Begriffsklärung:
Islamophobie?
Über die Karriere eines Begriffs...
Caroline Fourest und Fiammetta Venner
Islamophobie« ist ein Begriff, der heute in weiten Kreisen
der Gesellschaft verwendet wird; von der »Bewegung gegen Rassismus und für
Freundschaft unter den Völkern« (MRAP) bis zum französischen Regierungschef
Jean-Pierre Raffarin, und, ungeschickter noch, von Claude Imbert von Le Point.
Er taucht auf in einer Zeit, in der man sich darauf versteift hat, die Frage des
Rassismus und der Integration auf eine konfessionelle Frage zu reduzieren – als
ob jeder aus dem Maghreb stammende Franzose ein praktizierender Moslem wäre und
die Ghettoisierung der Banlieues eine Folge des Zusammenpralls der Religionen.
Insgesamt korrespondiert die Ersetzung des Wortes »Rassismus«
durch »Islamophobie« mit der Politik, die der französische Innenminister Nicolas
Sarkozy betreibt. Die künstliche Schaffung des Französischen Rats der
Islamischen Religionsausübung hat nicht nur die desaströse Konsequenz einer
Amalgamierung liberaler Moslems mit den extremistischen Moslems des Verbands der
islamischen Organisationen Frankreichs (UOIF) gezeitigt, sondern erweckt
zugleich den Eindruck, dass die Probleme des gesellschaftlichen Ausschlusses
einzig über den Umweg der religiösen Integration zu lösen seien: Die über die
Polizeiübergriffe empörten Banlieue-Bewohner müssen sich mit ihren Beschwerden
nur an die Imame wenden, da die Rückkehr zur Religion die einzig mögliche
Vermittlung zu sein scheint, die vom Innenminister vorgeschlagen wird.
Noch beunruhigender ist jedoch, dass immer mehr linke
Aktivisten, einschließlich der Antirassisten, an diesem Amalgam partizipieren.
Aus der Frage nach dem Schleier haben sie eine Frage von »Rassismus« gemacht –
statt sie zu einer Frage des »Fundamentalismus« zu machen. Es scheint nicht mehr
möglich zu sein, zugleich Antirassist und Gegner der sexistischen
Interpretationen des Koran zu sein, ohne sich als »islamophob« beschimpfen zu
lassen. Die laizistischen Aktivisten, die sich gegen das Vordringen totalitärer
religiöser Zeichen in die Schulen aussprechen und sich dem Diktat der Religion
der Extremisten widersetzen, werden sogleich des Rassismus verdächtigt. Wie ist
es dazu gekommen? Durch welche haarsträubende Umkehrung der Situation konnte die
öffentliche französische Debatte an diesem Punkt auf falsche Gleise gelenkt und
blockiert werden? Die Antwort konzentriert sich in einem einzigen Wort:
»Islamophobie«.
Dieser Begriff hat eine Geschichte, die man kennen sollte,
bevor man ihn leichtfertig benutzt. Das Wort wurde zum ersten Mal 1979 von den
iranischen Mullahs verwendet, die jene Frauen, die sich weigerten, den Schleier
zu tragen, zu »schlechten Muslimen« degradierten, indem sie sie bezichtigten,
»islamophob« zu sein. Der Begriff ist dann in der Rushdie-Affäre reaktiviert
worden, und zwar von Londoner islamistischen Vereinigungen wie Al Muhajiroun
oder der Islamic Human Rights Commission, deren Statuten vorsehen, »die
Informationen über den Missbrauch der Rechte Gottes zu sammeln«. Tatsächlich
fällt der Kampf gegen die »Islamophobie« in diese Kategorie, da er alle Angriffe
auf die fundamentalistische Moral umfasst (Homosexualität, Ehebruch, Blasphemie
usw.). Die ersten Opfer der »Islamophobie« sind in ihren Augen die Taliban,
während die von diesen Gruppen am häufigsten genannten »islamophoben« Täter
Salman Rushdie oder Taslima Nasreen heißen. Anstatt irgendeinen Rassismus zu
bezeichnen, dient das Wort in Wirklichkeit dazu, diejenigen zu disqualifizieren,
die sich den Fundamentalisten widersetzen, und das sind zuerst die Feministinnen
und die liberalen Moslems.
Gleichzeitig haben die christlichen Fundamentalisten in
Frankreich genau die gleiche Gangart eingeschlagen. Die Allgemeine Vereinigung
gegen Rassismus und für die Bewahrung der französischen Identität (Agrif), die
Gruppierung um den Front-National-Politiker Bernard Antony, der sich in die
Kampagnen gegen Martin Scorsese einmischte, hat sich ein sehr viel effektiveres
Mittel ausgedacht, um gegen Blasphemie zu kämpfen: Prozesse wegen
»antichristlichen Rassismus«. Der einzige Unterschied zwischen den beiden
Maßnahmen ist der Widerstand, auf die sie jeweils stoßen. Tatsächlich wird
niemand getäuscht, wenn die Vereinigung Agrif Prozesse wegen »antichristlichen
Rassismus« führt. Jeder weiß, dass es in Wirklichkeit darum geht, gegen jede
Religionskritik zu kämpfen.
