EUMC-Studie:
»Es wird keine Kooperation mit dem EUMC mehr geben«
Interview mit Werner Bergmann vom Zentrum für
Antisemitismusforschung Berlin, einem Mitautor der Studie »Manifestations of
Anti-Semitism in the European Union«, die das European Monitoring Centre on
Racism and Xenophobia (EUMC) im März 2002 in Auftrag gab...
Danièle Weber (Interview)
Das EUMC will Ihre Studie nicht veröffentlichen und moniert
die wissenschaftliche Qualität der Arbeit. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Wir haben nicht den Anspruch erhoben, das gesamte Phänomen
des Antisemitismus in Europa zu untersuchen. Darauf deutet schon der Titel der
Studie hin. Unsere Aufgabe war es, die Welle des Antisemitismus im Frühjahr 2002
zu untersuchen. Inzwischen sind die antisemitischen Aktivitäten wieder
zurückgegangen. Doch es gibt genügend Hinweise, dass die dahinter liegenden
ideologischen Strukturen latent weiter existieren.
Kollegen haben uns bestätigt, dass, etwa in Berlin, zunehmend
Antisemitismus unter Migranten vor allem aus dem arabischen Raum festgestellt
wird. Das und die Ergebnisse aus anderen Untersuchungen zeigen uns, dass sich an
den grundlegenden Aussagen der Studie nichts geändert hat.
Waren Sie von den Ergebnissen überrascht?
Nein, eigentlich nicht. Wir forschen seit 20 Jahren zum Thema
Antisemitismus in Deutschland und haben unser Wissen in die EUMC-Studie
einfließen lassen.
Haben Sie im Rahmen dieser Studie etwas Neues über
Antisemitismus in Deutschland herausgefunden?
Unsere bisherigen Untersuchungen wurden weitgehend bestätigt.
Wir wissen inzwischen über die rechtsextreme Szene und über den Antisemitismus,
der dort ein zentrales, ideologisches Element ist, relativ gut Bescheid. Dass
jedoch zum Teil auch junge Muslime für antisemitische Angriffe verantwortlich
sind, ist in Deutschland ein neueres Phänomen.
In der Studie benennen Sie einen Teil der Tätergruppe als
»junge Muslime«, »arabische oder nordafrikanische muslimische Migranten«. Das
EUMC unterstellt Ihnen in diesem Punkt Verallgemeinerungen, wie sie im Kampf
gegen Rassissmus oder Antisemitismus immer abgelehnt wurden.
Diesen Vorwurf weisen wir kategorisch zurück. Wir haben nicht
gesagt, »die Moslems« oder »alle Araber in Europa« sind antisemitisch. Wenn man
jedoch die Tätergruppen in einigen europäischen Ländern untersucht, stellt man
nun einmal fest, dass darunter Angehörige der arabisch-muslimischen Minderheit
sind. Sollte man das dann verschweigen? Wie sollte man das anders ausdrücken?
Man kann nicht jeden einzelnen Täter namentlich aufführen.
Wir sprechen auch von Antisemitismus in der rechtsextremen Szene und in der
radikalen Linken. An solchen Formulierungen hat sich aber niemand gestört. In
der Zusammenfassung einer solchen Arbeit nimmt man zwangsläufig bestimmte
Generalisierungen vor.
Leisten Sie mit Ihrer Studie der Islamophobie Vorschub?
Ich hoffe nicht, verstehe aber, dass es hier Bedenken gibt.
Es gibt viele Gründe, Angehörige von Gruppen, die selbst diskriminiert werden,
nicht auch noch mit einem solchen Vorwurf zu belasten. Dennoch darf man deshalb
nicht plötzlich einen anderen Maßstab anlegen. Das Problem des Antisemitismus in
Teilen solcher Minderheiten kann man sicher nicht durch Stillschweigen lösen.
Ihnen wird vorgeworfen, dass das Datenmaterial zu dünn ist,
um eindeutige Schlüsse zu ziehen.
Dieser Vorwurf ist äußerst merkwürdig. Die Daten wurden uns
schließlich vom Auftraggeber geliefert. Da wäre etwas mehr Selbstkritik von
Seiten des EUMC angebracht.
Das EUMC kritisiert auch die von Ihnen angewandte Definition
des Antisemitismus. Würden Sie diese Definition im Nachhinein anders
formulieren?
Nein, das ist eine international anerkannte Definition, die
wir nicht erfunden haben. Auch dieser Vorwurf ist in unseren Augen lediglich der
Versuch, unsere Arbeit im Nachhinein zu diskreditieren. Interessant ist, dass
das EUMC selbst die Länderstudien in Auftrag gegeben hat, ohne eine Definition
über Antisemitismus vorzugeben. Jedes einzelne Land hat sozusagen seine eigene
Definition entwickelt. Das hat aber damals niemanden gestört.
