Koch opfert Hohmann :
Nach einem Eklat vor der jüdischen Gemeinde wechselt der Ministerpräsident seine
Position
Die Kehrtwende folgte dem Aufruhr auf dem Fuße: Gestern
Abend um kurz vor halb sieben lässt Roland Koch eine Erklärung verschicken, in
der er ein Verfahren zum Rauswurf Martin Hohmanns aus der CDU Hessen ankündigt...
Klazs-Peter Klingelschmidt
Die Kehrtwende folgte dem Aufruhr auf dem Fuße: Gestern Abend
um kurz vor halb sieben lässt Roland Koch eine Erklärung verschicken, in der er
ein Verfahren zum Rauswurf Martin Hohmanns aus der CDU Hessen ankündigt. 24
Stunden zuvor, am Sonntagabend, stand Hessens Ministerpräsident und
CDU-Landeschef in der Frankfurter Westenendsynagoge und verteidigte den Verbleib
eben jenes Bundestagsabgeordneten in Fraktion und Partei. Es war Kochs Beitrag
zum Jahrestag der Reichspogromnacht vor 65 Jahren - und Mitglieder der jüdischen
Gemeinde in Frankfurt waren empört. "Steht alle auf und kommt raus. Das ist ja
unerträglich", riefen Zuhörer dazwischen, so berichten es Ohrenzeugen. Und
tatsächlich lichteten sich die Reihen augenblicklich. Mehr als ein Viertel der
Besucher verließ nach Angaben von Teilnehmern den Saal.
Ausschlaggebend für Kochs Kehrtwende dürften allerdings
weniger die Proteste gewesen sein als vielmehr das Votum des Vorstandes der
Bundestagsfraktion. Auf Betreiben Angela Merkels beantragten die Vorständler am
späten Montagnachmittag einen Fraktionsausschluss Hohmanns, über den die
CDU-Abgeordneten voraussichtlich am Freitag abstimmen werden. Koch nannte
daraufhin einen Parteiausschluss "die logische Konsequenz aus der Entscheidung
der Fraktionsvorsitzenden". Damit schob er Merkel die Verantwortung für einen
Schritt zu, der in der erzkonservativen hessischen CDU höchst umstritten ist.
Erst in der vergangenen Woche vertrat der CDU-Stadtverordnete
Patrick Schenk in einem Leserbrief die Auffassung, dass Hohmann nur
ausgesprochen habe, "was im Nachkriegsdeutschland des Jahres 2003 nicht - oder
noch immer nicht - geäußert werden kann". Die Frankfurter CDU-Spitze
distanzierte sich zwar, doch der Schreibtischtäter Patrick Schenk ist noch immer
Mitglied in Fraktion und Partei. Koch selbst hatte in seiner Rede am Sonntag
zwar die antisemitischen Äußerungen des Hessen Hohmann verurteilt, sagte aber
auch, dass er mit dem CDU-Parlamentarier weiter "ringen" wolle. Beim Namen
nannte er Hohmann nicht ein einziges Mal. Er jedenfalls wolle eine solche
Gesinnung "in den eigenen Reihen bekämpfen", so Koch - und sie nicht außerhalb
weiter gedeihen lassen. Damit stellte sich Koch indirekt gegen einen Ausschluss
Hohmanns aus Fraktion und Partei, der längst auch von führenden Christdemokraten
gefordert wurde.
Sein Vorredner, der Gemeindevorsitzende und Zentralratsvize
Salomon Korn, hatte einen klaren Schritt verlangt: "Für einen geistigen
Wiederholungstäter darf es keine Bewährung geben." Mit Menschen wie Hohmann
dürfe man "nicht argumentieren", man müsse handeln: "Und zwar jetzt!" In
Deutschland dürfe es keine Meinungsfreiheit für Rassismus, Volksverhetzung und
Antisemitismus geben, "auch nicht augenzwinkernd".
Mit der Rede des Ministerpräsidenten war offenbar das Maß
dessen voll, was viele der in der Synagoge versammelten Mitglieder der jüdischen
Gemeinde ertragen konnten. Sie verließen das Gotteshaus. Und die meisten von
denen, die geblieben waren, buhten den Ministerpräsidenten am Ende seiner Rede
aus. Applaus gab es zwar, aber er blieb spärlich. Erst als Koch dann das Podium
verließ, strömten die Ausgezogenen demonstrativ zurück auf ihre Plätze - zum
traditionellen Totengebet, mit dem die Gemeinde der mehr als 1.000 Frankfurter
Bürger jüdischen Glaubens gedenkt, die nach dem 9. November 1938 der
NS-Mordmaschinerie zum Opfer fielen.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 11.11.2003
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/ 2003-11-11
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