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Schweiz:
Blocher fürs Volk

Zum ersten Mal seit 40 Jahren ändert sich die Zusammensetzung des Schweizer Bundesrats. Der Rechtspopulist Christoph Blocher hat gute Chancen, Minister zu werden...

Nick Luethi

Die Großleinwände stehen schon bereit, sogar in alternativen Kulturzentren muss der Kinosaal für die Live-Übertragung herhalten. Nein, die Fussball-EM mit Schweizer Beteiligung steht erst noch bevor. Was am heutigen Mittwoch die Schweizer in den Bann der Mattscheibe zieht, erscheint im Fernsehprogramm weder unter Sport noch in der Rubrik Unterhaltung: Politik ist angesagt. Es gilt, einer Entscheidung von epochalem Charakter beizuwohnen. Wird die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates nach über vierzig Jahren erstmals geändert? Und zwar, indem ausgerechnet die schillerndste Figur aus Politik und Wirtschaft in der Regierung einen Sitz erhält?

Bei einem entsprechenden Wahlerfolg von Christoph Blocher wäre die Schweizerische Volkspartei (SVP) mit zwei Mitgliedern im siebenköpfigen Bundesrat vertreten, was der Partei nach ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen von Ende Oktober durchaus zugestanden werden kann. Mit 27 Prozent Wähleranteil ist die SVP zur stärksten Partei avanciert (Jungle World, 44/03).

In der großen Kammer des eidgenössischen Parlaments, dem Nationalrat, stellt sie mit 55 Abgeordneten die größte Fraktion. Vor acht Jahren waren es noch 29. Ebenfalls zugelegt haben SP und Grüne. Zu den Verlierern gehören die FDP und die Christdemokraten (CVP). Das neu konstituierte Parlament wird am heutigen Mittwoch den Bundesrat wählen.

Wie das Spektakel genau über die Bühne gehen wird, weiß niemand. Nach wochenlangen Gesprächen zwischen den Parteispitzen, konnte man sich einzig darauf einigen, die Wahlen ordentlich über die Bühne bringen zu wollen. Das lässt tief blicken.

Seinen Anfang genommen hat der Wahlkrimi am Abend des 19. Oktober. Nachdem der Sieg der SVP feststand, hat Ueli Maurer, Präsident der Schweizerischen SVP, das Ziel durchgegeben: Angesichts ihrer deutlichen Gewinne sei die Zeit reif für einen zweiten Sitz für die SVP im Bundesrat. Damit rüttelte Maurer an einer 44jährigen Tradition. Seit 1959 ist die parteipolitische Zusammensetzung der Schweizer Regierung unverändert geblieben. SP, FDP und CVP stellen je zwei Minister, während die SVP als traditionell wählerschwächste der vier Regierungsparteien mit einem Posten Vorlieb nehmen musste. Diese Zusammensetzung ging als »Zauberformel« in die Geschichte ein.

Ist die Forderung der SVP nach einem zweiten Sitz noch einigermaßen nachvollziehbar, so folgte die Provokation, als Maurer den Namen des Kandidaten bekannt gab: Christoph Blocher. Und dazu die Drohung: Sollte das Parlament Blocher nicht in die Regierung wählen, geht die SVP in die Opposition.

Die Reaktion auf den Bundesratskandidaten Blocher war absehbar. Empörung allerorten. Je weiter weg vom Geschehen, desto lauter der Aufschrei. »Ein milliardenschwerer Nazi«, titelte die italienische Zeitung L’Unità. Die Schweiz sei auf dem Weg zum Haiderismus, hieß es in Madrid. Wer aber ist dieser Blocher, der außerhalb des Landes wohl bekannteste Schweizer Politiker? Zweifellos beherrscht der reiche Industrielle das Spiel mit rechten Reflexen gegen das Establishment perfekt. Beliebtes Feindbild ist die »Classe Politique«, eine verfilzte Machtelite, der sich Blocher trotz seiner 24 Jahre als Mitglied im Bundesparlament selbstverständlich nicht zugehörig fühlt. Das politische Programm der SVP kann als nationalliberal bezeichnet werden, um nicht den abgegriffenen Terminus des Neoliberalismus bemühen zu müssen. Programmatisch zusammenfassen lässt sich das in Forderungen wie: Steuern runter, »Scheinasylanten« raus, kein Beitritt der Schweiz zur EU und immer währende Neutralität.

