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Serbien:
Der Sieg des Totengräbers

Wahlen in Serbien ...

Boris Kranzleiter

Drei Jahre nach dem bejubelten Sturz Slobodan Milosevics steht Serbien wieder vor einer Neuordnung der undurchsichtigen politischen Machtverhältnisse.

Nach der katastrophalen Niederlage der Reformkoalition DOS bei den Präsidentschaftswahlen Mitte November gab Premierminister Zoran Zivkovic vergangene Woche die endgültige Auflösung des Parteienbündnisses bekannt, das bislang die Regierung stellte. Bei den auf den 28. Dezember vorgezogenen Parlamentswahlen werden die DOS-Parteien nun getrennt voneinander antreten und mit der weit gefächerten Opposition um Stimmen wetteifern.

Dabei werden die bisherigen DOS-Parteien, allen voran die Demokratische Partei (DS) von Premier Zivkovic, voraussichtlich eine weitere bittere Niederlage einstecken müssen. Denn wie die an einer mangelnden Wahlbeteiligung gescheiterten Präsidentschaftswahlen gezeigt haben, sind die Serben zutiefst unzufrieden. Der von der DOS unterstützte Kandidat, Dragoljub Micunovic, ein 73jähriger Politveteran, der sich von einem studentischen Linksradikalen zu einem liberalen Professor gewandelt hat, erzielte magere 35 Prozent. Hinter den Namen von Tomislav Nikolic, dem Kandidaten der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), machten dagegen 46 Prozent der Wähler ihr Kreuzchen. Also hat sich ein von westlichen Kreditgebern und den regierungstreuen Medien zum Desperado erklärter Ultranationalist gegen den Kandidaten durchgesetzt, der im Wahlkampf zur Option der Vernunft und des Fortgangs der politischen und wirtschaftlichen Reformen erklärt wurde.

Bei der Interpretation des Wahlergebnisses ist indes große Vorsicht geboten. Denn Serbien steht kaum vor einem Revival der national-populistischen neunziger Jahre oder gar vorm Faschismus. Tatsächlich ist der Wahlsieg Nikolics lediglich auf die mangelnde Wahlbeteiligung zurückzuführen. Sie lag mit nur 38 Prozent auf einem rekordverdächtigen Tiefstand. Nikolic konnte in absoluten Zahlen nicht mehr Wähler für sich mobilisieren als sein Vorgänger Vojislav Seselj bei vergangenen Wahlen. Nikolics Auftritte wirkten wie Begräbnisfeiern. Treffenderweise trägt der ehemalige Manager eines Friedhofs den Spitznamen »Totengräber«.

So drückt die Niederlage des DOS-Kandidaten Micunovic vor allem die Enttäuschung über die katastrophalen sozialen Folgen des Übergangs zur Marktwirtschaft und die Wut über zahlreiche Korruptions- und Bereicherungsaffären der regierenden Koalition aus.

Aber es wird wohl dennoch weitergehen wie bisher, wenn auch mit verändertem Personal. Denn neben der Radikalen Partei werden bei den bevorstehenden Parlamentswahlen vor allem die national-konservative Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Kostunica und der mit ihr verbündete, zur Partei transformierte neoliberale Think Tank G-17 von der Unzufriedenheit profitieren. Sie hatten zum Boykott der vergangenen Präsidentschaftswahlen aufgerufen. Ihre Anführer sind zum größten Teil ehemalige DOS-Politiker, die die Koalition irgendwann im Verlauf der vergangenen drei Jahre verlassen haben; meist weniger wegen programmatischer Differenzen, sondern weil sie in persönlichen Machtkämpfen unterlegen waren. So reduziert sich der Wahlkampf auf ein groteskes Schauspiel, in dem verfeindete Politiker einander Korruption, Bereicherung, Lüge und Verrat vorwerfen, während Politik nur in Form populistischer Schlagwörter eine Rolle spielt.

Jungle World
Jungle World Nummer 49 vom 26.11.2003

kt / hagalil.com / 2003-11-26

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