Klingt so jemand, der sich entschuldigen will? »Ich wollte
keine Unstimmigkeiten hervorrufen. Aber wir leben in einem freien Land, in dem
man die Wahrheit sagen darf. Und ich bin bei der Wahrheit geblieben.« Dies sagte
der hessische Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann am 31. Oktober der Fuldaer
Zeitung. Zuvor war bekannt geworden, dass Hohmann am 3. Oktober dieses Jahres in
seinem Heimatort Neuhaus bei Fulda eine vor Antisemitismus nur so strotzende
Rede gehalten hatte.
»Es war nicht meine Absicht, die Einzigartigkeit des
Holocausts zu leugnen. Es war nicht meine Absicht, die Juden als Tätervolk zu
bezeichnen«, versuchte sich Hohmann dann am 1. November zu rechtfertigen,
nachdem die Kritik an seinen Äußerungen auch in der CDU lauter geworden war. War
alles wieder einmal nur ein Missverständnis, eine von der Presse falsch
wiedergegebene Äußerung?
Vieles spricht eher dafür, dass es sich um eine typische
Erscheinungsform der hessischen CDU handelt. Denn Hohmann steht mit seinen
Äußerungen in einer gewissen Tradition. Der ehemalige Kassenwart der hessischen
CDU, Prinz Casimir zu Sayn-Wittgenstein, bezeichnete im Jahr 2000 das
Schwarzgeld in den Kassen seiner Partei als »Vermächtnis von in der Schweiz
verstorbenen Juden«. Und der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte
im Dezember 2002, wenn der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske die Namen von
wohlhabenden Deutschen aufzähle, handele es sich um eine »neue Form von Stern an
der Brust«.
Hohmann ist 55 Jahre alt, Major der Reserve und sitzt seit
1998 für den Wahlkreis Fulda im Bundestag, eben für den Wahlkreis, den früher
der extrem rechte inzwischen verstorbene Christdemokrat Alfred Dregger
innehatte. Zuvor war Hohmann 14 Jahre lang Bürgermeister in dem Ort Neuhof. Nach
seinem Abschluss in Rechtswissenschaften arbeitete er zunächst als Jurist im
Bundeskriminalamt, zuletzt als Kriminaloberrat in der Abteilung Terrorismus in
Wiesbaden.
In Hohmanns Rede vor der CDU in Neuhof ging es um die Krise
in Deutschland. Diese rühre daher, dass man »als Deutscher in Deutschland keine
Vorzugsbehandlung« erhalte. Er habe drei Anfragen an den Bundestag gestellt:
»Ist die Bundesregierung angesichts der Wirtschaftsentwicklung und des Rückgangs
der Staatseinnahmen bereit, ihre Zahlungen an die Europäische Union zu
verringern? Ist die Bundesregierung bereit, sich auch für deutsche
Zwangsarbeiter einzusetzen, nachdem für ausländische und jüdische Zwangsarbeiter
zehn Milliarden Mark zur Verfügung gestellt worden sind? Ist die Bundesregierung
angesichts der Wirtschaftsentwicklung und des Rückgangs der Steuereinnahmen
bereit, ihre Entschädigungszahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (also
an – vor allem jüdische – Opfer des Nationalsozialismus) der gesunkenen
Leistungsfähigkeit des deutschen Staates anzupassen?«
Die Antworten hätten Hohmann klar gemacht, dass es sich genau
so verhalte, wie er es vermute: »Hauptsache, die deutschen Zahlungen gehen auf
Auslandskonten pünktlich und ungeschmälert ein. Dafür müssen die Deutschen den
Gürtel halt noch ein wenig enger schnallen.«
Niemand könne ernsthaft den Versuch unternehmen, die deutsche
Geschichte vergessen zu machen. »Wir alle kennen«, sagte Hohmann, »die
verheerenden und einzigartigen Untaten, die auf Hitlers Geheiß begangen wurden.«
Die Frage sei jedoch, ob »das Übermaß der Wahrheiten über die verbrecherischen
und verhängnisvollen zwölf Jahre der NS-Diktatur nicht a) instrumentalisiert
wird und b) entgegen der volkspädagogischen Erwartung in eine innere
Abwehrhaltung umschlagen könnte«. Da hat jemand seinen Martin Walser gelesen.
Hohmann fragte sich schließlich: »Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir
ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren
Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?«
Hohmann findet so einige »dunkle Seiten«. Hierfür bemüht er
u.a. das Buch »Der internationale Jude« des US-amerikanischen Industriellen
Henry Ford, der darlegte, wie sich die Juden angeblich in verschwörerischer
Absicht zusammengetan hätten, um die Weltherrschaft mit wirtschaftlicher Macht,
insbesondere durch die Kontrolle des Geldes, an sich zu reißen.
Aber auch Juden führt Hohmann für seine Argumentation ins
Feld. So habe der »Jude Felix Teilhaber« 1919 gesagt: »Der Sozialismus ist eine
jüdische Idee. Jahrtausende predigten unsere Weisen den Sozialismus.« Auch die
Begründer des Kommunismus und des Sozialismus, wie etwa Karl Marx, Ferdinand
Lassalle, Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg seien Juden gewesen.
Detailliert zählte Hohmann auf, wie viele Juden in
revolutionären Gremien in Russland einst tätig waren: vier Juden im
siebenköpfigen Politbüro der Bolschewisten von 1917; 28,6 Prozent der Mitglieder
des revolutionären Zentralkomitees im Jahr 1917 seien Juden gewesen usw. Und
schließlich sei nicht zu vergessen, dass der Mord an dem Zaren Nikolaus II. und
seiner Familie von Jacob Sverdlov, einem Juden, »eigenhändig vollzogen« worden
sei.
Hohmann wies darauf hin, dass »nach einer von Churchill 1930
vorgetragenen statistischen Untersuchung« bis ins Jahr 1924 den Sowjets »28
orthodoxe Bischöfe, 1 219 orthodoxe Geistliche, 6 000 Professoren und Lehrer, 9
000 Doktoren, 12 950 Grundbesitzer, 54 000 Offiziere, 70 000 Polizisten, 193 000
Arbeiter, 260 000 Soldaten, 355 000 Intellektuelle und Gewerbetreibende sowie
815 000 Bauern« zum Opfer gefallen seien. »Daher könnte man Juden mit einiger
Berechtigung als Tätervolk bezeichnen«, sagte Hohmann. »Das mag erschreckend
klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als
Tätervolk bezeichnet.«
Hohmanns Rede stand nach Informationen der ARD-Tagesschau bis
zum 30. Oktober auf der Internetseite der CDU in Neuhof. Es handelt sich um
einen gut zehnseitigen, ausgefeilten Text. Und dennoch soll es sich nur um ein
Missverständnis handeln, dass mit einer eingeschränkten Entschuldigung abgetan
werden kann.