Vor sechzig Jahren zerstörten Wehrmachtstruppen die
Kleinstadt Kalavryta und 23 weitere Orte auf dem nördlichen Peloponnes. Fast 700
griechische Zivilisten wurden ermordet. An der Gedenkveranstaltung am 12.
Dezember in Kalavryta wird der neue deutsche Botschafter in Griechenland, Albert
Spiegel, als Vertreter der Bundesregierung teilnehmen. Die deutsche Haltung, die
NS-Verbrechen an der Zivilbevölkerung rechtlich nicht anzuerkennen und die Opfer
nicht zu entschädigen, wird sich allerdings nicht ändern.
Am 13. Dezember 1943 töteten deutsche Soldaten in Kalavryta
477 Männer im Alter zwischen 15 und 65 Jahren auf einem in der Nähe gelegenen
Feld, während die Frauen und Kinder in der Schule eingesperrt wurden und
verschont blieben. Der Ort wurde geplündert und die meisten Häuser wurden
niedergebrannt. Das Unternehmen Kalavryta war Teil einer groß angelegten
Vergeltungsaktion, die die 117. Jägerdivision unter General Karl de Suire Anfang
Dezember 1943 ausführte. Zuvor hatten Partisanen etwa 80 gefangene deutsche
Soldaten erschossen, nachdem ein Gefangenenaustausch nicht zustande gekommen
war.
Die Frauen, die Witwen der ermordeten Kalavrytarer, stellten
nach dem Massaker ein Holzkreuz auf dem Berg oberhalb der Hinrichtungsstätte
auf. Kalavryta ist inzwischen ein Gedenkort mit nationaler Bedeutung. Denn dort
wird nicht nur an die zivilen griechischen Opfer während der deutschen Besatzung
erinnert, sondern auch an die nationale Befreiungsbewegung von 1821, die in dem
nahe gelegenen, ebenfalls von den Deutschen zerstörten Kloster Aghias Lavras
ihren Anfang genommen hat.
An so bedeutenden Orten müssen auch deutsche Vertreter
öffentlich trauern. Gibt es in Griechenland doch immer noch viele Diskussionen
um ungeklärte Fragen bei der Entschädigung der Opfer von NS-Massakern.
Im Fall des Massakers von Distomo wurde im Juli zwar die
Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vom griechischen Bundesgerichtshof
abgewiesen, es ist aber eine Verfassungsbeschwerde anhängig, und die
Verurteilung Deutschlands zu Entschädigungszahlungen durch das oberste
griechische Gericht im Mai 2000 ist nach wie vor rechtskräftig.
Bundespräsident Johannes Rau war vor drei Jahren, kurz vor
dem Urteil, in Kalavryta. Mehr als »Trauer und Scham« über das Verbrechen
äußerte er dort allerdings nicht. Den konkreten Fragen nach Entschädigung, die
ihm von Vertretern der griechischen Opfer gestellt wurden, wich er aus.
Vor dem diesjährigen Jahrestag in Kalavryta organisierte die
Europäische Jugend gegen Gewalt und Rassismus ein Jugendseminar, das u.a. das
Bildungsministerium Nordrhein-Westfalen und das Auswärtige Amt finanzierten.
Zwölf Jugendliche aus Herne und Gütersloh erneuerten und bepflanzten den Weg vom
Ort zur Gedenkstätte und nahmen an einem geschichtlichen Workshop teil. Die
Jugendorganisation mischte auch bei der Ausgestaltung der Gedenkwoche mit, die
deshalb teilweise zu einer Promotion-Veranstaltung für die deutsche Politik der
»Wiedergutmachung« zu werden drohte.
Der Vorsitzende des Opferverbandes, Vassilios Karkoulias,
musste schon bei den Organisatoren intervenieren, weil ihm »die Sache zu
deutsch« wurde, wie er erklärte, auch wenn er dem Jugendprojekt ansonsten
positiv gegenübersteht.
Die regierungsnahe Jugendorganisation ist nicht nur in
Griechenland aktiv, sondern auch an anderen bekannten Orten deutscher
Vernichtungsaktionen: in Oradour, Lidice, Marzabotto und Warschau. Passend dazu
trauerte Außenminister Joseph Fischer Anfang Oktober beim diesjährigen Gedenktag
in Marzabotto in Italien mit. Schließlich will man ein gutes Gewissen haben,
auch wenn die zur Zwangsarbeit eingesetzten italienischen Militärinternierten
weiterhin keine Entschädigung aus dem Stiftungsfond »Erinnerung, Verantwortung,
Zukunft« erhalten.
Diese Art der Gedenkpolitik erinnert ein wenig an das
Hilfsprojekt der SPD-Politikerin Ehrengard Schramm. In den fünfziger und
sechziger Jahren organisierte sie Ausbildungsmöglichkeiten in der BRD für
Jugendliche, in deren Familien Menschen von den Deutschen ermordet worden waren.
Im Griechenland der Nachkriegszeit war die antideutsche Stimmung im besonderen
Maße durch das Massaker in Kalavryta geprägt. Das zeigte sich immer wieder in
Presseartikeln, die rund um den Gedenktag erschienen. Die deutsche Regierung
hatte dank Schramms Projekt die Möglichkeit, die rechtliche Anerkennung des
Verbrechens zu vermeiden, um gleichzeitig ein für die deutschen Wirtschaftspläne
in Griechenland förderliches Projekt mit moralischem Nebeneffekt vorweisen zu
können.
Die Linie der Bundesregierung zur Entschädigungsfrage fasste
ein vormaliger deutscher Botschafter im Gespräch mit dem Historiker Hagen
Fleischer präzise zusammen: »Ganz einfach. Wir wollen nicht zahlen. Aber, bitte,
zitieren Sie mich nicht!«
Eine klare Abgrenzung zu den Tätern gibt es ebenfalls nicht.
Albert Spiegel, der neue Botschafter, trat Mitte August im griechischen Kommeno
auf der Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des deutschen Massakers zusammen
mit dem Vorsitzenden des Kameradenkreises der Gebirgstruppe, Ernst Coqui, auf,
obwohl dem Kreis nicht nur an diesen Morden beteiligte, dringend tatverdächtige
Gebirgsjäger angehören. Am 18. August 1943 hatten dort Angehörige der 1.
Gebirgsdivision 317 Einwohner, größtenteils Frauen und Kinder, niedergemetzelt.
Die öffentliche Aufmerksamkeit, die im Juni das Hearing über
die Traditionspflege bei den Gebirgsjägern im Bayrischen Mittenwald
hervorgerufen hat, während dessen beispielhaft die Verfolgung der Täter von
Kommeno im Vordergrund stand, musste offensichtlich kompensiert werden. (Jungle
World, 24/03)
Im Fall Kalavryta wurden die Täter ebenfalls nie von einem
deutschen Gericht verurteilt. Vor dem griechischen Oberlandesgericht in Patras
sind zudem noch 3 268 Klagen von NS-Opfern auf Entschädigung anhängig. Kurz vor
dem Jahrestag beantragte der Anwalt der deutschen Seite die Vertagung.
Der Prozess soll jetzt im Mai 2005 stattfinden. Vassilios
Karkoulias, der Vorsitzende des Opferverbandes, sieht darin eine
Verschleppungstaktik. »Die Deutschen wollen doch warten, bis alle tot sind.«