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Judentum und Israel
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Ausstellung:
Eine Dorfjugend

Vor 70 Jahren wurde die Jugend-Aliyah in Palästina gegründet. In Frankfurt erinnert eine Ausstellung an die Zufluchtstätte für jüdische Kinder...

Iris Noah

Was haben Israels Staatspräsident Moshe Katzav und die Künstlerin Gila Almagor gemeinsam? Beide sind in Kinderdörfern der Jugend-Aliyah aufgewachsen.

Die Anfänge liegen in den dreißiger Jahren in Berlin. Schon früh erkannte Recha Freier, dass jüdische Kinder in Deutschland keine Zukunft haben würden. Sie entwickelte die Vision, Jugendliche in Gruppen nach Palästina zu bringen. Dort sollten sie in Kibbuzim leben und zum Aufbau des Landes beitragen. Offiziell wurde die Jugend-Aliyah am 30. Januar 1933 gegründet.

Durch Kontakte zu Siegfried Lehmann, der nach seiner Auswanderung in Palästina das Kinderdorf Ben-Schemen gegründet hatte, erhielt sie die ersten Einwanderungszertifikate. Die erste Gruppe mit sechs Jugendlichen kam im Februar 1934 im Kibbuz Ein Harod an. Trotz großer Widerstände schaffte es Recha Freier bis zu ihrer eigenen Flucht, einige tausend Kinder aus dem Deutschen Reich und benachbarten von den Nazis besetzten Ländern nach Palästina zu bringen, wo Henriette Szold, eine amerikanische Jüdin, für die Aufnahme der Kinder sorgte. Zeitweise reichten die Einwanderungszertifikate nicht aus. So mussten Kindergruppen in Dänemark, England, Holland, Italien oder Schweden untergebracht werden, um von dort aus nach Palästina zu kommen.

Selbst während des Krieges gelang es, etwa 10 000 jüdische Kinder über unterschiedliche Routen (Portugal, Schwarzmeerküste, Türkei, Syrien) nach Palästina zu bringen, wie etwa die 850 so genannten »Teheraner Kinder«, Teil einer Flüchtlingsgruppe, die 1939 Polen verlassen hatte. Sie flohen über die Ukraine, Sibirien, Turkestan und Usbekistan nach Teheran und kamen über den Suezkanal 1943 nach Palästina.

Schon während des Zweiten Weltkrieges wurden die Aktivitäten der Jugend-Aliyah auf die Länder des Nahen Ostens und Afrikas ausgedehnt. Viele Kinder flüchteten vor einem von den Nazis organisierten Aufstand in Bagdad nach Palästina. Ebenso kamen Kinder aus Syrien, der Türkei und dem Jemen.

Nach dem Ende des Krieges kümmerte sich die Jugend-Aliyah um tausende jüdischer Kinder, die die Shoah überlebt hatten, entweder in Konzentrationslagern oder versteckt bei nicht jüdischen Familien sowie in den Wäldern bei Partisanen. Die meisten waren Waisen. Teilweise konnten sie über Durchgangslager in Frankreich, Holland, Italien, Schweden und in der Schweiz nach Palästina ausreisen. Da die Einwanderungszertifikate nicht ausreichten, mussten zahlreiche Kinder auf geheimen Wegen nach Palästina gebracht werden. Viele dieser Gruppen wurden abgefangen und in ein spezielles Internierungslager nach Zypern gebracht. Dort richtete die Organisation ein Jugenddorf ein, um diese Kinder auf ihr zukünftiges Leben vorzubereiten.

In Palästina bzw. später in Israel wurden die Kinder in Kibbuzim und speziellen Jugenddörfern untergebracht. Sie wurden dort von Lehrern und Pädagogen betreut. Sie mussten die ihnen entgangene Schulbildung nachholen, um sich dann auf einen Beruf vorbereiten zu können. In ihrem Buch »Auf dem Hügel unter dem Maulbeerbaum«, das inzwischen auch verfilmt wurde, schildert die Schauspielerin und Regisseurin Gila Almagor ein Jugenddorf, in dem vorwiegend Kinder betreut wurden, die die Shoah überlebt hatten.

Seit der Gründung des Staates Israel kamen immer wieder neue Wellen von Einwanderern ins Land, und damit auch Kinder, die allein waren und Hilfe brauchten.

