Auf dem weiten Feld der Sektierereien ist eine kleine
Parzelle der "antideutschen Linken" fix reserviert. Unter allen linken
Seltsamkeiten ist diese gewiss eine der seltsamsten Erscheinungen. Sie
betrachtet die Welt gewissermaßen als Chiffre. Deutsch wird übercodiert mit
Antisemitismus, Faschismus, Rassenwahn.
Das wäre noch nicht bemerkenswert, würden nicht alle anderen
Erscheinungen der Welt in ihrem Verhältnis zum "Code Deutsch" definiert und
damit selbst zum Code. So wird Israel zum Code für das Große Andere vis-à-vis
dem Deutschen, zur Chiffre für Differenz, die sich gegen Homogenisierung
sträubt. Israel wird so zu einer reinen Phantasmagorie - und leidenschaftlich
verteidigt gegen Kritik jeder Art. Und weil an der Seite Israels die USA stehen,
wird auch Amerika zum Reich des Guten, dem das Reich des Bösen - das Deutsche -
gegenübersteht. So enden die Antideutschen im Lexikon der Absonderlichkeiten als
jene Linken, die wortreich Scharon und Bush feiern.
Das sollte man wissen, bevor man das Buch "Djihad und
Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg" zur Hand nimmt. Und man darf sich
nicht zu sehr durch krause Thesen des Autors Matthias Küntzel irritieren lassen.
So glaubt er etwa, dass "das Gros (!) der Antiglobalisierungsbewegung"
Denkformen anhängt, die als "zumindest implizit antisemitisch" ausgewiesen
seien, oder er meint, die deutsche Außenpolitik ziele darauf ab, "die Zentren
des Islamismus um jeden Preis auf ihre Seite" zu ziehen.
Trotzdem ist dem Autor eine materialreiche, gut komponierte
und verstörende Studie über den islamischen Antisemitismus gelungen. Einen
Antisemitismus, der in vergleichbarer Form vor achtzig Jahren noch nicht
existiert hat. Zwar waren die Jüdischen Gemeinden in den muslimischen Ländern
davor einer leisen Verachtung der Mehrheitsbevölkerung und auch gewissen
rechtlichen Benachteiligungen ausgesetzt, diese bewegten sich aber im Rahmen
dessen, was jede Minderheit zu erdulden hatte. Eher waren die Juden ihrer
Verbindungen, ihrer Kompetenzen und damit ihrer Fähigkeiten wegen, die arabische
Welt mit der westlichen Moderne zu verbinden, gern gesehen.
Erst mit der jüdischen Kolonisation in Palästina, dem
Entstehen der ägyptischen Muslimbrüderschaft und der Radikalisierung des
palästinensischen Widerstandes durch den Mufti von Jerusalem begann die
Geschichte jener islamischen Verschärfung, deren Folgen wir heute tagtäglich
erleben. Das Ressentiment gegen die jüdische Besiedlung lud sich mit Elementen
des traditionellen europäischen Antijudaismus ebenso auf wie mit Spuren des
nazistischen Rassenhasses.
Heute zirkulieren die "Protokolle der Weisen von Zion"
hunderttausendfach zwischen Marokko und Malaysia, haben sich die Stereotype
durchgesetzt, wie sie über Jahrhunderte in Europa tradiert wurden: das vom
geldgierigen Juden, dessen zersetzender Wurzellosigkeit, seiner dunklen Energie,
die Welt zu regieren und zu manipulieren. Israel ist in dieser Deutung die
Repräsentanz des Jüdischen, mal Kettenhund des Imperialismus, mal eigentlicher
Drahtzieher eines jüdisch-amerikanischen Komplotts. Verbreitet von Predigern wie
Sayyed Qutb, dem ägyptischen Vater des militanten Islamismus, aufgegriffen von
der palästinensischen Hamas, weitergedreht durch al-Qaida, entstand so eine
ideologische Wahnwelt, die Küntzel mit den Worten "eliminatorischer
Antizionismus" beschreibt.
In der Charta der Hamas sind die Juden verantwortlich für
alles Übel der Welt, von der französischen bis zur bolschewistischen Revolution
und zum US-Imperialismus. Bin Ladens Front kämpft nach eigenem Bekunden gegen
"Juden und Kreuzzügler". All dies wirkt, auf verformte Weise gewiss, wieder auf
Europa zurück, schlägt Wurzeln in den muslimischen Emigranten-Gemeinschaften
zwischen Paris und Neuköln, als Re-Import des europäischen Antisemitismus. Ein
brennendes Problem, metaphorisch, bisweilen aber auch buchstäblich.
Man sollte vor dem nicht die Augen verschließen, auch wenn
man Konzepte eines Clash of Civilizations zurückweist. Darum ist Küntzels Buch
als Aufriss eines Phänomens empfehlenswert. Gedanken über den Status des
Phänomens muss sich der Leser selber machen. Wie tief dieser Antisemitismus
sitzt, der ja nicht so fest in Mythen und Legenden wurzelt wie sein europäischer
Verwandter, ist eine Frage, die sich aufdrängt. Wie weit der Wahnwitz der
Extremisten die Mehrheiten durchdringt, eine zweite.
Antworten darauf müssen spekulativ bleiben. Von dem
prominenten linken Wiener Juden John Bunzl stammt die Anmerkung, dass
Antisemitismus und Israelkritik in der arabischen Welt und in Europa gleichsam
inverse Formen annehmen: Diente die Übernahme antisemitischer Muster in der
arabischen Welt zur Delegitimierung Israels, so ist die Delegitimierung Israels
in Europa ein Mechanismus zur Bestätigung des eigenen Antisemitismus.
Dass aber auch importierte Stereotype ein ziemlich
erschreckendes Eigenleben beginnen können, wird man nach Lektüre von Matthias
Küntzels Buch nur schwer bestreiten können, auch wenn seine Studie in ihrer
allgemeinen theoretischen Perspektive höchst problematisch ist.
Matthias Küntzel: "Djihad und Judenhass. Über den neuen
antijüdischen Krieg". 186 Seiten, ça ira Verlag, Freiburg 2003, 13,50 €