel verwies auf die vielen sachlichen
Fehler, die nicht nur dem Unwissen, sondern, wie er nachweist, der Dramaturgie
geschuldet sind. Aber seine Frage – und die vieler anderer jüdischer
Überlebender in den USA – lautete: »Wie eine Geschichte erzählen, die man nicht
erzählen kann und die dennoch erzählt werden sollte?«
»Holocaust« erzählt seine Geschichte in
vier Episoden und anhand zweier deutscher Familien, der jüdischen Familie Weiss
und der »arischen« Familie Dorf. Ihre Mitglieder sind an allen entscheidenden
Ereignissen der Vernichtung irgendwie beteiligt. Judenboykott, Berufsverbote,
Nürnberger Gesetze, Arisierung, Ausweisung der polnischen Juden, Pogromnacht,
Annexion des Sudetenlandes und der Tschechoslowakei, Wannsee-Konferenz, Massaker
von Babij Yar, Auschwitz, Theresienstadt, jüdischer Partisanenkampf, Warschauer
Ghetto, Erfindung der Gaskammer, Zyklon B – fast alles kommt in »Holocaust« vor,
sogar drei deutsche Widerstandskämpfer.
Und dass so viel vorkommt, geht zum Teil
auf Kosten der historischen Wahrheit. Wiesel fürchtete, der Film könne Leugnern
und Revisionisten nützen. Der Kern der Vernichtung sei ohnehin nicht
darstellbar: »Ob Gipfelpunkt oder Zerrbild der Geschichte, der Holocaust
transzendiert Geschichte. Alles an ihm ruft Angst hervor und führt zu
Verzweiflung: Die Toten besitzen ein Geheimnis, das wir, die Lebenden, weder
aufdecken dürfen noch können.«
Die Reaktionen
Die Reaktion der Öffentlichkeit auf
»Holocaust« war jedoch überwältigend positiv. In den USA begann eine weit über
die jüdische Bevölkerung hinausgehende Debatte um die Frage, wie den Opfern der
Vernichtung zu gedenken sei. Und was der »Holocaust«-Drehbuchautor Gerald Green
auf Elie Wiesel antwortete, sollte sich bewahrheiten: »Mehr Bücher von Elie
Wiesel als jemals zuvor werden verkauft werden. Er wird mehr Einladungen zu
Vorträgen und Seminaren erhalten. Studenten werden sich um seine Kurse reißen …
Herr Wiesel wird zu seinem Vergnügen entdecken, dass unser ›erdachter,
unwahrscheinlicher‹ Film ihm einen breiteren Zuhörerkreis verschafft, als er ihn
je hatte.« (New York Times,
23. April 1978)
Das ist die Falle der Kulturindustrie, aus
der es kein Entrinnen gibt. Sind die Wahrnehmungs- erst zu Konsumgewohnheiten
geworden, befriedigt die Kulturindustrie die von ihr erzeugten Bedürfnisse als
wären es die eigenen der Konsumenten, ist es kaum noch möglich, einen anderen
als den stereotypen individualisierenden und zugleich jegliche Individualität
kassierenden Zugang der Seifenoper für egal welches »Thema« zu erfinden. Dass
dies dennoch glückliche Folgen haben kann, zeigt etwa das Holocaust-Memorial in
Washington D.C., wo man am Eingang von einer Hollerithmaschine einen
Stanzstreifen bekommt, der einen zum Exemplar abstempelt, dessen Weg nun
vorbestimmt ist.
Tatsächlich entwickelte sich in den USA in
der Folge von »Holocaust« ein an der Erinnerung der Überlebenden orientiertes
Gedenken, das sich der kulturindustriellen Abbildungsweisen bedient und ihnen
verhaftet ist, aber von großem Respekt vor der individuellen Biografie getragen
ist. Das ist die spezifisch amerikanische Melange, die der deutschen nur auf den
ersten Blick ähnlich sieht (wobei es in Deutschland auch nicht so viel zu sehen
gibt).
In den USA kann eine Geschichte nur am
Individuum erzählt werden, sie vermittelt sich über die Handlungen des
Protagonisten. Die Totalität der Vernichtung ist dazu das absolute Gegenteil,
worauf Wiesel hinwies. An der Vernichtung scheitert dieses Unterfangen, und es
dennoch zu versuchen, spricht für die sympathische Hartnäckigkeit der
amerikanischen Illusion vom Einzelnen, der jederzeit in der Lage ist, sein Glück
selbst zu machen. Die Auseinandersetzung mit der Vernichtung ist in den USA von
diesem Widerspruch getragen; begriffen als äußerste Konfrontation zwischen
Individuum und gesellschaftlicher Totalität, gewinnt sie beinahe mythischen
Charakter, die gerade in der vollkommenen Individualisierung zum Tragen kommt.
