"Das Geld der I.G.Farben gehört den deutschen Anteilseignern.
Und ganz bestimmt nicht den jüdischen Zwangsarbeitern, die ohnehin schon genug
Entschädigung gekriegt haben." Das war 55 Jahre lang Credo der meisten Aktionäre
der Nachfolgegesellschaft der verbrecherischen I.G. Farben. In deren
Chemiefabriken schufteten sich während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 vor allem
jüdische Zwangsarbeiter aus ganz Europa zu Tode. Zur Rekrutierung dieser
modernen Sklaven betrieb die Terrortruppe der Nazis, die SS, im
"Generalgouvernement Polen" ein eigenes Konzentrationslager: Auschwitz-Monowitz.
Und eine Tochter der Degussa - Mitglied im Konzern der I.G. Farben - produzierte
für die Nazis das Menschenvernichtungsgas Zyklon B.
Doch die deutschen Aktionäre der "Blutaktie" könnten jetzt
leer ausgehen. Bis zuletzt hatten sie darauf gesetzt, dass es der
Nachfolgegesellschaft doch noch gelingen werde, das vor dem Krieg schnell
"verschweizerte" Vermögen der I.G.-Farben-Tochter I.G. Chemie in Höhe von
umgerechnez 2,2 Milliarden Euro zurückzubekommen. Nach Firmenneugründungen und
Bankenfusionen in der Schweiz gehört es heute angeblich der Großbank UBS. "Der
Gesellschaft droht Zahlungsunfähigkeit aufgrund mehrerer möglicher
Zahlungsausfälle", teilten die Liquidatoren der I.G. Farben in Abwicklung jetzt
mit. Details zur offenbar bevorstehenden Insolvenz wurden allerdings nicht
genannt. Das Restvermögen der Firma - rund 10 Millionen Euro - bestand
vornehmlich aus Immobilien. Insider glauben, die Liquidatoren könnten sich beim
Kauf einiger Objekte verspekuliert haben.
Mit der Insolvenz könnte die Forderung nach endgültiger
Schließung der Firma endlich Wirklichkeit werden, die kritische Aktionären und
Opfervereinigungen seit Jahren erheben. Allerdings werden dann nicht nur die
Spekulanten leer ausgehen, sondern auch die ehemaligen Zwangsarbeiter. Bislang
nämlich hatte das Unternehmen 1999 - nach Jahren der absoluten Resistenz gegen
jede Entschädigungsforderung - lediglich einen Fonds von lächerlichen 3
Millionen DM eingerichtet. Doch damit der Brüskierung der ehemaligen
Arbeitssklaven nicht genug. Nur die Zinsen aus dem Fonds sollten den Opfern
zufließen. Nach der Insolvenzwarnung verlor die Aktie gestern 23 Prozent. Dass
die "Blutaktie" überhaupt an der Börse gehandelt wird, halten die Opferverbände
und die kritischen Aktionäre nach wie vor für einen Skandal.
[TAZ vom 8.11.2003, KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT]
Entwertete Blutaktien ^
DIE AKTIONÄRE DER I.G. FARBEN WERDEN KEIN GELD ERHALTEN
Man könnte sich freuen. Nach 51 Jahren ist die
Nachfolgegesellschaft der verbrecherischen Interessengemeinschaft Farben AG, die
I.G. Farben in Abwicklung, endlich pleite. Zwei Generationen von Liquidatoren
haben das Restvermögen der Firma offenbar restlos durchgebracht. Und all die
unverbesserlichen alten Nationalsozialisten und jungen Nationaldemokraten, die
geldgeilen Yuppies und die noch lebenden Angestellten der
I.G.-Farben-Chemiewerke fast überall im besetzten Europa, die mit den Blutaktien
der Firma noch den großen Reibach machen wollten, werden leer ausgehen.
Eigentlich hätte das Unternehmen schon Anfang der 50er-Jahre
abgewickelt werden sollen. So jedenfalls lautete die Forderung der Alliierten,
die den mit den Nationalsozialisten kooperierenden I.G.-Farben-Konzern
zerschlagen hatten. Doch die deutschen Liquidatoren und die deutschen Aktionäre
wollten ran ans durch mörderische Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft
erwirtschaftete Restvermögen der Firma, die in Monowitz bei Auschwitz ein
eigenes KZ betrieb, in dem alleine 30.000 Menschen zu Tode geschunden wurden.
Ca. 2,2 Milliarden Euro aus dem I.G.-Farben-Besitz waren schon vor dem Zweiten
Weltkrieg in die Schweiz geschafft worden. Zudem warteten die Blutaktionäre
vergeblich auf Ausgleichszahlungen des Bundes für verloren gegangenen Besitz auf
dem Boden der Ex-DDR. Eine widerliche Mischung der Spezies Homo sapiens
präsentierte sich Jahr für Jahr auf der I.G.-Farben-Hauptversammlung. Gut, dass
sie nichts bekommen werden.
Nicht gut ist, dass auch die noch lebenden ehemaligen
Zwangsarbeiter keine Entschädigung mehr erhalten. Denn das angeblich noch
existierende Restvermögen der I.G. Farben in Abwicklung von rund 10 Millionen
Euro wird im Falle der Insolvenz wohl den Gläubigerbanken zugesprochen werden.
Die könnten zu Gunsten der Opfer darauf natürlich verzichten. Und auch die
Schweizer Großbank UBS AG, die das weitaus größere Restvermögen der I.G. Farben
AG verwaltet, könnte ein entsprechendes Zeichen setzen. Nur: Wahrscheinlich ist
das nicht."