Dabei ist alle Welt dem Begriff der »Islamophobie« auf den
Leim gegangen. Nachdem er sich in den britischen antirassistischen Vereinigungen
durchgesetzt hat, ist das Wort in Frankreich von dem Philosophen und Theoretiker
Tariq Ramadan inthronisiert worden, dessen widersprüchliches Auftreten als
reformistischer fundamentalistischer Moslem und als Dritte-Welt-Aktivist es
erlaubt hat, das Wort schnell bei der extremen Linken zu verbreiten. Seither
treibt es unsere Debatten in die Falle, indem es all jene, die es wagen, sich
den radikalen und politischen Interpretationen des Islam zu widersetzen,
systematisch zu Angeklagten macht, und zwar effektiver, als es eine Fatwa
vermocht hätte. Wirft Vincent Geisser in seinem Buch »Die neue Islamophobie«
etwa nicht Vereinigungen wie SOS Racisme, die der Moschee von Paris nahe
stehenden Rektoren und liberalen Imame und die investigativen Journalisten, die
über den islamistischen Terrorismus berichten, wild durcheinander und bezeichnet
sie alle als islamophob? Der Kreis hat sich geschlossen.
Wer wird es jetzt noch wagen, gegen den Schleier oder die
anderen archaischen Interpretationen des Islam zu opponieren, ohne Angst zu
haben, als »islamophob« behandelt zu werden? Gestern noch, anlässlich der
Rushdie- und der Scorsese-Affäre, kamen die Presse und die
Menschenrechtsvereinigungen zusammen, um Nein zu sagen zu den »Kreuzfahrern der
moralischen Ordnung«, also den Fundamentalisten. Heute geschieht das genaue
Gegenteil. Die Gegner des Schleiers werden auf den Seiten von Le Monde als
»Kreuzfahrer des Laizismus« bzw. »Ayatollahs des Laizismus« behandelt.
Gleichzeitig werden die fundamentalistischen Aktivisten der UOIF, einer
Organisation, die Kamikaze-Attentate billigt, in die Fernsehstudios eingeladen,
um dort die Opfer zu spielen. Das ist der Beweis, dass das Wort all seine
Versprechungen gehalten hat.
Nicht nur, dass es ausgezeichnete Dienste im Kampf gegen die
Blasphemie leistet, es entleert die Frage des Rassismus auch ihrer Substanz.
Denn als »islamophobe Bombe«, nicht als »rassistische Bombe« hat die MRAP das
Buch von Oriana Fallaci »Die Wut und der Stolz« behandelt. Anstatt die klar
rassistischen Stellen des Buches zu zitieren (und es gab welche), hat es die
Vereinigung vorgezogen, gleichermaßen die Passagen herauszustellen, die
lediglich den Islam kritisieren. Schlimmer noch, die Liga für Menschenrechte,
die lange Zeit Salman Rushdie unterstützte, hat sich kürzlich den islamischen
Vereinigungen angeschlossen, die die »Satanischen Verse« angegriffen hatten. Ihr
gemeinsames Angriffsziel? Ein Satz von Michel Houellebecq, der sagte: »Wenn man
den Koran liest, dann ist man niedergeschlagen.« Nichts sehr Alarmierendes,
zumindest wenn man bedenkt, dass man die Religion immer kritisieren kann, und
vor allem, dass Houellebecq auch nicht gerade zart gegenüber den anderen
Religionen ist.
Voilá, das ist die unhaltbare Situation, in die uns der
Begriff »Islamophobie« gebracht hat. Niemand spricht mehr von Rassismus, und
wenn Salman Rushdie heute seine »Satanischen Verse« veröffentlichte, stünden
gewisse antirassistische Vereinigungen an der Seite der Islamisten, um ihn als
»islamophob« zu kritisieren.
Caroline Fourest und Fiammetta Venner sind Gründerinnen des
französischen Magazins Revue ProChoix und Autorinnen eines Buches über Laizismus
und Fundamentalismus. Der hier publizierte Text stammt von der webpage
www.prochoix.org und wurde aus dem Französischen übersetzt und redaktionell
überarbeitet.
Die Debatte um Antirassismus und »Islamophobie« wird
fortgesetzt.
Jungle World
Jungle World Nummer 51 vom 10.12.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-12-10
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