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Fussball:
Samstag ist Kampftag

Am Wochenende gehören die Züge in Deutschland den Fußballfans. Am 18. Oktober griffen rechte Anhänger von Hansa Rostock in einem Regionalzug ein Hamburger Fußballteam an...

Andreas Baumgart

Das Plakat lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. »Nicht mit uns« ist es überschrieben, und zu lesen ist: »Mehr Mut. Mehr Toleranz. Weniger Gleichgültigkeit. Wer Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft diffamiert, bleibt draußen.« Ausgesperrt aus einem Regionalzug, meinen die Verfasser dieser Zeilen, MitarbeiterInnen der Verkehrsunternehmen und -verbünde des Landes Nordrhein-Westfalen.

Das Plakat hängt in einem Zug. Es ist Samstag, der 18. Oktober. Geht man ein Abteil weiter, fühlt man sich wie auf einem Nazi-Konzert. Glatzköpfe, mit T-Shirts bekleidet, auf denen »White Power« zu lesen ist, spielen laute Musik ab, die Fenster sind auch von außen gut sichtbar mit Reichskriegsflaggen drapiert. Niemand schreitet ein, niemand tut etwas.

In einem Regionalzug, der am 18. Oktober von Hannover nach Hamburg fährt, bleibt es allerdings nicht bei dem Abspielen von Nazimusik. An diesem Tag ist die Freizeit-Fußballmanschaft Hamburg Stadtpark zu einem Freundschaftsspiel in die niedersächsischen Landeshauptstadt gekommen. Ihre Spieler stammen aus Peru, Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Spanien, Vietnam und Deutschland. Sie werden immer wieder zu Freundschaftsspielen in Hamburg oder anderen Städten eingeladen. Diesmal ging es nach Hannover. Nach dem Spiel hat man ein wenig gefeiert, dann fährt die Mannschaft zum Bahnhof, man will den Regionalzug um 19.25 Uhr erreichen.

Die Freizeitkicker haben jedoch nicht beachtet, dass in der ersten Bundesliga Hansa Rostock an diesem Nachmittag auswärts gegen den VfL Wolfsburg spielte und 1:3 verlor. Die Rostocker Fans befinden sich gerade auf dem Heimweg. Schon in der Unterführung am Hannoveraner Bahnhof trifft die Gruppe aus Hamburg auf ein großes Polizeiaufgebot. Wegen ihrer Verspätung etwas in Eile, rennen die Hamburger auf den Bahnsteig.

Dort ist ein langer Kordon Polizei aufmarschiert, dahinter grölen hunderte Rostocker Fans. Die Polizei hält mit viel Mühe eine Gasse zu einer Waggontür frei. Hinter dem Polizeispalier brüllen die Rostocker: »Ausländer raus«, »Deutschland den Deutschen« oder »Türken raus!« Schnell fliegen die ersten Flaschen auf die Gruppe aus Hamburg. Sie beeilt sich, in den Zug zu gelangen. Dort aber wird sie wieder von schreienden Rostockern empfangen, die sich im Vorraum zwischen den Waggons aufgebaut haben.

Um die Situation zu entschärfen, versucht Carlos, ein älteres Mitglied der Gruppe, einen der älteren Rostocker Fans anzusprechen, der in vorderster Reihe steht. »Lass deine dreckigen Finger von mir, du Scheißtürke«, brüllt der zurück. Es kommt zu einem Handgemenge, immer mehr Rostocker drängen in den Gang.

»Einige von uns waren in Panik und hatten Todesangst, die meisten waren allerdings einfach nur wütend und aufgebracht«, berichtet Paulo später. »Uns war klar, dass wir uns, so gut es irgend ging, verteidigen mussten. In eine Opferrolle zu verfallen und uns zusammenschlagen zu lassen, kam für uns nicht in Frage.«

Plötzlich stürmen Polizisten in den Waggon und ziehen die zwei älteren Rädelsführer der Rostocker Fans heraus. Aber kurz darauf kommt einer der beiden wieder herein und stürmt erneut auf die Hamburger Gruppe los. Sie wehrt sich inzwischen mit Händen und Füßen, einige haben ihre Stollenschuhe angezogen und Getränkeflaschen aus den Reisetaschen gezogen, um sich besser verteidigen zu können.

Ein zweites Mal kommen Polizisten in den Waggon. Paulo versucht ihnen zu erklären, was vor sich ging. Die Antwort ist ein Schlag ins Gesicht und der gebrüllte Befehl: »Hinsetzen!« Der mutmaßliche Rostocker Rädelsführer wird wieder hinausverfrachtet. Als der Zug losfährt, ist er jedoch schon wieder zurück. Kurz nach der Abfahrt zieht einer der Rädelsführer die Notbremse und springt aus dem Zug.

Die Beleidigungen, Provokationen und Gesänge gehen indes weiter, und unter lautem Gebrüll und Gesang wird der Waggon zerlegt. Die Lampen werden eingeschlagen, die Bänke und Sitze zertrümmert. Während der ganzen Zeit sitzen zwei Waggons weiter Polizeibeamte mit Hunden unbeteiligt auf dem Flur.

Auf der Fahrt bis Celle ziehen die Rostocker mehrfach die Notbremse. Aus Jux. Der Schaffner kommt, schaltet frei und geht wieder, ohne einen Ton von sich zu geben. Bis Celle halten die Beleidigungen ununterbrochen an.

Die Hamburger Gruppe beschließt schließlich, den Zug zu verlassen und auf einen späteren zu warten. Auch auf dem Celler Bahnhof haben zahlreiche Polizisten Aufstellung genommen. Sie raten der Gruppe, sich in die vorderen Wagen des Zugs zu begeben, da sich dort keine Rostocker Fans befänden. Dicht gedrängt sitzen und stehen dort die Passagiere aller Hautfarben und Nationalitäten, die sich vor den Fußballfans in Sicherheit gebracht haben. »Dass niemand von uns ernsthaft körperlich verletzt wurde, ist dem Umstand zu verdanken, dass wir entschieden Widerstand geleistet haben«, erklärt Paulo im Nachhinein.

Bei der Deutschen Bahn weiß man auf Anfrage der Jungle World nichts von einem derartigen Vorfall am 18. Oktober. Eine Statistik über rechte Übergriffe in ihren Zügen führe die Bahn nicht, Vorfälle wie die geschilderten tauchten allenfalls als Sachbeschädigungen auf. Ein Sprecher verweist auf den Bundesgrenzschutz, der für solche Fälle zuständig sei.

Der BGS Hannover weiß aber auch von nichts und verweist an die Kollegen in Rostock. Beim Rostocker BGS ist man ebenfalls ahnungslos. Schließlich sind es die Grenzschützer in Hamburg, die offenbar den Zug begleitet und den Vorfall registriert haben. Ein Sprecher teilt mit: »Richtig ist, dass es mit den Rostocker Fans Ärger gegeben hat. Es gab Anzeigen, aber keine Verhaftungen oder Ingewahrsamnahmen. Die Anzeigen richteten sich nur gegen Sachbeschädigungen.«

Ein bisschen Ärger, ein bisschen Sachbeschädigung: Schwamm drüber, vergessen ist die Sache. Wie wirbt die Deutsche Bahn für ihren Service: »Bahn. Comfort

Jungle World
Jungle World Nummer 47 vom 12.11.2003

kt / hagalil.com / 2003-11-12

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