Antisemitismus:
Zu Martin Hohmann und dem Problem, das er hinterlässt
Nun hat die CDU/CSU-Fraktion des Bundestags Martin Hohmann
also ausgeschlossen. Alles in Butter...
Thomas Rothschild
Alles in Butter? Ist damit auch nur ein Problem gelöst? Außer
vielleicht einem Problem der Hygiene - für die CDU/CSU-Fraktion? Das aber
betrifft nur die Mitglieder der Fraktion, allenfalls die CDU/CSU-Wähler. Was
kümmert uns Andere der innere Zustand einer Partei, deren Politik wir, mit oder
ohne Hohmann, für falsch halten? Da hat Angela Merkel für ihren Antrag weniger
Zustimmung erhalten, als von ihr und ihren Anhängern erhofft, und schon
spekuliert die Welt, ob das ein Misstrauensbeweis gegen die Parteivorsitzende,
der Anfang ihres Endes sei. Schön und gut. Erstaunlich bleibt nur, wie sehr sich
die Repräsentanten jener Parteien, von denen man mit größerem oder geringerem
Recht annehmen darf, dass sie in Opposition zur CDU stehen, Sorgen machen um die
gebeutelte Dame, wann immer sie innerhalb ihrer eigenen Partei oder bei der CSU
auf Widerstand stößt. Als wäre das kleinere Übel nicht immer noch ein Übel.
Dieser kaum verhohlenen Sympathie über die Parteigrenzen
hinaus steht die Bereitschaft gegenüber, dem politischen Gegner stets
verdächtige Motive zuzutrauen oder gar zu unterstellen, wenn es gilt, die eigene
Position vorteilhaft zu profilieren. Mit ein wenig gutem Willen könnte man es
für denkbar halten, dass sich zumindest einige Gegner des Fraktions- und des
wohl bevorstehenden Parteiausschlusses von der Überlegung leiten ließen, dass
die haarsträubenden Ansichten eines Hohmann innerhalb der Partei zu
neutralisieren wären, während sie eine nicht kontrollierbare Gewalt erlangen
könnten, wenn Hohmann nun wegen seines Ausschlusses zum Märtyrer wird. Dies
erschiene ja, wenn man über politische Wirkung und nicht nur über Hygiene
nachdenkt, immerhin als eine mögliche Erwägung.
Machen wir uns nichts vor. In der CDU gibt es, wie auch in
den anderen Parteien, bis in die obersten Ränge Menschen mit antisemitischen,
nationalistischen, chauvinistischen oder extrem reaktionären Einstellungen. Auch
Sozialdemokraten werden nicht müde, sich an jene ranzuschmeißen, die darauf
stolz sein wollen, dass sie Deutsche sind. Was aber bedeutet das? Was hieße es,
wenn jemand von sich sagte: "Ich bin stolz darauf, ein Mann zu sein." Doch
offensichtlich, dass er froh ist, keine Frau zu sein. Wer auf etwas stolz ist,
wozu er nichts beigetragen hat, impliziert die Minderwertigkeit der
Alternativen. Wer darauf stolz sein will, dass er Deutscher ist, sagt damit,
dass er sich freut, kein Türke, Russe oder Eskimo zu sein. Warum nur? Hohmanns
Herzensergießungen sind die konsequente Weiterführung der Aufwertung
nationalistischen Fühlens und Denkens, die alle Parteien nach 1989 betrieben -
und diese Folge war vorhersehbar. Robert Jungk warnte bereits vor Jahren vor
einer "Napoleonisierung Hitlers". Hohmann weist den Weg dorthin über eine
vorläufige Hitlerisierung Napoleons.
Dennoch: die politische Klasse in Deutschland und übrigens
auch die kommentierende Zunft der Journalisten ist im Schnitt (also nicht in
jeder einzelnen Person!) sensibler gegenüber antisemitischen und
nationalsozialistischen Relikten als die Gesamtheit der Bevölkerung - und sei es
aus Kalkül, weil sie die Reaktionen im Ausland genauer beobachtet. Wer wissen
will, wie die Mehrheit des von allen Seiten umworbenen "Volkes" denkt, studiere
die Leserbriefe und die anonymen Umfragen zu Hohmann. Die 21 Prozent, die in der
CDU/CSU-Fraktion dem Antrag von Angela Merkel eine Absage erteilten, wären da
eine Traumzahl. Im "Volk" sprechen sich bis zu 90 Prozent für Hohmann aus.
Gewiss: aus sehr unterschiedlichen Gründen. Nicht alle, die sich zu Gunsten
Hohmanns äußern, teilen seine Ansichten. Viele solidarisieren sich da nur mit
einem, dem man, wie es ihnen scheint, den Mund verbietet. Freilich: auch bei
diesen kann man nicht davon absehen, was Hohmann vertritt. Es ist ja in den
vergangenen Jahren nicht gerade aufgefallen, dass es zu Massenprotesten gekommen
wäre, wenn man Linke zum Kuschen brachte. Revolutionärer Eifer für das freie
Wort gehört nicht gerade zu den hervorstechenden Merkmalen der jüngeren
deutschen Geschichte.