Noch in den unglaublichsten Produkten der amerikanischen Kulturindustrie kommt
dieser Begriff vor.
In Deutschland hingegen gilt solche
Vorspiegelung falscher Souveränität im Umgang mit dem Material als unernst.
Wiesels Einwendungen wurden hier nicht als Aufforderung verstanden, über die Art
und Weise der Darstellung zu verhandeln, sondern über die Darstellbarkeit
selbst. Nicht die Angst der Überlebenden, durch die Trivialisierung des Stoffs
könnte das Andenken der Ermordeten bagatellisiert werden, sondern die
gegenteilige Befürchtung, dass durch die Trivialisierung Einfühlung erzeugt
werden könnte, bestimmte die Debatte. Es ging nicht um die Bewahrung des
Geheimnisses der Toten, sondern um die Bewahrung des Geheimnisses der Täter.
Die FAZ (20. April 1978) berichtete über
die Erstausstrahlung in den USA. »Holocaust« sei »eine Art jüdischer Roots«,
jene Fernsehserie über die Geschichte einer schwarzen Familie über mehrere
hundert Jahre, die Mitte der siebziger Jahre die Integration der
Bürgerrechtsbewegung in die Kulturindustrie anzeigte. Solche Serien, die
exemplarisch die Schicksale der einzelnen Communities der amerikanischen
Gesellschaft zeigten, gab es in den siebziger Jahren zuhauf, sie waren Ausdruck
der Emanzipationsbestrebungen dieser Minderheiten und zugleich ihre jeweilige
Version des amerikanischen Traums. Insofern gehört »Holocaust« sicher dazu.
Die FAZ jedoch roch ökonomische
Interessen. Die Fernsehgesellschaft NBC habe »Holocaust« nur produziert, weil
ihr die Konkurrentin ABC mit »Roots« den Rang abgelaufen habe, deswegen habe man
den Schrecken noch toppen müssen. Wenn es so gewesen sein sollte, wäre es ein
Lob der marktwirtschaftlichen Konkurrenz; das öffentlich-rechtliche Fernsehen
der BRD kam nicht einmal auf den Gedanken, etwas Ähnliches zu versuchen.
Auch dass Holocaust einen politischen
Hintergrund hat, wurde kritisiert. Amerikanische Nazis setzten 1978 juristisch
eine Demonstration durch einen von vielen jüdischen Überlebenden bewohnten
Vorort von Chicago durch, was die Bereitschaft förderte, sich mit der Verfolgung
und Ermordung der europäischen Juden zu befassen – in den Augen der FAZ kein
reines Motiv, und so schloss man sich den Bedenken der Überlebenden an und
verurteilte die Degradierung der »History« zur »Story«, wobei gerade dies weder
von Wiesel noch von anderen kritisiert worden war.
Die Mischung von Fiktion und Fakten war
ihnen das Problem, nicht die Individualisierung der Geschichte zur Biografie.
Als der WDR die Serie kaufte, war das Urteil über »Holocaust« längst gesprochen,
als Produkt der amerikanischen Kulturindustrie konnte sie nur Müll sein: »eine
moralische und ästhetische Ahnungslosigkeit, die fast schon kriminell ist«,
befand die Welt (26. Juni 1978).
Die Zeit (2. Juni 1978) stellte die
Geschichte folgendermaßen dar: »Amerikareisende der SPD – die prominentesten
unter ihnen: Georg Leber und Horst Ehmke – waren betroffen über den Erfolg der
»Holocaust«-Ausstrahlung … Daraufhin ging angeblich von der Bonner
Parteizentrale aus der Auftrag an die sozialdemokratischen Gremienmitglieder
deutscher Sendeanstalten, den Ankauf der Serie zu betreiben.« Der damalige
WDR-Fernsehchef Günter Rohrbach antwortete in einem Leserbrief: »Es wäre doch
ein merkwürdiger Umstand, wenn ausgerechnet die Deutschen, deren Protagonisten
bei der Vernichtung der Juden so zielstrebig vorgegangen sind, sich gegenüber
der Behandlung dieses Themas durch andere besonders skrupulös verhalten würden.«
(Zeit, 15. Juni 1978)
Es waren vor allem die Folgen, die man
fürs deutsche Ansehen im Ausland fürchtete, die zum Kauf der Serie führten,
keinesfalls befürchtete oder erhoffte man sich eine Wirkung aufs Publikum.
