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Bundeswehr:
Lili Marleen, wie einst

Rechtsextremisten sind nicht selten in der Bundeswehr, nationalsozialistische Traditionen werden gepflegt. Nur die Generäle äußern sich meist erst nach der Pensionierung...

Jörg Kronauer

Deutsche Soldaten unter sich: »Der Führer hat nicht geraucht. Aber Europa!«, scherzt ein Stabsunteroffizier. Ein Kamerad witzelt: »Wir haben überhaupt nichts gehabt gegen Juden. Außer Gas.« Etwas nachdenklicher gibt sich ein Gefreiter. »Ich hab’ ein Buch: ›Die Auschwitzlüge‹. Voll objektiv.«

Widerliche Szenen finden sich in dem halbdokumentarischen Theaterstück »Fleischwolf« des Schriftstellers Werner Fritsch, der in den achtziger Jahren seinen Militärdienst leistete und sich mit dem Schauspiel Erlebnisse und Erfahrungen in der Bundeswehr von der Seele schrieb. Es zeigt offenen Antisemitismus in der deutschen Armee, vor allem unter einfachen Soldaten.

Dass auch die Führung der Bundeswehr nicht frei von Antisemitismus ist, hat jüngst Martin Hohmann nachgewiesen. Einem Fernsehteam präsentierte der hessische Bundestagsabgeordnete einen Stapel Briefe, deren Verfasserinnen und Verfasser ihn für seine antisemitischen Äußerungen vom 3. Oktober lobten. »Ich hoffe, dass Sie sich durch Anwürfe aus dem vorwiegend linken Lager nicht beirren lassen und mutig weiterhin Kurs halten«, ermunterte etwa der Kommandeur der Elitetruppe KSK, Reinhard Günzel, den Reservemajor Hohmann. Das Schreiben auf Bundeswehrpapier mit KSK-Logo, unterzeichnet »mit einem herzlichen Gruß«, hielt Hohmann in die Kamera.

General Günzel kostete das plumpe Verteidigungsmanöver des Reservemajors den Job. Zwei Stunden nach Bekanntwerden des Briefs entließ Verteidigungsminister Peter Struck den KSK-Kommandeur. Der »verwirrte General« habe mit seiner Verwicklung in den Hohmann-Skandal dem Ansehen Deutschlands und der Truppe im Ausland geschadet, sagte Struck. Und wer die Nation in Verruf bringt, muss gehen.

Wäre seine rechte Gesinnung ein Entlassungsgrund, dann hätte Günzel sich schon längst aus der Truppe katapultiert. Im Saarland ist er schon vor mehr als zehn Jahren als Kommandeur des Merziger Fallschirmjägerbataillons 262 aufgefallen. Nach Angaben der Aktion 3. Welt Saar hat Günzel das Singen der inoffiziellen Hymne der Fallschirmjäger, »Rot ist die Sonne«, stets gerechtfertigt. Das Lied wurde 1940 in der Hochphase der NS-Eroberungsfeldzüge geschrieben.

Aufsehen erregte Günzel auch als Kommandeur der Jägerbrigade 37 in Sachsen. Als er sich 1996 bei einer Wehrübung einer kleinen Protestdemonstration gegenübersah, ließ er vor der Presse seiner Wut freien Lauf. »Wenn ich meinem Fallschirmjäger-Bataillon gesagt hätte: Kameraden, tretet nach hinten zur Pause weg und löst dieses Problem – es wäre in fünf Minuten gelöst gewesen«, tobte Günzel und begründete den Verzicht auf ein Gemetzel: »Wir wollen eben nicht diese Bilder in der Presse.«

1997 kam sein Schneeberger Bataillon wegen rechtsextremer Vorfälle ins Gerede, Günzel wurde vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) strafversetzt. Rühes Nachfolger Rudolf Scharping (SPD) beförderte den Rechtsaußen im November 2000 schließlich zum Kommandeur der Elitetruppe KSK.

Ist General Günzel ein Einzelfall? In gewisser Hinsicht schon. Das Soldatengesetz schreibt Zurückhaltung bei politischen Äußerungen vor, und rechte Militärs in Führungspositionen sind gewöhnlich nicht so dumm, ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. »Bisher kam es ganz selten vor, dass einer aus aktivem Dienst in der Bundeswehr heraus einen solchen Brief geschrieben hat«, erklärt Wolfgang Gessenharter von der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Öffentlich äußern sich die rechten Generäle erst, wenn sie ihre Rente sicher haben. Meistens »war es so, dass die Herren, wenn sie pensioniert waren, dann plötzlich ihr neues rechtes Herz entdeckten«.

