Holocaust-Denkmal und Degussa:
Keiner wollte das Debakel sehen
Beim Streit um die Beteiligung von Degussa am Bau des
Holocaust-Mahnmals geht der schwarze Peter um: Dabei hat sowohl die Vizechefin
des Kuratoriums der Stiftung, Lea Rosh, als auch ihre Geschäftsführerin Sibylle
Quack versagt...
Das geplante Holocaust-Mahnmal steckt in der Sackgasse - und
die Hauptverantwortlichen haben sich in einen absurden Streit verwickelt, wer
die Schuld daran trägt: Ist es die Geschäftsführerin der Stiftung Denkmal für
die ermordeten Juden Europas, Sibylle Quack? Oder vielmehr die stellvertretende
Vorsitzende des Kuratoriums der Bundesstiftung, Lea Rosh? Schon am Anfang der
Debatte um die Degussa-Beschichtung für die Stelen des Mahnmals ging das Gerücht
um, es gehe hier in Wahrheit darum, Sibylle Quack abzusägen. Zugleich gab es
vergangene Woche erste Forderungen nach dem Rücktritt Lea Roshs. Wie konnte das
alles passieren?
Das Debakel begann, als auf der Arbeitsebene zum Bau des
Mahnmals Anfang des Jahres darüber diskutiert wurde, ob es schicklich sei, das
Anti-Graffiti-Mittel von Degussa, Protectosil, zu verwenden. Der Grund für die
Skrupel: Eine Firmentochter Degussas, Degesch, hatte in der NS-Zeit das Gas
Zyklon B hergestellt, mit dem in den Gaskammern Millionen Juden umgebracht
wurden. Nach Auskunft der Bauverwaltung wollte das Chemieunternehmen den Auftrag
für die Stelenschutzschicht gern haben, ging sogar - auch wegen des Gefühls
historischer Verantwortung - mit dem Preis runter, um zumindest nicht teurer zu
sein als eine Schweizer Firma, die die Beschichtung ebenfalls vornehmen wollte.
Man entschied sich auf dieser Ebene für Protectosil - und
hoffte offenbar, dass die ganze Degussa-Geschichte nicht auffliegt, zumal auch
Architekt Peter Eisenman für dieses technisch vorteilhafte Produkt war. Am 14.
Oktober enthüllte der Schweizer Tages-Anzeiger den Degussa-Deal. Sibylle Quack
erkannte nun wohl die Brisanz der Angelegenheit und sicherte sich ab: Beim
Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, versuchte sie offenbar, ein
Votum für Protectosil zu bekommen, ebenso bei Eisenman. Sie telefonierte auch
mit Lea Rosh, und zwar am 13. Oktober, einen Tag vor der
Tages-Anzeiger-Veröffentlichung, zehn Tage vor der Kuratoriumssitzung, wo die
ganze Angelegenheit zum großen Skandal wurde. Sibylle Quack war vor dem
Telefonat mit der Journalistin Rosh von einem Mitarbeiter des Tages-Anzeigers
auf die Degussa-Beteiligung angesprochen worden.
Lea Rosh behauptet nun, Sibylle Quack habe mit ihr nur
allgemein über die Mitarbeit von belasteten Firmen gesprochen. Sicher sei sie
nicht, dass der Name Degussa gefallen sei. Auf jeden Fall habe man nicht über
Degesch und Zyklon B gesprochen. Sibylle Quack habe auch kein Wort über den
Zusammenhang zwischen Degussa und Degesch verloren, sagt Lea Rosh - was genauso
seltsam ist wie die Aussage von Sibylle Quack, man habe im Januar noch
Recherchen zur Firmengeschichte von Degussa angestellt, um die Verwicklung des
Unternehmens in den Judenmord zu erfassen. Offenbar haben weder bei Sibylle
Quack noch bei Lea Rosh beim Namen Degussa die Alarmglocken geschrillt. Was umso
merkwürdiger ist, als sich beide fast ihr gesamtes Berufsleben mit dem Holocaust
beschäftigt haben.
Sibylle Quack hatte gepennt, weshalb einige nun ihren Kopf
wollen. Lea Rosh machte sich bei der Kuratoriumssitzung am 23. Oktober zur
Fürsprecherin der Gegner einer Beteiligung von Degussa - mit dem
Empörungsgestus, der bei ihr üblich ist. Zugleich hat sie sich mit der
geschmacklosen Aussage unmöglich gemacht, Architekt Eisenman würde vielleicht
anders über Protectosil denken, wenn seine Eltern in Auschwitz mit Zyklon B
vergast worden wären.
Sibylle Quack hat versagt, ebenso Lea Rosh, und Peter
Strieder übrigens auch. Denn der Bausenator hätte über seine Verwaltung ja schon
Anfang des Jahres durch die Informationen seiner Fachleute auf der Arbeitsebene
wissen können, was da politisch droht. Doch offensichtlich wollte niemand sehen.
Es herrschte das Motto "Augen zu und durch". Nun ist rausgekommen: Auch der
Betonverflüssiger für das Mahnmal stammt von einer Degussa-Tochter. So oder so
ist also Degussa im Denkmal - es sei denn, man baut das ganze Fundament neu, was
natürlich kaum zu machen ist.
So wird die Kuratoriumssitzung am Donnerstag wohl recht
kleinlaut enden. Alle trugen das Ihre zum Desaster bei, Quack, Rosh und
Strieder, in gewisser Weise auch Eisenman. Keiner hat die Chose allein verbockt,
weshalb wohl auch niemand wird gehen müssen. Das deutsche Volk aber erhält das
Mahnmal, das zu ihm passt: eine große Geste, mit winzigen Nazi-Spuren.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 11.11.2003
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/ 2003-11-11
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