Hier aber liegt das Problem: im subjektiven Gefühl eines
beträchtlichen Teils der Bevölkerung, dass man hierzulande bestimmte Ansichten
nicht äußern dürfe, die Hohmann stellvertretend ausgesprochen habe. Nicht ein
Hohmann in der CDU oder im Bundestag ist das Problem, sondern die verbreitete
Stimmung unter jenen, die bei den nächsten Wahlen über die Zusammensetzung des
Bundestages befinden. Diese Stimmung wurde aber durch den Mehrheitsbeschluss der
CDU/CSU-Fraktion eher bestärkt als bekämpft. Kein Problem gelöst. Nix in Butter.
Dächte man an die Lösung des Problems, an politische Wirkung,
statt an Hygiene, dann müsste man alles vermeiden, was Hohmann auch nur den
Anschein eines zu Unrecht gerügten Opfers verleiht. Man dürfte nicht die Spur
einer Evidenz zulassen, dass Hohmann auf Grund eines äußeren Drucks, aus
parteipolitischem Opportunismus abgemahnt wurde. Das setzte freilich eine genaue
kritische Analyse seiner Rede voraus, und die kann die CDU nicht leisten. Sie
müsste dafür über ihren eigenen Schatten springen. Denn die Rede enthält
jenseits der überall zitierten Passagen eine ganze Reihe von Implikationen, die
auf den Konsens nicht nur der CDU, sondern der im westlichen
Nachkriegsdeutschland stabilisierten öffentlichen Meinung treffen. Hohmanns Rede
ist äußerst raffiniert komponiert - und insofern sind die
Entschuldigungsversuche des Autors in der Tat bloße Rhetorik, die den Anhängern
augenzwinkernd signalisieren sollte: man hat mich zu dieser Geste gezwungen.
Nichts in dieser Rede ist Hohmann unterlaufen. Nichts daran ist ein Versehen.
Der Legende von Hohmann als Märtyrer leistet es leider auch
Vorschub, wenn man ihn um eines Effekts willen oder aus Schlamperei falsch
zitiert. Hohmann hat die Juden nicht als "Tätervolk" bezeichnet. Seine
Argumentationskette ist weitaus infamer. Er setzt an mit der unbewiesenen
Behauptung, dass "trotz der allseitigen Beteuerungen, dass es Kollektivschuld
nicht gebe", im Kern der Vorwurf bleibe: "die Deutschen sind das ›Tätervolk‹".
Bemerkenswert ist neben der puren Ausspielung einer Unterstellung gegen die
"allseitigen Beteuerungen" der bestimmte Artikel. Bereits hier wird den
Deutschen eine angeblich von außen zugeschriebene negative Einmaligkeit
attestiert, die natürlich im Weiteren zurückgewiesen werden soll.
Nach einem längeren Exkurs kehrt Hohmann zu einer Frage
zurück, die er selbst, die Reaktionen vorausahnend und einkalkulierend, als
"provozierend" bezeichnet: "Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir
ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren
Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden." Wieder
der beiläufige bestimmte Artikel. Wo Deutsche und Juden einander gegenüber
gestellt werden sollen, kommen Armenier und Kurden, Vietnamesen und Bosnier
nicht vor.
Wiederum nach einer längeren Passage, welche, mit Berufung
auf Thesen von Johannes Rogalla von Bieberstein und von Henry Ford, die nach
Hohmanns eigenen (und zutreffenden) Worten "für unsere Ohren der NS-Propaganda
vom ›jüdischen Bolschewismus‹ ähneln", den Anteil von Juden an revolutionären
Bewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts berechnet, kommt Hohmann zu
dem Schluss, man könne "mit einer gewissen Berechtigung ... nach der
›Täterschaft‹ der Juden fragen", die "Juden mit einiger Berechtigung als
›Tätervolk‹ bezeichnen". Das würde "der gleichen Logik folgen, mit der man
Deutsche als Tätervolk bezeichnet" - was "man" zwar nicht tut, was aber Hohmann
zuvor suggeriert hat, um jetzt die übereinstimmende Logik behaupten zu können.
Und nun folgt die geschickte rhetorische Volte. In Wirklichkeit seien weder "die
Deutschen" noch "die Juden" ein Tätervolk. Beide Kollektive haben für Hohmann
den gleichen Status. Darauf läuft es hinaus. Wer behauptet, Hohmann habe die
Juden als "Tätervolk" qualifiziert, lügt und setzt den Redner mit seinen
durchaus skandalösen Thesen scheinbar ins Recht.
