Der stellvertretende italienische Ministerpräsident
Gianfranco Fini hat alles Mögliche getan, um der Welt zu beweisen, dass sich
seine Partei Alleanza Nazionale (AN) von der faschistischen Vergangenheit gelöst
hat. Schon in Italien besuchte er diverse Holcaust-Gedenkstätten, 1999 legte er
an der Exekutionsmauer in Auschwitz einen Kranz nieder. Und nun hat er eine
dreitägige Israelreise inklusive Besuch von Yad Vashem unternommen. Mit einer
Kippa auf dem Kopf kniete Fini nieder, um vor der ewigen Flamme einen Kranz
niederzulegen. Auch mit Worten sparte er nicht. Fini entschuldigte sich für die
Rassengesetze, die Mussolini 1938 nach deutschem Vorbild erlassen hatte. »Das
italienische Volk übernimmt die Verantwortung« für das, was nach 1938 geschehen
ist, sagte Fini. Die Republik von Salò bezeichnete er als ein »schändliches
Kapitel der italienischen Geschichte«. In dem 1943 installierten
norditalienischen Marionettenstaat des nationalsozialistischen Deutschland
nahmen die Deportationen jüdischer Italiener erheblich zu. Bei seinem Treffen
mit dem israelischen Premier Ariel Sharon schließlich verurteilte Fini sogar
neue Formen des Antisemitismus, »die sich als Antizionismus ausgeben«.
Nach so viel Entgegenkommen scheint Fini endgültig
rehabilitiert von seiner faschistischen Vergangenheit in der Movimento sociale
italiano (MSI), der nach dem Krieg gegründeten Partei der italienischen
Faschisten, in die Fini schon als 19jähriger eintrat. Zwar gab es in Israel
heftige Diskussionen vor seinem Besuch, doch der Präsident der italienischen
Gemeinschaft in Israel, David Cassuto, verzichtete schließlich auf einen
Boykott. Und begleitet wurde Fini bei seinem Besuch von einem, der ihn lange mit
größtem Misstrauen beäugt hatte: von Amos Luzzatto, dem Vorsitzenden der
jüdischen Gemeinschaften in Italien. Zum ersten Mal habe Fini im Zusammenhang
mit dem Holocaust auch »den Faschismus erwähnt«, lobte Luzzatto.
Nicht überall kam Finis Kehrtwende so gut an. Seine
Parteigenossen daheim reagierten mitunter ziemlich nervös auf seine Worte. »Ich
bin mit Finis historischen Ansichten über die Republik von Salò nicht
einverstanden. Er ist kein Historiker. Er kann nicht beurteilen, was andere
getan haben«, betonte Assunta Almirante, die Witwe des MSI-Gründers Giorgio
Almirante.
Doch ein dummer Junge ist Fini keinesfalls. Vielmehr ist der
AN-Chef ein kluger Taktiker, der das Thema der faschistischen Vergangenheit
schamlos ausnutzt. Denn die Abkehr vom Faschismus ist nicht so sehr das Ergebnis
eines langsamen Gesinnungswandels. Seit Jahren spielt Fini mit der
Zweideutigkeit. Immerhin bemüht er sich schon seit sieben Jahren darum,
offiziell Israel besuchen zu dürfen. Mit der Umwandlung der alten MSI in eine
neue Partei, die AN, leitete Fini 1995 die Öffnung gegenüber dem politischen
Zentrum ein. Zugleich bekannte er sich immer wieder zur Tradition seiner Partei.
Noch 1994 bezeichnete er Mussolini als einen der »größten Staatsmänner des
vergangenen Jahrhunderts«. Vergangene Woche relativierte Fini die in Israel
abgelegten Schuldbekenntnisse wieder: »Wir wissen alle, dass der Faschismus
nicht nur das war. Doch wenn wir wollen, dass diese wahren Kapitel von allen
akzeptiert werden, müssen wir auch die Verantwortung für die anderen Seiten
annehmen.« Auch jetzt noch trägt das Parteiwappen der AN die faschistische
Flamme der MSI. Und daran wird so bald nicht zu rütteln sein.
»Die Flamme symbolisiert unsere Verbindung zur MSI, und wer
die MSI angreift, bekommt es mit mir zu tun«, sagte Mirko Tremaglia. Der für die
Auslandsitaliener zuständige Minister ist ein typischer Vertreter der alten
Garde, die die AN noch immer als politische und kulturelle Erbin des Faschismus
sieht. Für sie ist die Kontinuität selbstverständlich. Schließlich waren viele
der heutigen AN-Mitglieder selbst aktive Faschisten oder stammen aus
faschistischen Familien. Tremaglia kämpfte als Freiwilliger für die Republik von
Salò. »Ich bin mit meinem Gewissen im Reinen. Ich stehe zu meiner Geschichte und
der Republik von Salò. Fini kann unsere Vergangenheit nicht auslöschen. Ich
werde meine Identität nie verleugnen«, sagt Tremaglia. Wie er haben viele
prominente Mitglieder der AN ein Problem mit dem neuen Geschichtsbild ihres
Parteichefs. Am deutlichsten wurde die AN-Abgeordnete Alessandra Mussolini, eine
Enkelin des Duce. Als Reaktion auf Finis Verurteilung des Faschismus trat sie
aus der Partei aus. »Da wurde ein Vorurteil, das meinen Nachnamen betrifft,
sanktioniert«, begründete sie den konsequenten Schritt, für den sie in der
Partei viel Applaus erhielt.
Dagegen begrüßen die jüngeren AN-Mitglieder Finis öffenlich
inszenierten Bruch mit der Vergangenheit. Dumpfer Faschismus scheint out und nur
noch etwas für Nostalgiker zu sein. Nach einer Umfrage das Magazins L’Espresso
sind 80 Prozent der AN-Wähler für eine Distanzierung der Partei von der
faschistischen Vergangenheit.
Fini kann sich der Sympathie vieler Italiener gewiss sein.
Die Leserbriefe auf der Website der Tageszeitung La Repubblica zeigen: Als das
wirklich absurde Phänomen in der Regierung werden nicht die Postfaschisten
wahrgenommen, sondern der Polit-Unternehmer Berlusconi. Neben dem italienischen
Ministerpräsidenten wirkt der diplomatische Fini geradezu staatsmännisch. Viele
konservative Wähler begrüßen zudem das Entstehen einer echten Alternative zu
Berlusconi. Manche wünschen sich gar, dass Fini die Partei wechselt.
Doch gerade das wird er nicht tun. Schließlich ist es ihm
gelungen, seine Partei salonfähig zu machen, nun auch auf internationaler Ebene.
Noch vor zwei Jahren scheiterte er, als er sich beim Rücktritt des damaligen
Außenministers um dessen Nachfolge bewarb. Ein postfaschistischer Außenminister
Fini schien damals noch nicht geeignet, Italien im Ausland zu vertreten. Nun hat
er auch auf europäischer Ebene sein lang ersehntes Ziel erreicht. »Jetzt dürfte
unserem Beitritt in die Europäische Volkspartei nichts mehr im Weg stehen«,
kommentierte offenherzig der Vizepräsident des Senats, Domenico Fisichella, ein
Abgeordneter der AN. Derart etabliert, ist Fini bestens vorbereitet auf die Zeit
nach Berlusconi.