Martin Hohmann:
Merkel ignoriert den Wunsch des Zentralrats
Unions-Spitze gibt dem antisemitisch aufgefallenen
Abgeordneten Hohmann "letzte Chance", definiert die aber nicht Merkel ignoriert
den Wunsch des Zentralrats...
Lukas Wallraff
Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich der Zentralrat der
Juden in die Personalpolitik der Parteien einmischt. Zuletzt war dies bei einem
gewissen Jürgen Möllemann der Fall. Nun sieht sich erstmals auch die CDU-Partei-
und Fraktionschefin Angela Merkel mit Forderungen des Zentralrats konfrontiert,
sie solle einen Abgeordneten aus ihrer Fraktion entfernen. Ein Appell, der
bisher ohne Folgen blieb.
Die Äußerungen des hessischen CDU-Manns Martin Hohmann über
die Juden als "Tätervolk" hatten Zentralratspräsident Paul Spiegel so sehr
empört, dass er Merkel am Sonntag einen Brief schrieb. Darin befand er, auch
wenn Hohmann seine Äußerungen inzwischen relativiert habe, könne von einer ernst
zu nehmenden Entschuldigung keine Rede sein. Die CDU-Fraktionschefin müsse
deshalb Konsequenzen ziehen und sich von Hohmann trennen. Doch Merkel beließ es
gestern erst einmal bei einer "Rüge" und einer neuerlichen, deutlichen
Distanzierung. Was Hohmann gesagt habe, sei "unerträglich" und stehe "im
Widerspruch zu den Grundüberzeugungen der Christlich-Demokratischen Union". So
unerträglich, dass man Hohmann deshalb aus der Fraktion oder Partei ausschließen
müsste, waren Hohmanns Äußerungen jedoch aus Sicht der CDU-Führungsriege auch
wieder nicht.
Bei den Sitzungen von Bundesvorstand und Präsidium der CDU
kam man überein, Hohmann eine "letzte Chance" zu geben, wie es ein Teilnehmer
nannte. Widerspruch gab es in den Gremien nicht. Auch der Chef der
CDU-Arbeitnehmer, Hermann-Josef Arentz, der am Wochenende noch ein
Parteiordnungsverfahren gegen Hohmann gefordert hatte, nahm die Entscheidung,
Hohmann zunächst in Amt und Würden zu belassen, hin. Merkel erklärte hinterher,
sie gehe davon aus und erwarte von dem Abgeordneten Hohmann, "dass sich das
nicht wiederholt". Eine Formulierung, die weitere Fragen aufwarf: Was heißt
"das"? Keine antisemetischen Äußerungen mehr? Oder allgemein keine radikalen
Äußerungen über Minderheiten mehr - ein Hobby, das Hohmann in der Vergangenheit
sehr eifrig pflegte? Was genau muss Hohmann also tun bzw. unterlassen, um in der
CDU zu bleiben?
Die Parteichefin konnte die Kriterien, von denen Hohmanns
weiterer Verbleib in der Union abhängt, nur ansatzweise definieren. "Ich sage
mal als Beispiel", antwortete Merkel, "was am Wochenende in der Fuldaer Zeitung
gesagt wurde." In einem Interview mit seinem Heimatblatt hatte sich Hohmann
verteidigt, er sei in seiner Rede über die Juden "bei der Wahrheit geblieben".
Dieses Interview sei "in die falsche Richtung" gegangen. Trotzdem überwog
offenbar die Scheu vor einem Ausschlussverfahren, das den rechten Flügel der
Union vergrätzt hätte.
Nun kommt es selten vor, dass eine Parteivorsitzende
Forderungen des Zentralrats der Juden schlichtweg ignoriert. Ausdrücklich
betonte Merkel deshalb, sie stehe "in engem Kontakt" mit Spiegel und halte ihn
über die weiteren Beratungen auf dem Laufenden. Die Frage ist nur, ob ihm das
genügt.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 04.11.2003
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/ 2003-11-06
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