Kampfbereit blicken zwei Preußenadler aus
der Kopfzeile. »Ich/wir habe/n Grundbesitz im Osten in …«, steht in perfektem
Bürokratendeutsch auf dem Formular, mit dem man den Erwerb einer Aktie
beantragen kann. Einer Aktie der Preußischen Treuhand, GmbH & Co.
Kommanditgesellschaft a.A., die Eigentumsansprüche umgesiedelter Deutscher
gegenüber dem polnischen Staat durchsetzen möchte. Nach Angabe eines
Eigentumsanspruchs und Überweisung von 50 Euro erhält man sie.
Am 1. Mai werden in der Republik Polen mit
dem EU-Beitritt die Bedingungen für politische Auseinandersetzungen geändert.
Während für die westliche Wirtschaft die Grenzen fallen, bleiben die Menschen
zwischen Odra und Bug zunächst EU-Bürger zweiter Klasse. In der deutschen
Bevölkerung ist der Hass auf konkurrierende Arbeitskräfte und angebliche
polnische Autoknacker verbreitet; Bundeskanzler Gerhard Schröder hat schon
während der Beitrittsverhandlungen dafür gesorgt, dass die freie Wahl des
Wohnortes in der EU für Polen noch auf Jahre ein Traum bleibt.
Von »ernsthaften Befürchtungen angesichts
der Entwicklungen in Deutschland« schreibt die Wochenzeitung Tygodnik
Solidarnosc. Dass die Regierung in Warschau mit ihrem Beharren auf den
Abstimmungsmodalitäten, wie sie in Nizza vereinbart wurden, eine deutliche
Machtverschiebung zugunsten Deutschlands verhindert hat, ist postwendend
bestraft worden. Man werde die nach der Ost-Erweiterung nötige Anpassung der
EU-Subventionen verhindern, bestätigt die deutsche Regierung. Auch
revanchistische Attacken aus dem Westen sorgen in Polen zunehmend für Unruhe.
Die Preußische Treuhand ist – nach dem
geplanten Zentrum gegen Vertreibungen – wohl die bekannteste revisionistische
Initiative, mit der die polnische Öffentlichkeit seit Juli 2003 konfrontiert
wird. Im Juni votierten die Wähler in Polen und der Tschechischen Republik für
den EU-Beitritt, einen Monat später begann Berlin ihnen klar zu machen, worauf
sie sich damit auch eingelassen hatten: auf Revisionsforderungen und
Entschädigungsansprüche aus dem westlichen Nachbarland.
»Das Sammeln, die Verwaltung und die
Rechtsverfolgung individueller Eigentumsansprüche deutscher Heimatvertriebener«
nennt die Preußische Treuhand als Ziele ihrer Tätigkeit. Durchsetzen will die
Organisation, die von den Landsmannschaften Ostpreußen, Schlesien und Pommern
unterstützt wird, die deutschen Ansprüche auf dem Rechtsweg. »Sollten polnische
Gerichte Deutsche von einer Rückgabe ihres Eigentums ausschließen, wäre der
Klageweg in Straßburg offen«, erklärt Treuhand-Chef Rudi Pawelka; wenn das
keinen Erfolg bringt, will die Prussian Claims Society (so die englische
Eigenbezeichnung der Treuhand) mit Sammelklagen in den USA gegen Polen vorgehen
– nach dem Vorbild der Jewish Claims Conference.
In Polen herrscht Empörung über die
»zynische Frechheit« der Deutschen. »Gestern sprachen sie nur von einem Denkmal
für die Vertriebenen, heute entsteht schon eine Preußische Treuhand, die
Entschädigungen haben will«, kommentiert Marek Edelman gegenüber dem NDR die
deutsche Offensive. »Und morgen«, befürchtet der einstige Anführer des
Warschauer Ghetto-Aufstands von 1943, »wollen sie die Gebiete zurück haben und
übermorgen sagen sie: ›Was, die wollen uns nichts zurückgeben? Dann machen wir
Krieg.‹«
In drastischer Zuspitzung beschreibt
Edelman begründete Ängste, die vor allem in den ehemals deutschen Teilen Polens
verbreitet sind. Viele Polen fürchten, durch deutsche Restitutionsklagen ihre
Wohnungen zu verlieren. Selbst Marek Safjan, Präsident des polnischen
Verfassungsgerichts, gibt zu: »Ein gewisser Teil der Menschen in den westlichen
Gebieten Polens hat möglicherweise eine ungeregelte juristische Situation.«
Ungeregelt? »Es gibt keine
Rechtsgrundlage, weder für Rückgabe noch für Entschädigungen«, meint Boguslaw
Majewski, Sprecher des Außenministeriums in Warschau. Die Kapitulation des
Deutschen Reiches und die Entscheidungen der Alliierten ließen keinen Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der Umsiedlungen.