Schnell stellte sich heraus, dass eine Ausstrahlung im ersten Programm der ARD
nicht zustande kommen würde, der Bayerische Rundfunk und der damalige
Südwestfunk drohten, sich in der Sendezeit auszuschalten. Ein Proteststurm
sorgte dafür, dass es bis zum Herbst 1978 praktisch keine Befürworter der
Ausstrahlung gab, und die Westdeutschen machten ihrem Unmut in aller Offenheit
Luft, dass sie nun endlich genug hätten vom Thema.
Die zu diesem Zeitpunkt gerade kleiner
werdende Hitler-Welle – es erschienen zig Publikationen über den Führer und der
umstrittene Hitler-Film von Joachim C. Fest – beweist jedoch, dass es nicht um
das Thema an sich, sondern um die »Protagonisten« ging, wie Rohrbach sich
ausdrückte. Der Gesichtsverlust, der nun drohte, wenn die Serie gar nicht
ausgestrahlt würde, wollte jedoch niemand riskieren; deswegen wurde »Holocaust«
im Januar 1979 in den dritten Programmen gezeigt.
Die Folgen
Wegen der Debatte rechneten die Sender mit
einer hohen Sehbeteiligung, und es wurde eine noch nie da gewesene Quote von 40
Prozent. Umrahmt wurde die Serie von Dokumentationen, nach jeder Folge gab es
Studiodiskussionen, die Zuschauer konnten anrufen.
Noch überraschender als die hohe Quote war
jedoch die mehrheitlich positive Reaktion des Publikums auf die Ausstrahlung.
Als hätten die Deutschen bislang an Amnesie gelitten, erinnerte man sich mit
einem Mal an die Juden, die man aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen hatte,
der Satz »Ich habe von allem nichts gewusst« war durch die Serie der Lüge
überführt worden. Gerade die kulturindustrielle Dramaturgie, wie der in den
glücklichen Alltag hereinbrechende Schrecken, der die Unschuld der Opfer betont,
oder die stark konturierten Charaktere, die das beliebte Spiel der
Differenzierung unmöglich machen, fordert Solidarität mit den Opfern und
Verdammung der Mörder.
Dabei treffen gerade die Überzeichnungen,
die »Holocaust« in der BRD vorgeworfen wurden, die Realität. Die großbürgerliche
Familie Weiss kümmert sich nicht groß um ihr Judentum, die kleinbürgerliche
Familie Dorf ist weniger antisemitisch denn karrieristisch um jeden Preis.
Dass die einfache Verleugnung nicht mehr
funktionierte, weil die im Nazi-Faschismus erfolgte Dehumanisierung der Juden
mittels einer kulturindustriellen Rehumanisierung aufgehoben wurde, hatte nicht
etwa zur Konsequenz, dass mit der Verleugnung gebrochen wurde, vielmehr wurden
neue Abwehrstrategien entwickelt.
Durch die Individualisierung, die
überhaupt erst eine Empathie ermöglichte, wurde zugleich vom deutschen Kontext
abstrahiert. Holocaust wurde zur Bezeichnung für alles Mögliche, für den gerade
von der vietnamesischen Armee beendeten Massenmord der Roten Khmer in Kambodscha
wie für den gefürchteten Einsatz von Atomwaffen.
Bundeskanzler Helmut Schmidt lobte im
Bundestag die Ausstrahlung von »Holocaust«, nicht ohne den Hinweis darauf, dass
die Serie in der DDR nicht gezeigt worden sei. Tatsächlich waren die DDR-Bürger,
die die dritten Programme empfangen konnten, sehr überrascht über die
Unkenntnis, die die Anrufer in den Studiodiskussionen zum Besten gaben. Die
Familie Weiss und die Darstellung der Verfolgung erinnert überhaupt sehr an die
jüdische Familie aus dem Defa-Film »Professor Mamlock« wie insgesamt der Aufbau
von »Holocaust« eher an gute Nachkriegsfilme erinnert.