Die Suez-Krise und der Aufstand in Ungarn brachte Kinder aus diesen Regionen ins Land. Kurz darauf wurde in vielen Ländern Osteuropas die Auswanderung wieder möglich. Jetzt stellte sich für die Mitarbeiter der Jugend-Aliyah ein ganz neues Problem: Sie wurden mit Kindern konfrontiert, denen alles Jüdische fremd war, die möglicherweise erst kurz vorher erfahren hatten, dass sie jüdisch waren.

Ab 1971 nahm die Jugend-Aliyah auch Kinder auf, die in Israel geboren waren, also aus der zweiten Generation der Einwanderer stammten, deren Integration aber gescheitert war. Vielfach kamen sie aus notleidenden Familien. 1978 waren neun von zehn dort lebenden Schülern gebürtige Israelis.

Als in den achtziger Jahren die äthiopischen Juden den langen Weg über den Sudan nach Israel antraten, wurden oftmals Familien getrennt; oder Kinder verloren ihre Eltern, weil ein Drittel der Menschen auf dem Weg nach Israel starb. Durch die Aktion »Moses« wurden 1983 etwa 8 000 äthiopische Juden nach Israel ausgeflogen, davon waren 3 000 Kinder. Die meisten waren elternlos und wurden in Einrichtungen der Jugend-Aliyah untergebracht. Acht Jahre später wurden in der Aktion »Salomon« weitere 2 500 äthiopische Kinder aufgenommen.

Ab 1992 kamen Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien. Auch der Zustrom aus den ehemaligen GUS-Staaten hielt unvermindert an.

Heute leben etwa 12 000 Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren in etwa hundert Kinderdörfern. Etwa ein Drittel ist aus Äthiopien, ein weiteres Drittel aus der ehemaligen Sowjetunion. Ein Drittel ist in Israel geboren. Sie sind milieugeschädigt oder Waisen. In der letzten Zeit kommen wegen des steigenden Antisemitismus oder der unsicheren wirtschaftlichen Situation immer mehr Kinder aus Frankreich und Südamerika.

Durch die zweite Intifada ist der emotionale und wirtschaftliche Druck für viele Kinder, die meist aus nicht intakten Familien kommen, stärker geworden, was sich in einer Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten niederschlägt. Zusätzlich bringen die gestiegenen Sicherheitsmaßnahmen Einschränkungen mit sich. So können kaum noch Ausflüge oder Aktivitäten außerhalb der Jugenddörfer durchgeführt werden. Zudem verursachen die Nachrichten von Terroranschlägen Ängste, weil Verwandte oder Freunde betroffen sein könnten, und beeinträchtigen eine gesunde soziale und seelische Entwicklung. Die Mitarbeiter versuchen dem durch zahlreiche zusätzliche Aktivitäten und sozialpädagogische und psychologische Maßnahmen entgegenzuwirken.

So gibt es Klassen für Sondererziehung, psychologische Zentren und unterschiedliche Rehabilitations- und Therapieprogramme sowie Berufsbildungszentren. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf künstlerischen Aktivitäten.

Der deutsche Zweig der Jugend-Aliyah ermöglichte 1994 die Gründung eines Sinfonieorchesters. Es besteht aus 45 Jugendlichen, die in verschiedenen Einrichtungen der Kinder- und Jugend-Aliyah, Jugenddörfern und Kibbuzim leben. Unter ihnen sind neu in Israel ankommende Immigranten, überwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion, ein junges Mädchen aus Äthiopien und auch bereits etablierte Immigranten und gebürtige Israelis.

Das Orchester soll die erzieherischen Ziele der Kinder- und Jugend-Aliyah unterstützen: Talententwicklung, Förderung begabter Schüler, Integration und Toleranz. Es gibt den Kindern einen Rahmen für gemeinsame Musikaufführungen auf hohem Niveau. Das musikalische Repertoire spiegelt den breiten kulturellen Hintergrund der verschiedenen Orchestermitglieder. Mit öffentlichen Aufführungen bereichert das Orchester das kulturelle und musikalische Leben in Israel und erfüllt somit eine wichtige und lebhafte Erziehungsaufgabe.

Albert Einstein, der 1954 Recha Freier für den Friedensnobelpreis vorschlug, sagte: »Die Jugend-Aliyah war ein Mittel, um den von ihr betreuten Kindern nicht nur die physische und seelische Gesundheit wiederzugeben, sondern auch den Glauben an menschliche Liebe und Würde.«

»Rettet die Kinder!«, Museum Judengasse, Frankfurt am Main. Bis 7. März

Jungle World
Jungle World Nummer 6 vom 28.01.2004

kt / hagalil.com / 2004-01-28

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