Die alten Plakate sind längst überklebt. In Erlangen wird die
von Oktober auf kommenden Sonntag verschobene Premiere des Theaterstücks "Die
Wölfe" von Hans Rehberg von einer Ausstellung und Diskussionen begleitet. Mit
diesem pädagogischen Begleitschutz reagiert das Theater Erlangen auf die
Proteste gegen die geplante Inszenierung.
Zuerst hatte der Publizist Ralph Giordano eine
Wiederaufführung des Stücks, das 1944 in Breslau uraufgeführt wurde, als
"unverzeihlich" angeklagt und auf Rehbergs Karriere im propagandistisch
genutzten Theaterbetrieb in der Zeit des Nationalsozialismus verwiesen. Den
Bedenken schlossen sich der Oberbürgermeister der Stadt Erlangen und der
Kulturausschuss an, bis als Kompromiss herauskam, die Premiere zu verschieben
und mit einer Ausstellung zu begleiten, die über den Autor, den Gebrauchswert
seiner Texte für die Verherrlichung des Nationalsozialismus und seine möglichen
Differenzen mit dem System kritisch informiert. Zudem sind begleitende
Diskussionen angesetzt.
Trotzdem gehen die Proteste weiter. Der Landesverband der
Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern kritisierte das Festhalten am Vorhaben
der Aufführung als "unerträglich" und "unverantwortlich" in einer Zeit, "in der
Geschichtsklitterungen an der Tagesordnung sind". Dem Inszenierungswillen des
jungen Regisseurs Marc Pommerening wird unterstellt, dem Autor, Mitglied der
NSDAP, ein Forum zu bieten. Als ob das Regietheater mit Texten nichts anderes
anzufangen wüsste, als dramatische Texte wie ideologische Programme zu
verkünden. Das Theater und die Intendantin Sabine Dhein aber halten an der
Premiere fest. Dhein und Pommerening betonten von Anfang an, dass sie gerade die
Ambivalenzen des Textes, der mehr sei als ein Durchhaltestück über den
U-Boot-Krieg, interessieren.
Man kann noch nicht wissen, ob die Hoffnung Pommerenings, mit
dem Stück hinter die ideologische Aufrüstung blicken zu können, aufgeht.
Grundsätzlich aber kann die Analyse der Kunst unter der Diktatur sehr fruchtbar
sein. Natürlich erhält der Streit um das Recht, das Stück aufzuführen, neue
Brisanz durch den Fall des CDU-Abgeordneten Hohmann. Dennoch ist kaum
vorstellbar, dass die Kunst des Nationalsozialismus Auslöser oder Verstärker von
rückkehrenden nationalistischen Tendenzen sein kann, die ihre Ursachen immer in
Entwicklungen der Gegenwart haben.
Es hat wohl kaum zur Neuproduktion von
nationalsozialistischem Gedankengut geführt, dass sich Literatur- und
Kunstwissenschaften Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre nach einer
langen Zeit der Verdrängung und Tabuisierung mit der Kunstproduktion des
Nationalsozialismus befassten. Das führte nicht nur zu einer Entdeckung der
Banalität in Film, Kunst und Literatur, die dem Nationalsozialismus als Material
der Unterhaltung und Ablenkung gedient hatte, und zu den erwarteten Begegnungen
mit einem übertriebenen Pathos und einem versteinerten Kunstbegriff. Das war die
eine Seite, die vorhersehbare, die den Kanon der Kunst, auf den man sich als das
positive Erbe der Moderne seit den Wiederaufbaujahren gern wieder bezog,
unangetastet ließ.
Viel erschreckender aber war die Einsicht in die
Überschneidungen zwischen Moderne und faschistischer Ideologie: All die
Kunstgesten, die man als heroisch und widerständig gerettet glaubte, die
diffamiert und verboten worden waren, wie der Expressionismus, der Futurismus,
der Konstruktivismus, erwiesen sich als längst nicht so resistent gegen den
Nationalsozialismus wie lange behauptet. Ebenso wie in der Politik die Utopien,
die Bilder von einer neuen und befreiten Gesellschaft entwarfen, in ihren
Mitteln Konzepte der Vernichtung und Ausrottung des Alten nicht ausschlossen.
Damit zerfiel der Glaube der absoluten Trennbarkeit in gute und böse, moderne
und faschistische, richtige und falsche Kunst. Und mehr noch: Die humanistische
Grundverabredung, Kunst immer auf der Seite des Guten oder doch zumindest der
kritischen Instanz zu wähnen, ließ sich nicht mehr halten.
Ein wichtiger Bildungsschocker der Zeit, die
"Männerphantasien" von Klaus Theweleit, ging aus einem intensiven Blick auf
Freikorpsliteratur und Soldatenromane hervor, um festzustellen, welche Figuren
eigentlich unkritisch und unbeobachtet fortgeschrieben wurden, die der Ideologie
des Nationalsozialismus den Nährboden geboten hatten: Figuren von männlichen
Tugenden, Verklärung von Opfer und Erlösung, wurden seitdem viel stärker als
Verdachtsmomente beobachtet.
Das zu verdauen, blieb anstrengend. Der Schrecken über die
Zwiespältigkeit der Moderne, über die Anschlussfähigkeiten zwischen Utopien und
Totalitarismen brachte schließlich eine ganze ästhetische Schule hervor. Davon
lebten nicht nur die Stücke von Heiner Müller, Elfriede Jellinek oder Einar
Schleef. Sie wurde geradezu zu einem Hype des Stadttheaters, zum unverzichtbaren
Bestandteil im Ausweis eines kritischen Bewusstseins.
Vor diesem Hintergrund ist die Aufregung und Ablehnung
jeglicher Aufführung des Stücks einerseits unverständlich. Wohl aber kann man
sich andererseits gut ein starkes Genervtsein vorstellen darüber, wie das Thema
auch zu einem Selbstläufer geworden ist, wann man in der Konkurrenz um
öffentliche Aufmerksamkeit einen Punkt machen will.
Das Stück, "Die Wölfe" von Hans Rehberg, um das es geht,
existiert nur in Manuskripten, von denen eines der Sohn des Autors, der bekannte
Schauspieler Hans-Michael Rehberg, dem Regisseur gegeben hat. Das gibt der
Diskussion im Vorfeld auch eine leicht mythische Dimension: ein zu Recht
vergessener Autor, wie Peter von Becker, Redakteur beim Berliner Tagesspiegel,
mit Blick auf die verquaste Sprache meint, oder die Entdeckung eines
ambivalenten Autors, wie Peter Rühle meint. Ambivalenz allein reicht aber heute
nicht mehr als Grund für eine Entdeckung. Ambivalenz zu entdecken ist
mittlerweile zu einem Selbstläufer geworden.