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Judentum und Israel
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Im Gespräch:
Bitte kein Generalverdacht

Voruteile und Sterotype - Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, über Konstanten und Veränderungen im Verhältnis zu den Juden und zu Israel...

Das Gespräch führte Ramon Schack

FREITAG: Ariel Sharon hat kürzlich den Europäern "Kollektiven Antisemitismus" vorgeworfen. Teilen Sie diese Einschätzung des israelischen Premierministers? WOLFGANG BENZ: Nein, jeder kollektive Vorwurf verläuft im Sande. Antisemitismus ist ein äußerst vielschichtiges Phänomen und nicht auf Europa begrenzt. So etwas wie einen "Kollektiven Antisemitismus" gibt es nicht.

Handelt es sich bei den in Deutschland in jüngster Zeit festzustellenden antisemitischen Begriffen und Grundeinstellungen eher um eine Art Novum oder um eine historische Konstante? Einen dramatischen Anstieg des Antisemitismus in Deutschland hat es in letzter Zeit nicht gegeben. Man sollte auch genauer differenzieren. Es gibt einen Grundstock in der Bevölkerung mit einem mehr oder weniger geschlossenen, antisemitischen Weltbild. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht grundlegend verändert und unterliegt nur geringfügigen Schwankungen. Wenn aktuelle Umfragen bezüglich der Debatten etwa um Hohmann und Möllemann den Eindruck erwecken, hier habe eine grundlegende Umorientierung stattgefunden, so ist dieser Eindruck nicht richtig. Man kann davon ausgehen, dass diejenigen Befragten, die sich kritisch über Israel oder Juden äußern, nicht pauschal antisemitisch eingestellt und auch nicht als Antisemiten zu betrachten sind. Viel eher sind solche aktuellen Umfragen von einer gewissen aufgeheizten emotionalen Berichterstattung beeinflusst, als dass langfristige Entwicklungen zu erkennen sind.

Gibt es so etwas wie das typische Psychogramm eines Antisemiten und sind solche Menschen in allen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus zu finden? Je höher der Bildungsgrad, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, antisemitisch zu sein. Und umgekehrt. Diese Faustformel gilt heute mehr denn je. In den ersten Jahren der Bundesrepublik rekrutierten sich Antisemiten aus den Milieus der Altnazis, die immer noch völkisch und rassistisch dachten. Diese Gruppe ist fast nicht mehr existent. Heute ist der Antisemitismus fest im Spektrum von rechtsextremen Kreisen verankert, im neonazistischen Milieu. Diese Gruppen zeichnen sich in der Regel durch einen formal niedrigen Bildungsstand aus. Sie haben die alten antisemitischen Feindbilder, zusammen mit einem xenophoben und rassistischen Weltbild, übernommen. Es gibt auch einen Antisemitismus unter Intellektuellen, der sich meistens indirekt artikuliert.

Gibt es regionale Hochburgen des Antisemitismus und existiert ein signifikanter Unterschied zwischen den neuen und den alten Bundesländern? Die antizionistische Staatsdoktrin der DDR hat relativ geringe Spuren in den neuen Ländern hinterlassen. Stärkeren Antisemitismus gibt es dort nicht, eher dominieren Unkenntnis oder Indifferenz, wie im Westen übrigens auch. Regionale Hochburgen sind nicht zu erkennen, aber in ländlichen Regionen halten sich Vorurteile und Stereotype länger als in den urbanen Ballungsgebieten.

Wie gut kennen die Deutschen eigentlich Ihre Mitbürger jüdischen Glaubens? So gut wie gar nicht. Und trotz jahrelanger Aufklärungsarbeit und Medienpräsenz gibt es noch gewaltige Wissensdefizite und Bildungslücken über das Judentum. Vor einiger Zeit brachte eine Umfrage erstaunliche Ergebnisse. Wie viele Juden gibt es in Deutschland? Nicht selten wurden abenteuerliche Zahlen genannt, sechs Millionen beispielsweise.

Welche Rolle spielt die Berichterstattung über den Nahostkonflikt bei der Entstehung antisemitischer Klischees? Eine geringere als allgemein angenommen. Sicherlich haben die Ereignisse in Israel und Palästina zu einer kritischeren, bisweilen auch ablehnenderen Haltung gegenüber Israels Politik geführt. Dadurch ist aber keine neue Welle des Antisemitismus in der europäischen Öffentlichkeit entstanden.

Nun hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Bevölkerungsstruktur Europas stark verändert. In Frankreich spricht man inzwischen vom Entstehen eines "maghrebinischen Antisemitismus". Nicht selten sind jugendliche Täter aus arabischen Einwandererfamilien für Übergriffe auf Menschen jüdischen Glaubens und jüdische Einrichtungen verantwortlich. Ist die Entstehung eines islamistischen Antisemitismus heute möglicherweise eine größere Gefahr als angenommen? Die Mehrheit der muslimischen Immigranten lehnen Gewalt und antisemitische Übergriffe ab. Allerdings halte ich die rasante Ausbreitung antisemitischer Pamphlete gerade in der arabischen Welt für bedrohlich. Das, so befürchte ich, wird noch zunehmen und tangiert auch das Zusammenleben hierzulande. Dieses Thema sollte allerdings mit äußerster Sensibilität behandelt werden, man muss sich davor hüten, pauschal alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Wahrscheinlich tut sich die Öffentlichkeit auch deshalb mit Recht bei der Bewertung und Benennung dieses Phänomens so schwer. Die Lage in Frankreich ist mit der in der Bundesrepublik allerdings nicht zu vergleichen. Ein Großteil der Einwanderer hierzulande ist türkischer Herkunft und nicht arabischer wie in Frankreich. Dort haben diese Migranten einen anderen emotionalen Zugang zum Nahostkonflikt und zu Israel. In Deutschland haben wir eine andere Ausgangslage.

Das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin (ZFA) wurde 1982 gegründet und ist die einzige Institution ihrer Art in Europa. Professor Wolfgang Benz war lange Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. Seit 1990 ist er Leiter des ZFA.

Freitag
Freitag Nummer 52 vom 19-12-2003

kt / hagalil.com / 2003-12-19

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