Wieso will denn das EUMC jetzt nichts mehr mit den Resultaten
der Studie zu tun haben?
Die Definition selbst ist nicht das Problem, sondern vielmehr
die Frage, was man ihr alles zuordnet. Es gab beispielsweise immer wieder
Meinungsverschiedenheiten über die Frage: Wo wird Israelkritik antisemitisch?
Diese Grenze ist unklar und politisch umkämpft. Deshalb haben wir Kriterien
aufgestellt, ab wann unserer Meinung nach die Grenze zum Antisemitismus
überschritten ist.
Welche Kriterien zum Beispiel?
Wenn man Juden in den europäischen Städten wegen der
israelischen Politik angreift, dann findet eine Kollektivierung statt. Man macht
sozusagen alle Juden für das Vorgehen des israelischen Staates haftbar. Das ist
für uns ein klares Merkmal von Antisemitismus.
Weil Sie antisemitische Angriffe mit Kritik an Israel in
Verbindung bringen, unterstellt Ihnen das EUMC, Sie hätten kausale Zusammenhänge
hergestellt, die auf unbegründeten Annahmen beruhen.
Man könnte meinen, die Vertreter des EUMC wüssten nicht
genau, was sich hinter dem Begriff Kausalität verbirgt. Wir haben keine
Kausalität hergestellt, wir erwähnen vielmehr, dass hier verschiedene Phänomene
parallel auftreten, zum Beispiel einerseits antisemitische Angriffe und auf der
anderen Seite eine scharfe Kritik an Israel in den Medien.
In der Studie stellen Sie fest, dass sich auch
Globalisierungskritiker antisemitischer Stereotypen bedienen.
Dafür gibt es mehrere Hinweise. Es waren unter anderem die
Diskussionen innerhalb von Attac Deutschland, die uns darauf aufmerksam gemacht
haben. Auf Demonstrationen, zu denen Attac aufgerufen hatte, sind teilweise auch
Rechte mit eindeutig antisemitischen Stellungnahmen mitmarschiert. Inzwischen
hat man das Problem bemerkt und diskutiert darüber. Das ist ein positives
Zeichen.
Die Annahme, dass die USA und Israel enge Verbündete sind,
liefere Motive für weitere antisemitische Haltungen, heißt es in der Studie.
Antiamerikanismus und Antizionismus seien in der Linken eng liiert. Woraus
leiten Sie hier die antisemitische Einstellung ab?
Zur Anti-Bush-Demo in Berlin gab es beispielsweise ein Plakat
auf dem Uncle Sam einen Jojo als Weltkugel am Finger hält. Sein Gesicht trägt
zudem eine typische »Judennase« – ebenfalls ein antisemitisches Bild.
Häufig gesellen sich zur Kritik an der israelischen und
amerikanischen Politik Weltverschwörungstheorien. Da wird angedeutet, die Juden
würden die amerikanische Regierung beherrschen. Da werden Zusammenhänge, die wir
aus der antisemitischen Propaganda kennen, etwa ein Weltbeherrschungsansatz,
hergestellt.
Bei der IWF-Konferenz in Davos bauten die
Weltwirtschaftskritiker ein goldenes Kalb auf, um das Rumsfeld- und
Sharon-Masken herum tanzten. Da fragt man sich, wieso ausgerechnet Israel, das
sicher nicht zu den reichsten Nationen gehört, herausgegriffen wurde. Wieso hat
man nicht Deutschland oder Frankreich gewählt?
Wie schätzen Sie das antisemitische Potenzial in der EU heute
ein?
Durch den Nahostkonflikt ist das Thema Antisemitismus zu
einer Art Dauerthema geworden. Man kann sagen, dass innerhalb der Kritik an der
israelischen Politik antisemitische Stereotype und Vorurteile Äußerungschancen
bekommen.
Die Studie wird nun fortgesetzt, es fand bereits eine neue
Ausschreibung statt. Haben Sie sich beteiligt?
Nein, es wird keine Kooperation mehr mit dem EUMC geben. Wir
haben ohnehin bis heute keine offizielle Mitteilung über den weiteren Werdegang
der Studie bekommen. Aus der Tatsache, dass eine neue Studie ausgeschrieben
wurde, haben wir überhaupt erst geschlossen, dass unsere Studie wohl nicht
veröffentlicht wird. Jetzt sind wir gespannt, was dabei herauskommen wird. Ich
bin mir relativ sicher, dass das Resultat ähnlich ausfallen wird.
Jungle World
Jungle World Nummer 51 vom 10.12.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-12-10
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