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Judentum und Israel
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Buchbesprechung:
Mampe halb & halb

Ein neues Buch arbeitet die Geschichte jüdischer Soldaten innerhalb der deutschen Wehrmacht auf...

Silke Kettelhake

Die Präsentation des Buches »Hitlers jüdische Soldaten« von Bryan Mark Rigg in der Berliner »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« ist ausgebucht. Viele der ehemaligen Wehrmachtssoldaten wie der Ex-Unteroffizier Felix Bruck sind gekommen, um den Ausführungen des 31jährigen Texaners zu lauschen.

»Mampe halb und halb«, so nannten sich die alten Männer jüdischer Abstammung nach einem gleichnamigen bittersüßen Kräuterlikör. Sie dienten während des Zweiten Weltkrieges im Waffenrock der deutschen Wehrmacht.

Ihr Schweigen dauerte über sechzig lange Jahre. Das Schicksal der Überlebenden, die an der Front kämpften, während ihre Angehörigen ins Gas deportiert wurden, war bislang nicht nur in der Geschichtsforschung kein Thema. Doch den sportiven amerikanischen Studenten Rigg ließ vor zehn Jahren, nachdem er den Film »Hitlerjunge Salomon« von Agnieszka Holland gesehen hatte, der Gedanke an die Männer, die im Auge des Orkans überlebten, nicht mehr los. Wer ist deutsch, wer ist jüdisch? Wer ist Täter, wer ist Opfer? Wer sind diese Soldaten mit dem Ritterkreuz an der Brust, deren Eltern den Judenstern tragen mussten?

Vater hat geschwiegen

Über 430 Interviews führte Rigg bis 1998 in deutschen Wohnzimmern mit Männern, deren nächste Angehörige oft nichts vom Judentum ihrer Ehepartner und Väter wussten. Unter ihnen findet sich auch der damalige Oberleutnant Helmut Schmidt, der während seiner Amtszeit als Bundeskanzler wohl überlegt seine jüdischen Wurzeln nicht thematisierte. Es sind berühmte und teilweise auch berüchtigte Männer, die dem unermüdlichen Rucksacktouristen Rigg vor zehn Jahren ihre Häuser und ihre Herzen öffneten. Über 150 000 Männer, die den »Ariernachweis« nicht erbringen konnten, dienten, laut Rigg, teilweise mit Billigung ihrer Vorgesetzten oder mit ausdrücklicher Genehmigung Hitlers in der Wehrmacht und der SS – vom einfachen Soldaten bis zum Kriegsstrategen, wie auch Erhard Milch einer war.

Hoch dekoriert und doch gefährdet

Ein wissendes Raunen geht durch die Zuhörerschaft: Erhard Milch war, so Rigg, mindestens »Halbjude« und neben Göring der Kopf der Luftwaffe: »… innerhalb der Partei haben wir keinen Mann, der so viel von Luftfahrt weiß wie Sie; deshalb ist die Wahl auf Sie gefallen«, sagte Hitler laut den Tagebuchaufzeichnungen Milchs. »Sie müssen annehmen. Es ist nicht eine Frage der Partei, die Sie ruft – es ist eine Frage Deutschlands, und Deutschland will Sie haben für diese Stelle.«

1935 wurde eine Dienstvorschrift für den arbeitswütigen Offizier mit dem Aussehen eines prototypischen Ariers erstmals angewandt, die dann in Kriegszeiten zum Einsatz kam: die so genannte Deutschblütigkeitserklärung. Hitler machte den Einsatz der jüdischen Wehrmachtsangehörigen zu seiner persönlichen Entscheidung. Rigg sagte bei seiner Buchvorstellung: »Hitler wollte lieber den Krieg verlieren als den Kampf der Ausrottung der Juden. Stundenlang grübelte Adolf Hitler, ob er einzelne Entlassungen zurücknehmen sollte oder nicht. Es ist, wie in vielen anderen Bereichen auch, schwierig, hier eine rationale Entscheidung zu erkennen. Er glaubte, dass jüdisches Blut, auch nur in homöopathischer Dosis, einen Arier ruinieren könnte.«

Milch rüstete die Luftwaffe auf, ergatterte mit dem Siegeszug in Norwegen das Eiserne Kreuz, wurde nach dem Einfall der Wehrmacht in Frankreich zum Generalfeldmarschall befördert und ging als Wegbereiter des »Blitzkriegs« in das europäische Sprachwesen ein.

Sprache und Bewusstsein

Rigg untersuchte 1 671 Fälle von als jüdisch oder teils jüdisch geltenden Soldaten. Von ihnen starben sieben so genannte »Volljuden«, 80 »Halbjuden« und 76 »Vierteljuden«. Das Eiserne Kreuz erhielten 244, einer erlangte das Silberne Kreuz, und 19 schmückten sich mit dem Deutschen Kreuz in Gold. 18 erhielten mit dem Ritterkreuz eine der höchsten militärischen Auszeichnungen.

