Das Plakat lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
»Nicht mit uns« ist es überschrieben, und zu lesen ist: »Mehr Mut. Mehr
Toleranz. Weniger Gleichgültigkeit. Wer Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder
Herkunft diffamiert, bleibt draußen.« Ausgesperrt aus einem Regionalzug, meinen
die Verfasser dieser Zeilen, MitarbeiterInnen der Verkehrsunternehmen und
-verbünde des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das Plakat hängt in einem Zug. Es ist Samstag, der 18.
Oktober. Geht man ein Abteil weiter, fühlt man sich wie auf einem Nazi-Konzert.
Glatzköpfe, mit T-Shirts bekleidet, auf denen »White Power« zu lesen ist,
spielen laute Musik ab, die Fenster sind auch von außen gut sichtbar mit
Reichskriegsflaggen drapiert. Niemand schreitet ein, niemand tut etwas.
In einem Regionalzug, der am 18. Oktober von Hannover nach
Hamburg fährt, bleibt es allerdings nicht bei dem Abspielen von Nazimusik. An
diesem Tag ist die Freizeit-Fußballmanschaft Hamburg Stadtpark zu einem
Freundschaftsspiel in die niedersächsischen Landeshauptstadt gekommen. Ihre
Spieler stammen aus Peru, Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Spanien,
Vietnam und Deutschland. Sie werden immer wieder zu Freundschaftsspielen in
Hamburg oder anderen Städten eingeladen. Diesmal ging es nach Hannover. Nach dem
Spiel hat man ein wenig gefeiert, dann fährt die Mannschaft zum Bahnhof, man
will den Regionalzug um 19.25 Uhr erreichen.
Die Freizeitkicker haben jedoch nicht beachtet, dass in der
ersten Bundesliga Hansa Rostock an diesem Nachmittag auswärts gegen den VfL
Wolfsburg spielte und 1:3 verlor. Die Rostocker Fans befinden sich gerade auf
dem Heimweg. Schon in der Unterführung am Hannoveraner Bahnhof trifft die Gruppe
aus Hamburg auf ein großes Polizeiaufgebot. Wegen ihrer Verspätung etwas in
Eile, rennen die Hamburger auf den Bahnsteig.
Dort ist ein langer Kordon Polizei aufmarschiert, dahinter
grölen hunderte Rostocker Fans. Die Polizei hält mit viel Mühe eine Gasse zu
einer Waggontür frei. Hinter dem Polizeispalier brüllen die Rostocker:
»Ausländer raus«, »Deutschland den Deutschen« oder »Türken raus!« Schnell
fliegen die ersten Flaschen auf die Gruppe aus Hamburg. Sie beeilt sich, in den
Zug zu gelangen. Dort aber wird sie wieder von schreienden Rostockern empfangen,
die sich im Vorraum zwischen den Waggons aufgebaut haben.
Um die Situation zu entschärfen, versucht Carlos, ein älteres
Mitglied der Gruppe, einen der älteren Rostocker Fans anzusprechen, der in
vorderster Reihe steht. »Lass deine dreckigen Finger von mir, du Scheißtürke«,
brüllt der zurück. Es kommt zu einem Handgemenge, immer mehr Rostocker drängen
in den Gang.
»Einige von uns waren in Panik und hatten Todesangst, die
meisten waren allerdings einfach nur wütend und aufgebracht«, berichtet Paulo
später. »Uns war klar, dass wir uns, so gut es irgend ging, verteidigen mussten.
In eine Opferrolle zu verfallen und uns zusammenschlagen zu lassen, kam für uns
nicht in Frage.«
Plötzlich stürmen Polizisten in den Waggon und ziehen die
zwei älteren Rädelsführer der Rostocker Fans heraus. Aber kurz darauf kommt
einer der beiden wieder herein und stürmt erneut auf die Hamburger Gruppe los.
Sie wehrt sich inzwischen mit Händen und Füßen, einige haben ihre Stollenschuhe
angezogen und Getränkeflaschen aus den Reisetaschen gezogen, um sich besser
verteidigen zu können.
Ein zweites Mal kommen Polizisten in den Waggon. Paulo
versucht ihnen zu erklären, was vor sich ging. Die Antwort ist ein Schlag ins
Gesicht und der gebrüllte Befehl: »Hinsetzen!« Der mutmaßliche Rostocker
Rädelsführer wird wieder hinausverfrachtet. Als der Zug losfährt, ist er jedoch
schon wieder zurück. Kurz nach der Abfahrt zieht einer der Rädelsführer die
Notbremse und springt aus dem Zug.
Die Beleidigungen, Provokationen und Gesänge gehen indes
weiter, und unter lautem Gebrüll und Gesang wird der Waggon zerlegt. Die Lampen
werden eingeschlagen, die Bänke und Sitze zertrümmert. Während der ganzen Zeit
sitzen zwei Waggons weiter Polizeibeamte mit Hunden unbeteiligt auf dem Flur.
Auf der Fahrt bis Celle ziehen die Rostocker mehrfach die
Notbremse. Aus Jux. Der Schaffner kommt, schaltet frei und geht wieder, ohne
einen Ton von sich zu geben. Bis Celle halten die Beleidigungen ununterbrochen
an.
Die Hamburger Gruppe beschließt schließlich, den Zug zu
verlassen und auf einen späteren zu warten. Auch auf dem Celler Bahnhof haben
zahlreiche Polizisten Aufstellung genommen. Sie raten der Gruppe, sich in die
vorderen Wagen des Zugs zu begeben, da sich dort keine Rostocker Fans befänden.
Dicht gedrängt sitzen und stehen dort die Passagiere aller Hautfarben und
Nationalitäten, die sich vor den Fußballfans in Sicherheit gebracht haben. »Dass
niemand von uns ernsthaft körperlich verletzt wurde, ist dem Umstand zu
verdanken, dass wir entschieden Widerstand geleistet haben«, erklärt Paulo im
Nachhinein.
Bei der Deutschen Bahn weiß man auf Anfrage der Jungle World
nichts von einem derartigen Vorfall am 18. Oktober. Eine Statistik über rechte
Übergriffe in ihren Zügen führe die Bahn nicht, Vorfälle wie die geschilderten
tauchten allenfalls als Sachbeschädigungen auf. Ein Sprecher verweist auf den
Bundesgrenzschutz, der für solche Fälle zuständig sei.
Der BGS Hannover weiß aber auch von nichts und verweist an
die Kollegen in Rostock. Beim Rostocker BGS ist man ebenfalls ahnungslos.
Schließlich sind es die Grenzschützer in Hamburg, die offenbar den Zug begleitet
und den Vorfall registriert haben. Ein Sprecher teilt mit: »Richtig ist, dass es
mit den Rostocker Fans Ärger gegeben hat. Es gab Anzeigen, aber keine
Verhaftungen oder Ingewahrsamnahmen. Die Anzeigen richteten sich nur gegen
Sachbeschädigungen.«
Ein bisschen Ärger, ein bisschen Sachbeschädigung: Schwamm
drüber, vergessen ist die Sache. Wie wirbt die Deutsche Bahn für ihren Service:
»Bahn. Comfort