Solche Aktivrentner unter den pensionierten Bundeswehrgenerälen sind nun aber recht zahlreich. Die Brüder Franz (Generalleutnant a.D.) und Reinhard (Brigadegeneral a.D.) Uhle-Wettler gehören zu den umtriebigsten, sie haben nach ihrer Pensionierung eine der Schaltzentralen des deutschen Rechtsextremismus unterstützt, die Gesellschaft für Freie Publizistik. Wer nach weiteren abgehalfterten Militärs sucht, die sich als Pensionäre ein freies Wort gönnen, findet sie reihenweise unter den Interviewpartnern der Jungen Freiheit, vom Mitbegründer der Bundeswehr, Johann Adolf Graf von Kielmansegg, bis Günter Kießling.

Rechtsextreme Positionen sind aber offenbar schon unter den zukünftigen Führungskadern weit verbreitet. 1978 wies eine Studie der Universität der Bundeswehr in Hamburg bei 10,6 Prozent ihrer Studenten rechtsextreme Einstellungen nach; diese Generation ist inzwischen in führende Positionen aufgerückt. In den neunziger Jahren gab die Armee eine neue Untersuchung in Auftrag, diesmal mit vorsichtig gewählter Terminologie. Mehr als 54 Prozent aller Bundeswehrhochschüler stuften sich selbst als »rechts von der Mitte« ein, 21 Prozent hingen »nationalkonservativem« Gedankengut an.

110 rechtsextreme Vorfälle meldet die Armee in diesem Jahr. Doch die Dunkelziffer liegt wohl weit höher. »Rechtsradikale Vorgänge innerhalb der Bundeswehr werden als solche gar nicht wahr- oder ernstgenommen und gelegentlich totgeschwiegen. Das geht hoch bis in die Führungsspitze«, erklärt Helmuth Prieß, als Oberstleutnant a.D. bestens mit dem Innenleben der Truppe vertraut und Sprecher des bundeswehrkritischen Arbeitskreises Darmstädter Signal.

Die Bundeswehr sorgt ihrerseits dafür, dass Rechte sich gut aufgehoben fühlen. Bis heute tragen elf Kasernen die Namen von nationalsozialistischen Befehlshabern, die am Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt waren. Die Fallschirmjäger singen weiterhin ihre inoffizielle Hymne aus dem Jahr 1940: »Wir wissen nur eines, wenn Deutschland in Not, zu kämpfen, zu siegen, zu sterben den Tod.« Und auch der Auslandssender der Bundeswehr, Radio Andernach, betreibt Traditionspflege: »Jeden Abend punkt 21.56 Uhr der jeweiligen Ortszeit, senden die Funker aus Mayen Lili Marleen in den Äther. So wie es Tradition ist seit den Tagen des Zweiten Weltkriegs«, berichtet 3sat an der Heimatfront.

Dennoch nennt Verteidigungsminister Struck seine Armee »einen demokratisch gefestigten Verband in unserer Gesellschaft«. Auch Winfried Nachtwei, der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, weiß nichts von Rechtsextremismus in der Bundeswehr: »Wir kennen die Offiziere und die Soldaten in den Einsatzgebieten. Und sie verhalten sich vorbildlich, auch als Demokraten, als Staatsbürger in Uniform.« Schließlich würde es Ärger geben, wenn man zugäbe, dass sich auch Rechtsextremisten in der Truppe aufhalten, die inzwischen reihenweise fremde Staaten besetzt.

Musikalisch jedenfalls hat sich die Bundeswehr gewandelt. Neben traditioneller Marschmusik bot das jüngste Militärmusikfestival in Köln ein buntes Programm mit »Klassik, Rock, Pop bis hin zu bekannten Schlagermelodien«. »Eine perfekte Bühnenshow mit Marschformationen, Tanzeinlagen und szenischen Auftritten« versprach die Truppe ihrem Publikum. Rein zufällig fand das Armeespektakel am 9. November statt. Aber das hat mit Antisemitismus natürlich nichts zu tun.

Jungle World
Jungle World Nummer 47 vom 12.11.2003

kt / hagalil.com / 2003-11-12

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