In seinem Vorwort erklärt Rigg, dass er die nationalsozialistisch geprägten Begriffe »Mischling 1. und 2. Grades«, »Volljude«, »Viertel-« oder »Halbjude« bewusst übernommen habe. Die Bezeichnung »Mischling« für Deutsche jüdischer Abstammung fand 1933 erstmals Eingang in die Umgangssprache. Während Riggs Vortrag zucken dennoch einige der alten Männer bei der Verwendung dieser Begriffe zusammen.

Felix Bruck erzählt im Anschluss: »Man sagte nicht Jude, das war doch das Schimpfwort der Nazis! Zuhause, da spielte das Jüdisch-Sein bei uns keine Rolle, mir war als Kind überhaupt nicht bewusst, was das denn heißt und plötzlich bedeutet! Großmutter hat mich aufgeklärt, damit ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnte.«

Jüdische Soldaten wurden grundsätzlich als Feiglinge, Drückeberger und Volksschädlinge hingestellt, ungeachtet ihrer Verdienste und ihrer Tapferkeit. Ab 1933 wurden die wenigen noch in der Reichswehr verbliebenen jüdischen Soldaten nach und nach systematisch entlassen, falls sie sich nicht schon von selbst auf Grund der vielfachen Schikanen zum freiwilligen Ausscheiden aus der Armee entschlossen hatten. 1934, noch vor den »Nürnberger Gesetzen«, hatte sich die Wehrmacht durch vielerlei antijüdische Maßnahmen ihrer jüdischen »Kameraden zweiter Klasse« selbst entledigt. 70 000 Soldaten wurden entlassen. Dennoch, so Rigg, kämpften 60 000 »Halb-« und 90 000 »Vierteljuden« bis zum Kriegsende. Insgesamt stellten die »jüdischen Soldaten« nur ein Prozent aller Wehrmachtangehörigen von 17 bis 18 Millionen.

Der kleine Nazi Schmidt

»Ich fürchte mich heute immer noch zu sagen, dass ich Jude bin«, sagt Felix Bruck. »Das brauchte schon damals niemand zu wissen.« Identitätsprobleme begleiten ihn und viele andere ein Leben lang. Sie wollten dabei sein, dazugehören, und Rigg berichtet, dass auch Helmut Schmidt glaubt, er hätte ein kleiner Nazi werden können, wenn es seine jüdische Großmutter nicht gegeben hätte.

Zum einen fühlten sich die deutschen Juden den orthodoxen Juden aus dem Osten haushoch überlegen; schließlich waren sie schon längst assimiliert und trugen Verwundungen und Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause. Zum anderen wollten die jungen Männer Karriere machen, ihren Wehrdienst ableisten und dann schnell studieren. Trotz des Wehrgesetzes von 1935, das »Mischlinge« als wehrunwürdig erklärte, glaubten viele, dass die Wehrmacht ihnen die Chance biete, endlich Anerkennung im herrschenden System zu finden und das Vorurteil vom »feigen Juden« zu widerlegen. Rigg zeigt die unterschiedlichsten Gründe auf, die die jungen Männer in die Wehrmacht und zur Waffen-SS führten. Viele glaubten, ihre Familie schützen zu können, wenn sie Auszeichnungen und Verwundungen vorweisen konnten. Überleben, und sei es im Rachen des Wolfes.

Musterung

Felix Bruck wollte dienen und musste sich einer entwürdigenden Musterung unterziehen, bei der alle seine Gliedmaßen genauestens vermessen wurden. Heute lacht er darüber und freut sich wie ein Schneekönig, dass er überhaupt überlebt hat: »Klar, als ich mich freiwillig bei der Wehrmacht beworben habe, musste ich mich einer Rassenkommission vorstellen. Und die Herren entschieden, dass ich nicht arisch war. Mein Körperbau entsprach nicht ihrer Vorstellung. Aber an meinem 25. Geburtstag bekam ich die Einberufung. Dann durfte ich weiterstudieren, ich wurde Chemiker. In Brünn hat man mich wieder eingezogen, so ein Hin und Her war das. Dann wieder, ein wenig später, wurde ich vollends entlassen. Am 22. Juni 41 begann der Russlandfeldzug. Meiner Entlassung verdanke ich, dass ich heute hier sitzen kann!«

Er erzählt weiter: »An unserem Haus stand morgens ganz groß mit weißer Farbe: Jude. Wo ein Jude wohnt oder nicht, das konnte man sehr schnell feststellen; nämlich daran, wer geflaggt hatte und wer nicht. Flaggen war Pflicht, und wir durften nicht. Das stand in den Nürnberger Gesetzen.« Sie waren für viele der Anfang vom Ende. Die Nazis definierten erstmals in grausigem Amtsdeutsch, wer ein »Mitglied der Volksgemeinschaft« war und wer nicht. Aus der Feststellung im Paragrafen wurde dann der schnelle Wink an der Rampe, der bedeutete: arbeitsfähig oder tot. Das Judentum wurde zur Rasse gestempelt und das hieß gleich nach 1933 für viele begeisterte Deutsch-Juden: keine Waldspaziergänge, kein Kino, kein Theaterbesuch, keine Konzerte, keine Schwimmbäder, keine Musikinstrumente, keine Noten, keine Blumen, keine Zeitungen. Juden mussten alle Wertgegenstände abliefern. Sie durften weder Fisch noch Fleisch, kein Weißbrot und kein Obst, keine Süßwaren, keine Milch kaufen. Tabak, Alkohol und Zigaretten waren tabu. Immer wieder dachten sich die Nazis neue Schikanen aus. Die Juden durften keine Beamten mehr werden, sie waren keine Staatsbürger mehr. Beziehungen zu so genannten Ariern wurden lebensgefährlich. In Hitlers Augen – und nicht nur in seinen – waren »Mischlinge« »Bastarde, (…) Missgeburten zwischen Mensch und Affe«, wie es in »Mein Kampf« heißt. Selbst 1943, als Deutschland jeden an der Front brauchte, ignorierte Hitler Tausende von wehrfähigen Mischlingen. Stattdessen wollte der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht selbst entscheiden, ob ein paar hundert Männer zum Einsatz kamen oder nicht.