Berlin sieht das anders. »Furchtbares
Unrecht« nannte Bundespräsident Johannes Rau kürzlich die Umsiedlung der
Deutschen; zwar werde die Regierung keine Entschädigung dafür verlangen,
privatrechtlichen Ansprüchen jedoch müsse der Gerichtsweg offen stehen.
Diese Linie verfolgt der Rechtsnachfolger
des Deutschen Reiches seit langem. »Uns liegen«, so verkündet die Preußische
Treuhand stolz, »mehrere Schreiben des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes vor,
die ganz eindeutig besagen, dass alles Privateigentum von den 2+4-Verträgen
nicht betroffen ist.« Auch im deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 und im
Nachbarschaftsvertrag von 1991 sind Eigentumsfragen ausgeklammert worden. Ganz
offen erklärt die Bundesregierung auf ihrer Website: »Durch den
deutsch-tschechoslowakischen Vertrag von 1992 und die deutsch-tschechische
Erklärung von 1997 konnte für Rückerstattungs- und Vermögensfragen keine
eindeutige Klärung erreicht werden.«
Zuspitzen dürfte sich die Situation nach
dem EU-Beitritt der betroffenen Staaten. Der Fortbestand von »Vertreibungs- und
Entrechtungsdekreten«, hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedrich Merz der
Schlesischen Landsmannschaft im Juli bestätigt, sei nicht vereinbar mit den
»Kopenhagener Kriterien« der EU. Denen aber müssen die Mitgliedsstaaten
entsprechen, sonst droht ihnen ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.
Unter Druck gerät die polnische Regierung
auch mit dem seit Jahren verschleppten Reprivatisierungsgesetz, das den Umgang
mit nach dem Krieg enteignetem Vermögen regeln soll. Die Regierung in Warschau
weigert sich bisher, an der Rückübertragung auch die deutschen Umgesiedelten zu
beteiligen. »Eine derartige Behandlung verstößt eindeutig gegen das
Gemeinschaftsrecht der EU«, freut sich Treuhand-Chef Pawelka. Schließlich sei
eine Diskriminierung wegen der Nationalität in der EU nicht erlaubt. Die jüngste
Gesetzesvorlage ist denn auch vom polnischen »Amt für europäische Integration«
zurückgewiesen worden. Der Text sei »nicht konform mit EU-Recht«.
Sobald die Staaten den EU-Beitritt
vollzogen haben werden, gebe es »neue rechtliche Möglichkeiten« für deutsche
Ansprüche, resümiert Bernd Posselt. Der Vorsitzende der Sudetendeutschen
Landsmannschaft befürwortet diskrete Privatklagen und ärgert sich über die
Preußische Treuhand: »Die kann auch nicht mehr als jede Anwaltskanzlei und wird
nur unnötig Staub aufwirbeln.«
In Polen kursieren bereits Berechnungen,
in denen der Wert des von Deutschen beanspruchten Vermögens auf 19 Milliarden
Euro beziffert wird; man denkt über Gegenmaßnahmen nach. »Die Bilanz Polens in
diesem Krieg ist niemals wirklich ausgeglichen worden«, erwähnt
Außenministeriums-Sprecher Majewski. Die konservative Opposition plädiert für
internationale Solidarität gegen die deutschen Avancen. Aus dem Land der
Aggressoren hingegen kommt keine Unterstützung.
Dabei kratzt die deutsche Revisionspolitik im Kern an der europäischen
Nachkriegsordnung. »Ich wäre heute sehr vorsichtig«, schrieb der polnische
Staatspräsident Alexander Kwasniewski im September über die im Potsdamer
Abkommen angeordneten Umsiedlungen, »mich auf eine Diskussion darüber
einzulassen, ob diese Maßnahmen rechtmäßig waren. Das bedeutet, die Büchse der
Pandora zu öffnen.« Denn dann kämen auch andere Fragen auf, etwa ob die
»Nachkriegsgrenzen in Europa rechtlich begründet« seien. »Ich möchte nicht
übertreiben«, warnt Kwasniewski, »aber es muss daran erinnert werden, womit die
Schwierigkeiten auf unserem Kontinent begonnen haben, die letztlich zum Ausbruch
des Zweiten Weltkrieges führten: Mit der Untergrabung des Versailler Vertrages.«