Streitigkeiten:
Nazi nicht gleich kriminell
Nach einer Kundgebung für den des Waffenhandels
verdächtigten Neumünsteraner Kameraden Peter Borchert streiten Neonazis in
Hamburg und Schleswig-Holstein über Solidarität, Distanzierung und Imageschaden...
Andreas Speit
"Nazis raus", stand auf dem Transparent, allerdings "aus dem Knast". Denn es war
eine "Abordnung" der Freien Nationalisten, die sich am 13. Dezember kurzfristig
zu einer Mahnwache vor der JVA Lauerhof in Lübeck-Marli zusammengefunden hatte.
Mit Beginn des Hofgangs für die Insassen brüllten draußen etwa 25 Kameraden:
"Freiheit für alle Nationalisten" - in der Hoffnung, dass Peter Borchert die
Parole hören möge. Dieser sitzt seit dem 28. Oktober wegen des Verdachts auf
"Bildung einer kriminellen Vereinigung" hinter Gittern. Praktische Solidarität
üben wollten die Kundgebungsteilnehmer darüber hinaus mit allen, "die ihre
Meinung zur Judenfrage" und "Kriegsschuldlüge" sagen.
Innerhalb der Szene ist seitdem ein heftiger Streit ausgebrochen über die vom
Aktionsbüro Norddeutschland initiierte Aktion. Kurz vor Weihnachten schimpfte
Christian Worch in einem Schreiben: "Seid ihr noch zu retten?" Der Hamburger
Neonazi-Chef versuchte einmal mehr durchzusetzen, dass politische Neonazis bitte
schön nichts mit Kriminellen zu tun hätten. "Der aktuelle Haftbefehl gegen Peter
Borchert erging wegen des Verdachts des Waffenhandels. Das ist keine politische
Aktivität." Auch gebe es noch "einen weiteren Haftbefehl" gegen Borchert: wegen
Tankstelleneinbruchs.
"Noch schlimmer", so Worch, sei aber die Botschaft, die solche Solidarisierung
vermittle: einerseits an die "jüngeren Kameraden" - "Ihr dürft nebenbei ein
bisschen Erwerbskriminalität betreiben, wenn ihr euch fleißig politisch
einsetzt." Andererseits aber auch an "jeden Außenstehenden". Dass Worch selbst
mit dem zuvor bereits wegen eines Tötungsdeliktes verurteilten Borchert
zusammengearbeitet hat, lässt er unerwähnt. Immer wieder sind beide gemeinsam
bei Neonazi-Aufmärschen aufgetreten.
Um
so deutlicher fiel die Reaktion des attackierten Aktionsbüros Nord um Thomas
Wulff und Tobias Thiessen aus: Dort äußerte man Zweifel daran, dass Worch "noch
zu retten" sei. "Es ist schon fragwürdig, jemanden aus unseren Reihen in
vorverurteilender Weise (zu) ächten." Mit dem Brief hätte Worch sich
"unglaubwürdig" gemacht. Im Gegenzug wurden Worchs Angriffe persönlicher, und an
Thiessen gerichtet schrieb er: "Nee, mein Lieber, du bist der arme Kerl, der die
Lächerlichkeit fürchten muss."
Mit der Soli-Kundgebung vor der Lübecker JVA greifen die Rechten in der
Hansestadt, wie schon unlängst mit ihrer Hausbesetzung, auf eine traditionell
linke Aktionsform zurück. "Es wäre wünschenswert", kommentieren die Macher des
rechten Internetprojekts "Freier-Widerstand", dass wie bei "den Roten" größere
Kundgebungen für die "Freilassung" durchgeführt würden. "Doch das wird NIE
geschehen, wenn etliche Leute sich distanzieren." Eine neue Aktion kündigen sie
allerdings auch nicht an. Vielleicht folgen die militanten Neonazis also doch
vorerst Worchs Rat, sich lieber von ihren kriminellen Kameraden abzugrenzen -
aus Imagegründen.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung - Hamburg vom 29.12.2003
taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns,
wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ
100 100 10), Konto-Nr. 39316-106© Contrapress media GmbH Vervielfältigung nur
mit Genehmigung des taz-Verlags
kt /
hagalil.com
/ 2003-12-29
|