Hasst die Mehrheit der EuropäerInnnen den Staat Israel?
Schürt die EU-Kommission den Antisemitismus? Oder ist alles nur ein abwegiger
Zufall?
Seit 1973 gibt es das Eurobarometer. Es handelt sich um
sozialwissenschaftliche Erhebungen, wie in den verschiedenen europäischen
Ländern über bestimmte Fragen gedacht wird.
Das jüngste Eurobarometer zum Thema »Irak und der
Weltfrieden« wirft Fragen wie die eingangs genannten auf. Und so mancher
Verantwortliche in Brüssel hätte den 109-seitigen Report am liebsten gar nicht
veröffentlicht. So drangen die Ergebnisse auch nur häppchenweise an die
Öffentlichkeit. Erst mit Verspätung wurde die repräsentative Antwort auf die
Frage Nr. 10 bekannt: »Welches Land bedroht den Weltfrieden?« Offenbar wollten
die EU-Gesandten zu der Irakgeberkonferenz am 2. November in Madrid das brisante
Ergebnis lieber nicht mit im Gepäck haben.
Aus verständlichen Gründen, denn die europäische Antwort ist
keine, mit der man bei internationalen Meetings protzen kann. Die europäische
Öffentlichkeit erfuhr erst am Montag nach der Konferenz, dass 59 Prozent der 7
500 befragten BürgerInnen aus den 15 EU-Staaten Israel auf Platz eins der
Weltfriedensbedroher setzen. Noch vor dem Iran, Nordkorea und den USA, die
jeweils auf 53 Prozent kamen. In Deutschland sehen der Umfrage nach sogar 65
Prozent Israel als größte Bedrohung für den Frieden an, in Österreich sind es
69, in den Niederlanden 74 Prozent.
Kaum war das Eurobarometer veröffentlicht, bemühte sich die
EU-Führung auch schon um eine Distanzierung von den israelfeindlichen
Resultaten. Die Umfrage sei »abwegig«, so Ratspräsident Silvio Berlusconi, die
Ergebnisse gäben nicht die Position der EU wieder. Die Kommission wies
ihrerseits Kritik an der Durchführung der Umfrage zurück.
Der Europäische Jüdische Kongress (EJC) spricht von einer
»brandstifterischen Umfrage«, die nicht auf den Nahostkonflikt ziele und allein
Israel in den Vordergrund gestellt habe. In der Tat fällt es schwer, die
Zusammenstellung der Liste mit den 15 möglichen gefährlichen Ländern
nachzuvollziehen. Die EU selbst ist darin aufgeführt, sie schnitt mit acht
Prozent am besten ab. Nach einzelnen EU-Staaten wird jedoch nicht gefragt. Die
Frage etwa, ob sich die Menschen in Europa von Deutschland noch bedroht fühlen,
scheint rund 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg niemanden zu interessieren.
Stattdessen wird nach dem Gefahrenpotenzial von Ländern wie Somalia oder Libyen
geforscht.
»Wir hatten nichts damit zu tun«, versichert der Sprecher des
EU-Kommissars für Außenbeziehungen. EU-Kommissar Chris Patten hatte noch Anfang
dieses Jahres verhindert, dass ein Untersuchungsausschuss des Europaparlaments
zustande kam, um die Zuwendungen der EU für die Palästinensische
Autonomiebehörde zu prüfen. Die Liste des Eurobarometers sei von »low level
officials« und »auf technischer Ebene« zusammengestellt worden, so auch die
Aussage von Kommissionssprecher Gerassimos Thomas. Die Palästinensische
Autonomiebehörde sei nicht aufgeführt, »weil sie kein Land ist«.
»Unser Zorn richtet sich nicht gegen die europäischen Bürger,
sondern gegen die Regierungen der EU«, heißt es nun aus der israelischen
Vertretung in Brüssel. Doch wer hat nun wirklich Schuld an diesem alarmierenden
Ergebnis?
Die Resultate trotzten jeder Logik und »sind eine
rassistische Phantasiereise, die lediglich zeigt, dass der Antisemitismus
zutiefst in der europäischen Gesellschaft verwurzelt ist«, kommentierte das
Simon Wiesenthal Center in Los Angeles und rief zu Konsequenzen auf. Die EU
solle künftig von den Friedensgesprächen ausgeschlossen werden. Dagegen warnte
einer, der regelmäßig mit EU-Vertretern zu tun hat, davor, die Resultate zu
dramatisieren. Israels Außenminister Silvan Shalom gab den Medien die Schuld.
Das Resultat spiegele lediglich das ȟberproportionale Vorkommen Israels in den
europäischen Medien« im Vergleich zu Berichten über den Iran oder Nordkorea
wider. Außerdem seien die Resultate ein Ausdruck der Bemühungen einiger Länder,
sich als Gegengewicht zu den USA zu positionieren.
Dafür, dass die Medien in Europa keine ausgewogene
Berichterstattung über den Nahostkonflikt liefern, gibt es mehrere Belege.
Untersuchungen der vergangenen Jahre zeigen nicht nur, dass dem Nahostkonflikt
überdurchschnittlich viel Platz eingeräumt wird. Die Studie des Duisburger
Instituts für Sprach- und Sozialforschung zur Nahostberichterstattung in
deutschen Medien aus dem Jahr 2002 belegt auch, dass Israelis und der Staat
Israel oft besonders negativ charakterisiert werden.
Das Eurobarometer zeige die kontinuierliche Existenz
antijüdischer Vorurteile, stellte auch EU-Kommissionspräsident Romano Prodi
fest, die Kommission will noch Ende dieses Jahres ein Seminar organisieren, das
sich mit Fragen des Judaismus und des Staates Israel befasst.
Aufklärung tut Not, meint auch der EJC. Der Antisemitismus
nehme in Europa auch deshalb wieder zu, weil die neue Generation von Europäern
weniger Kenntnisse über den Holocaust habe, meint der Vorsitzende des EJC, Cobi
Benatoff. Doch es kommt wohl auch auf die Art der Aufklärung an. Denn noch in
einem anderen Punkt gibt das Eurobarometer Aufschluss: Je höher der Bildungsgrad
der Befragten, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie Israel als
höchste Bedrohung ansahen.
Die Umfrage belege zweifellos, dass die europäische Antwort
auf die Frage »Welches ist das gefährlichste Land?« eine verdeckte Antwort auf
die Frage »Welches Land hassen Sie am meisten?« sei, kommentiert Israel Harel in
Haaretz. Die Tatsache, dass terroristische Organisationen nicht zur Auswahl
standen, sei ein Zeichen der Angst vor ihnen. Hier liegt nach Harel die große
Erkenntnis der Umfrage: Wenn nach drei Jahren terroristischer Angriffe auf
Israel dieses Land von den Europäern als größte Gefahr für den Weltfrieden
angesehen und am meisten gehasst wird, legitimiere dies den palästinensischen
und auch den Welt-Terrorismus. Denn, fragt sich der Kommentator, wann wissen
Terroristen, dass sie wirklich gewonnen haben und dass es an der Zeit ist,
Angriffe wie den auf die Twin Towers durchzuführen? Wenn die Bewohner von
Ländern, die in Sicherheit sind, von Panik ergriffen die Realität verdrehen und
die Opfer statt der Mörder anklagen.