Erleichtert war man, weil – und hier
trifft Wiesels Kritik durchaus zu – der Judenmord nun, weil er konsumierbar
gemacht, auch aushaltbar wurde. Jener Widerspruch, ohne den in den USA keine
Geschichte erzählt werden kann, wirkte in Deutschland auf eine gewisse Weise wie
eine Exkulpation, auch wenn die dokumentarischen Aufnahmen des Massenmords
keineswegs fehlten, auch wenn deutlich wurde, dass die Mörder zu jedem Zeitpunkt
sich hätten anders entscheiden können.
Entscheidend und sehr zwiespältig war
jedoch das kollektive Mitteilungsbedürfnis. 30 000 Zuschauer riefen an, tausende
Leserbriefe erschienen in den Zeitungen, die Serie war das Gesprächsthema. An
diesem Maßstab orientieren sich deutsche Versuche zur Vergangenheitsbewältigung
bis heute, allerdings haben sie ihr Vorbild – nicht die Serie, sondern die
Reaktion auf sie – nicht noch einmal erreicht.
»Zurzeit habe ich ein Theater-Engagement
in Berlin, bin deshalb ohne Familie, und kaufe selber für mich ein. Bis zur
›Holocaust‹-Ausstrahlung hatte ich ein geradezu herzliches Verhältnis zu dem
Lebensmittelhändler, der mich erkannt und um ein Autogramm gebeten hatte. Doch
am Morgen nach der ersten Sendung begegnete mir fast das ganze Personal des
Ladens völlig anders: skeptisch, argwöhnisch. Und einer der Angestellten fragte
vorwurfsvoll: ›Wie konnten Sie nur in einer solchen Serie mitmachen?!‹«,
berichtete Werner Kreindl, einer der deutschen »Holocaust«-Darsteller in Hörzu
(Nr. 6/1979) und forderte in Vorwegnahme des rotgrünen Neunziger-Jahre-Sprechs:
»Wir müssen uns doch zu unserer Geschichte bekennen – ohne dieses ›Wenn‹ und
›Aber‹!«
Heute gilt das Bekenntnis »zu unserer
Geschichte«, in all ihren Einzelteilen. »Holocaust« war ein Meilenstein, denn
die Deutschen lernten, dass Reden genauso wirksam sein kann wie Schweigen. In
der Abgrenzung zu dem, was heute die »Holocaust-Industrie« genannt wird, hat
sich eine deutsche Erzählweise herausgebildet, die immer auf ein fatalistisches
Ende hinausläuft; es siegt die Macht des Faktischen, die Totalität.
Einen ersten Versuch in diese Richtung
unternahm der WDR seinerzeit schon mit »Holocaust«, indem man den Schluss
einfach veränderte. Im Original gelingt es dem jüngsten Sohn der Familie Weiss
zu überleben, und er organisiert die Flucht nach Palästina; Israel erscheint als
zwingende Konsequenz aus der Vernichtung – ähnlich wie in Steven Spielbergs
»Schindlers Liste«.
In der deutschen Fassung endet das Drama
auch deutsch: Natürlich erfolglos versucht das einzige Mitglied der Familie
Dorf, das sich bemüht hat, Juden und Zwangsarbeiter vor der Vernichtung zu
bewahren, seinen Angehörigen zu erklären, dass ihr Vater kein Held, sondern ein
Verbrecher war. Während die Geschichte der deutschen Familie also weitergeht,
endet die der jüdischen mit der Niederlage Nazideutschlands.
Das Ende der Originalversion wurde
erstaunlicherweise wohl als unpassendes Happy End empfunden, wobei die Frage
ist, was daran ein Happy End sein soll. Es ist eher eine Feststellung, andere
Möglichkeiten, als nach Palästina zu gehen, gab es kaum. Dazu kam, dass dieses
Ende mit seinem Verweis auf Israel den Bezug zur Gegenwart herstellte, und genau
dieser Bezug wurde auch in den Fernsehdiskussionen vermieden. Die Deutschen
beschäftigten sich mit sich selbst, mit der Frage, warum sie es nicht wissen
konnten, wollten oder durften. »Holocaust« war eine Belastungsprobe für die
deutsche Schuldabwehr, aber eine, die sie erfolgreich gemeistert hat; das zeigt
nicht zuletzt die Karriere jener Rationalisierungen, die in der Debatte um die
Serie ihren Ursprung haben.
Literatur:
Peter Märthesheimer/Ivo Frenzel (Hg.):
Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen. Fischer,
Frankfurt/M. 1979.
Friedrich Knilli/Siegfried Zielinski (Hg.): Betrifft »Holocaust«. Zuschauer
schreiben an den WDR. Verlag Volker Spiess, Berlin 1983.