Trotz aller Ähnlichkeiten mit Parteien wie Jean-Marie Le Pens Front National oder Jörg Haiders Freiheitlichen unterscheidet sich die SVP in wesentlichen Punkten, zum Beispiel in der menschenverachtenden Rhetorik, wie sie Le Pen und Haider pflegen. Blocher geht zwar nicht gerade zimperlich mit seinem politischen Gegner um, antisemitische Wendungen indes gehören nicht zu seinem Vokabular. Von weiter rechts außen wurde Blocher auch schon des Philosemitismus bezichtigt, weil seine Töchter Magdalena, Miriam und Rahel alttestamentliche Namen tragen. Eines der dunkelsten Kapitel in Blochers politischer Biografie ist sein Engagement in der »Arbeitsgruppe südliches Afrika« ASA, einer Lobby für die Apartheid, deren Positionen auch größtenteils in den bürgerlichen Parteien geteilt wurden. In der Vereinspostille wurde das rassistische Regime gegen eine Machtübernahme des »kommunistischen« African National Congress verteidigt.

Insgesamt ist die SVP eine heterogene Partei, deren Ausleger von der politischen Mitte bis nach rechts außen reichen. Dass in den vergangenen Jahren die konservativen Tendenzen gestärkt wurden, ist nicht alleine in der SVP zu beobachten. Auch die beiden anderen bürgerlichen Regierungsparteien FDP und CVP erodierten in der Mitte und suchen ihren Erfolg nun im rechten Spektrum. Am ehesten lässt sich Blocher mit einer Figur wie dem früheren deutschen CSU-Politiker Franz Josef Strauß vergleichen.

Blocher in der Schweizer Regierung wäre nüchtern betrachtet kein Skandal. Zum einen ist er im Bundesrat nur einer von sieben Ministern. Außerdem besteht die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht wie beabsichtigt der angeschlagenen CVP einen Ministerposten wegschnappt, sondern den vakanten Sitz der nach rechts aufgerückten FDP übernimmt. So bliebe eine Mitte-Links-Mehrheit von SP und CVP im Siebenergremium erhalten.

Wird Blocher nicht gewählt – auch das ist ein realistisches Szenario –, droht die SVP mit dem Gang in die Opposition. Diese Drohung ist ernst zu nehmen. Konkrete Folge dieser so genannten Opposition wäre eine Obstruktionspolitik mittels Referenden. Damit würden missliebige Gesetzesvorschläge für längere Zeit blockiert und müssten nach einem Verdikt der Bevölkerung vom Parlament neu ausgearbeitet werden. Und zwar mit dem ständigen Risiko, dass die SVP ein Referendum initiiert.

Deshalb gehen Schweizer Politikwissenschaftler davon aus, dass die SVP in der Opposition höchstens über eine einzige Legislaturperiode auszuhalten wäre. Danach würden die übrigen Parteien alles daran setzen, die SVP wieder in die Allparteienregierung einzubinden. In zentralen Bereichen der Bundespolitik, wie etwa Renten, Altersvorsorge, Haushalt oder Verteidigung, ist der Weg bereits von der amtierenden Regierung vorgezeichnet. Dabei wird eines klar: Um unsoziale Politik zu machen, braucht es keinen Blocher.

Jungle World
Jungle World Nummer 51 vom 10.12.2003

kt / hagalil.com / 2003-12-10

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