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Insolvenz der IG Farben:
Sieg durch Pleite

Der Rechtsanwalt Volker Pollehn und der CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt haben die Zeichen der Zeit erkannt. Als Liquidatoren der »IG Farben AG in Auflösung« beantragten sie in der vorigen Woche die Insolvenz – eigentlich ein Widerspruch in sich, wenn die Abwickler die Abwicklung beantragen...

Tjark Kunstreich

Der Rechtsanwalt Volker Pollehn und der CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt haben die Zeichen der Zeit erkannt. Als Liquidatoren der »IG Farben AG in Auflösung« beantragten sie in der vorigen Woche die Insolvenz – eigentlich ein Widerspruch in sich, wenn die Abwickler die Abwicklung beantragen. Sie waren die letzten in einer langen Reihe von Juristen, deren ganzes Tun darauf ausgerichtet war, das schrumpfende Vermögen der IG Farben vor Ansprüchen ehemaliger Zwangsarbeiter zu schützen. Keinen Cent sollte es für die Überlebenden geben.

Nach einem Prozess Ende der fünfziger Jahre mussten die damaligen Liquidatoren einmal bis 5 000 Mark an jüdische Überlebende zahlen. Die Höchstsumme erhielt, wer mehr als ein halbes Jahr lang Zwangsarbeit für die IG Farben geleistet hatte; die durchschnittliche Lebenserwartung im IG Farben-KZ Auschwitz-Monowitz betrug drei Monate, wie das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal feststellte.

An dieser Stelle könnte nun eine Chronologie der größeren und kleineren Skandale der Auflösungsgesellschaft folgen. Die Versuche, an ehemaliges Kapital der IG Farben in der früheren DDR und der Schweiz heranzukommen, gehören ebenso dazu wie der Umgang mit überlebenden Zwangsarbeitern, die in den neunziger Jahren regelmäßig vor den Aktionärsversammlungen protestierten. Die Aktionäre ließen immer wieder ihrem Verdruss ob der Tatsache, dass es Überlebende überhaupt gibt, freien Lauf.

Dennoch, im Vergleich zu anderen Firmen, die begannen, sich mit ihrer Vergangenheit zu befassen, d.h. zu berechnen, wie profitabel eine humanitäre Geste wäre, wirkte die IG Farben anachronistisch. Hier gab es sie noch, die Nazis im Lodenmantel und die zackigen Sprüche. Die Weise, in der die IG Farben sich der Vergangenheit stellte, wurde zum willkommenen Gegenpol der neuen Offenheit, die behauptete, man sei, trotz des gleichen Namens, des gleichen Geldes und, anfänglich, der gleichen Manager, heute keineswegs identisch mit Siemens oder Degussa. Es war keine Rede mehr davon, dass die IG Farben eine Protagonistin der harten Haltung war, die deutsche Unternehmen fast ein halbes Jahrhundert lang durchhielten.

Die IG Farben i.A. verlor ihre Existenzberechtigung, als die Verweigerung der Entschädigungszahlungen überflüssig geworden war. Die Mehrheit der Überlebenden ist inzwischen tot, die Situation der noch Lebenden so elend, dass jeder Betrag akzeptiert wurde, und vor allem stellte sich heraus, dass sich Schuldeingeständnisse, und seien sie noch so verdruckst, in moralisches Kapital verwandeln ließen, wie das Beispiel Degussa zeigt.

Die bloße Behauptung, man habe sich der Vergangenheit gestellt, reicht aus, um mit der Lieferung der Anti-Graffiti-Chemikalie Protectosil für das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals in Berlin ein zweites Mal an ermordeten Juden zu verdienen.

Bedanken sollten sich die Manager der Degussa bei den ehemaligen Aktionären der IG Farben, die allerlei Unbill in Kauf nahmen, um der deutschen Wirtschaft diesen unverhofften Extraprofit zu verschaffen.

Bernhardt, der verbliebene Liquidator der IG Farben, kündigte jetzt an, über die firmeneigene Stiftung – die ursprünglich zum Zwecke der Entschädigung der Zwangsarbeiter gegründet worden war und weiter existieren wird – die Schweizer UBS-Bank in den USA zu verklagen: um 2,2 Milliarden Euro »Entschädigung« für die seit 1945 entgangene Kriegsbeute.

Jungle World
Jungle World Nummer 48 vom 19.11.2003

kt / hagalil.com / 2003-11-19

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