Antisemitismus:
Schiefe Eindrücke gerade rücken
Das Projekt "Kein Bammel" will junge Leute über
Antisemitismus aufklären - zum Beispiel den 11. Jahrgang eines Beelitzer
Gymnasiums: Die Schüler haben das Jüdische Museum besucht, die Aufarbeitung
leisten sie gemeinsam...
Torben Trupke
Ruhig und beschaulich liegt die Ver.di-Jugendbildungsstätte
Berlin-Konradshöhe an der Havel. Drinnen sitzen zwölf Mädchen und drei Jungen
aus dem 11. Jahrgang des Sally-Bein-Gymnasiums in Beelitz in einem Stuhlkreis,
um sie herum stehen Tafeln, auf denen bunte Zettel kleben. Es geht um
Antisemitismus. Wie entstehen antisemitische Einstellungen eigentlich? Wie
äußert sich so was im Alltag, und was kann man dagegen tun?
Das einwöchige Seminar "Kein Bammel", dass der Verein
"Tacheles Reden" gemeinsam mit dem
Bildungsteam Brandenburg und der Gewerkschaft Ver.di hier veranstaltet, will
Antworten auf solche und ähnliche Fragen geben. Oder besser: diese gemeinsam mit
den Schülern finden. Denn davon sind die Organisatoren Paul Stefanowske und
Tanja Kinzel überzeugt: "Je mehr man sich selbst erarbeitet, desto mehr bleibt
auch hängen." Es soll eben gerade nicht so sein wie in der Schule, wo alles vom
Lehrer vorgegeben wird.
Gestern waren sie im Jüdischen Museum und haben in
Arbeitsgruppen herauszubekommen versucht, woher das Wort "Antisemitismus"
eigentlich stammt. Oder wie sich in der Zeit zwischen 1750 und 1933 jüdisches
Leben in Deutschland entfaltet hat. Die Schüler, die mit unterschiedlichem
Vorwissen ins Seminar kamen, wurden aber nicht unvorbereitet ins Museum
geschickt. Schon im Vorfeld der Exkursion hatten Stefanowske und Kinzel sie mit
den verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus vertraut gemacht. So
versuchten die 16- bis 17-Jährigen, in Rollenspielen die Entstehung des
religiösen Judenhasses nachzuvollziehen. Und sie lernten, was sich hinter den
Begriffen "moderner Antisemitismus" ( im 19. Jahrhundert) und "sekundärer
Antisemitismus" (nach 1945) verbirgt.
Bei den jungen Teilnehmern scheint das Konzept des Seminars
gut anzukommen. "Die sagen uns hier nicht, wie es sein soll, sondern lassen uns
viel selbst machen", meint Mareen. Und Mathias ergänzt: "Die Atmosphäre ist echt
locker." Ihm gefällt, dass die beiden Seminarleiter Kritik nicht direkt üben,
sondern nett verpacken und keinen vor den Kopf stoßen. Das Verhältnis zu
Stefanowske und Kinzel ist kameradschaftlich, beide lassen sich von den
Jugendlichen duzen. Sie fühlen sich wohl hier, und das ist gut für die
Arbeitsatmosphäre.
Im Jüdischen Museum hatten die Schüler Probleme, die
Schautafeln alle richtig einzuordnen und zu verstehen. In der Gruppendiskussion
haben sie sich dann viel erarbeitet - ganz im Sinne der Organisatoren. Natürlich
stimmt nicht alles, was die Beelitzer Gymnasiasten im Museum recherchiert haben.
Dass es teilweise noch Wissenslücken gibt, wird in den Referaten deutlich, in
denen sie einen Tag später den Mitschülern ihre Ergebnisse vorstellen. Das macht
aber gar nichts, denn Kinzel und Stefanowske unterbrechen immer mal wieder,
bereiten den Stoff auf und rücken schiefe Eindrücke gerade.
Dass das Seminar überhaupt zustande kam, ist der engagierten
Beelitzer Geschichtslehrerin Andrea Rach zu verdanken. Sie hat ihre Schüler
darauf aufmerksam gemacht und dazu ermutigt, sich anzumelden. Denn die Teilnahme
daran ist freiwillig. "Kein Bammel" ist Teil des Projektes "Bildungsbausteine
gegen Antisemitismus", das es seit Anfang 2002 gibt. Die Arbeitsgemeinschaft hat
sich das Ziel gesetzt, Schüler, Auszubildende und Mitarbeiter der Jugendarbeit
für die Thematik zu sensibilisieren. Sie sollen lernen, vorgefertigte Meinungen
in Frage zu stellen, eindimensionale Erklärungsmodelle zu entlarven, und
Strategien kennenlernen, wie man Antisemitismus im Alltag spontan und wirksam
begegnet. Das vom Bund geförderte Projekt befindet sich noch in der
Entwicklungsphase. Doch dass es bei den Schülern ankommt, hat es schon jetzt
bewiesen.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung Berlin vom 19.12.2003
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/ 2003-12-19
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