Dass weder "die Juden", noch "die Deutschen" ein Tätervolk
seien, leitet Hohmann mit einem "daher" aus dem Befund ab, dass "die Juden, die
sich dem Bolschewismus und der Revolution verschrieben hatten, ... zuvor ihre
religiösen Bindungen gekappt" hatten, wie auch die meisten Nationalsozialisten
ihre christliche Religion abgelegt hätten und "zu Feinden der christlichen und
der jüdischen Religion geworden" seien. Die Gottlosen seien das wahre Tätervolk
des vergangenen Jahrhunderts. Kein Wort vom bis heute geltenden Konkordat
zwischen Hitler und dem Vatikan, kein Wort von der Hilfe der katholischen Kirche
bei der Flucht führender Nationalsozialisten vor den Alliierten.
Aber niemand hat sich nach Bekanntwerden von Hohmanns Rede
über die Kriminalisierung von Agnostikern empört. Der begründete Verdacht von
Antisemitismus führte letzten Endes zum Ausschluss aus der Fraktion. Die
Denunziation von "Gottlosen" als "Tätervolk" bleibt ungerügt. Schließlich beruft
sich auch die "christlich-jüdische Versöhnung" auf die gemeinsamen religiösen
Wurzeln. Für die Erben der Aufklärung, für die Verfechter der Vernunft, seien
sie christlicher oder jüdischer Herkunft, gibt es da keine Chance. Ihnen kann
man alles zutrauen. Sie können sich, in Hohmanns Worten, "souverän über das
göttliche Gebot ›Du sollst nicht morden‹ hinwegsetzen". Gläubige haben da, wie
uns die Geschichte von den Kreuzzügen bis zu Irland und Israel belehrt, sehr
viel größere Hemmungen.
Den deutschen Außenminister erregte an Hohmanns Rede am
meisten, dass er die Juden den Deutschen gegenüberstelle, deutsche Juden somit
nicht als Deutsche betrachte. Dass es die Unterscheidung zwischen deutschen
Christen und Juden nicht geben soll, ist gut gemeint, bleibt aber ein frommer
Wunsch, jedenfalls im gegebenen Zusammenhang. Juden hatten nun mal nicht die
gleiche Chance wie andere Deutsche, KZ-Aufseher zu werden, aus Gründen, die auch
Frauen die Chancengleichheit bei der Begehung von Kriegsverbrechen vorenthalten.
Weder die Juden, noch die Frauen sind bessere Menschen, aber ihre
Diskriminierung wirkt - tatsächlich und im Bewusstsein der Nachkommen - weiter,
über mehr als eine oder zwei Generationen. Doch abgesehen davon: wo bleibt
Joschka Fischers gerechter Zorn, wenn der deutschjüdische Professor für Neuere
Geschichte an der Universität der Bundeswehr, Michael Wolffsohn, in der
Zeitschrift des Bundestages ein kollektives "Wir", das "die Juden" bezeichnet,
der "deutschen Öffentlichkeit" gegenüberstellt, wenn er sich "als Teil des
›Jüdischen Volkes‹" unter Deutschen, die gegen den Irak-Krieg der USA sind, in
der "Inneren Emigration" fühlt, also ebenso wie die Gegner der
Nationalsozialisten, die während des Dritten Reichs in Deutschland geblieben
waren?
Juden wissen genau wie Farbige, Türken oder Rollstuhlfahrer,
dass sie als "anders" wahrgenommen werden und dass dieses "Andere" meist negativ
besetzt ist. Diese Tatsache wegzuretuschieren wäre der gleiche verhängnisvolle
Fehler wie die Leugnung der Zustimmung, die Hohmann bei vielen Deutschen
erfährt. Hohmanns "Leitspruch" - "Gerechtigkeit für Deutschland, Gerechtigkeit
für Deutsche" - hat, wenn man ihn nur einen Augenblick nüchtern betrachtet,
keinerlei Grundlage in der politischen Realität. Deutschland und die Deutschen
sind in der Welt geachtet wie kaum je zuvor in der Geschichte. Aber er stößt auf
ominöse Ressentiments, wenn ausgerechnet die Juden als Erste nach dem Ausschluss
Hohmanns aus Fraktion und Partei rufen. Ob dieser Ausschluss zielführend war und
bleiben wird, muss die CDU entscheiden. Wenn Juden Hohmanns tatsächlichen
Anhängern in der Fraktion dienen und dazu beitragen wollen, dass er als Opfer
erscheint, dann mögen sie sich lautstark zu Wort melden. Gegen Dummheit ist auch
bei Juden kein Kraut gewachsen.
Weniger Rhetorik, weniger Hygiene, ernsthaftere
Auseinandersetzung und vor allem: Reflexion über die Wirkung bei jenen, die man
erst überzeugen muss - das wäre eine Perspektive. Damit hätten wir, die wir
nicht der CDU/CSU angehören, ein paar Probleme weniger.
Freitag
Freitag Nummer 48 vom 21.11.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-11-28
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