»Sie hätten tapfer für ihre Heimat gekämpft«, sagt Rigg. »Es ging Hitler mehr um die arische Gesellschaft, um die eigene Rache. Die Durchsetzung der Rassenpolitik war ihm wichtiger, als den Krieg zu gewinnen.«

Nach dem Anschlag auf sein Leben am 20. Juli 1944 widerrief Hitler selbst die Ausnahmegenehmigungen. »Ein strategischer Sinn«, so Rigg, »lässt sich darin nicht erkennen.«

Schrecken ohne Ende

Dass auf der berüchtigten Wannseekonferenz im Januar 1942 ihr Tod beschlossen wurde, das konnten sich gerade die »Mischlinge« schwer vorstellen. Laut Rigg wussten die von ihm Befragten nichts vom systematischen Massenmord. Sie seien in Kampfhandlungen verwickelt worden und die Vorstellung von Gaskammern habe ihre Vorstellungskraft überstiegen, meinten sie. Doch die Transporte aus den Arbeitslagern, in denen nicht nur aus der Wehrmacht entlassene »Mischlinge« schwerste körperliche Arbeit leisten mussten, hätten tatsächlich geradewegs in die Vernichtungslager geführt, wenn der Krieg noch länger gedauert hätte.

Felix Bruck antwortet auf die Frage, ob er als Soldat vom Holocaust wusste: »Ob ich von Massenerschießungen wusste? Ein Freund war bei der Waffen-SS. Er hat schreckliche Sachen erzählt. Aber was sollten wir denn machen? Es gab doch den Spruch: Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich nicht nach Dachau komm! Die Leute wussten: Das ist das Konzentrationslager und da kommt man nur durch den Schornstein raus. Hätte Hitler den Krieg gewonnen, würde ich nicht mehr leben.«

Die Wehrmachtsausstellung lehnt Bruck dennoch strikt ab. »Ist doch alles Lug und Trug«, sagt er. Die Angehörigen der Wehrmacht waren für ihn niemals an Verbrechen beteiligt. »Das ist eine Diffamierung, das sind Lügen!«, krächzt jetzt ein kleiner Mann mit großer Brille übereifrig. Und der fügt stolz hinzu: »Ich war Wilhelm Görings Fahrer!« Hermann Wilhelm Göring, als Hauptkriegsverbrecher vom Nürnberger Militärgerichtshof am 1. Oktober 1946 zum Tode verurteilt, entzog sich der Hinrichtung durch Gifteinnahme. Felix Bruck wird es jetzt langsam doch ein bisschen mulmig beim großen Veteranentreffen.

Mit Bryan Mark Rigg hat sich wieder einmal ein Historiker aus dem englischsprachigen Raum aufgemacht, das immer noch relativ geringe Interesse an einer genaueren Wahrnehmung psychologisch bedeutsamer Nach- und Weiterwirkungen der Erlebnisse und Erfahrungen der Leidtragenden zu erforschen. Aufgrund der vielfältigen Zitate und der umfassenden Hintergrundrecherche bisher unbekannten Quellenmaterials lässt sich das dicke Buch nicht nur als Übung zum Aufrechtgehen benutzen. Es ist auch noch sehr gut lesbar. Coverboy von Riggs Buch in deutscher Auflage ist der »Halbjude« Werner Goldberg. Das Foto zierte einst ein NS-Blatt zu Propagandazwecken. Bildunterschrift: »Der ideale deutsche Soldat«.

Für seine Arbeit wurde der an der American Military University in Manassas/Virginia lehrende Historiker Rigg mit dem William E. Colby Award 2003 ausgezeichnet. Seine Untersuchung bildet die Vorlage für die gleichnamige 90minütige Dokumentation des Produzenten Frank Thomas und der Dokumentarfilmerin Heike Mundzeck. Das Projekt wird von der Filmstiftung NRW gefördert und vom WDR koproduziert. Mitte nächsten Jahres ist der voraussichtliche Sendetermin.

Bryan M. Rigg: Hitlers jüdische Soldaten. Aus dem Amerikanischen von Karl Nicolai. Schöningh 2003, Paderborn

Jungle World
Jungle World Nummer 48 vom 19.11.2003

kt / hagalil.com / 2003-11-19

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