Für Juliane Wetzel handelt es sich um »klassisch
antisemitische Literatur«. Das Buch bediene sich der »Weltverschwörungstheorien,
die wir in der antisemitischen Propaganda immer wieder finden«, sagte die
Mitarbeiterin am Institut für Antisemitismusforschung der Technischen
Universität Berlin der Online-Redaktion der »Tagesschau«. An der Universität
Bielefeld macht das Buch »Jüdischer Bolschewismus – Mythos und Realität« von
Johannes Rogalla von Bieberstein gerade Furore.
»Wenn es wahr ist, dass solche Thesen in diesem Buch
vertreten werden, dann ist es nicht tragbar, dass Rogalla von Bieberstein in der
Bibliothek den Fachbereich Soziologie leitet«, sagt Phillippe Wagner, der
Referent für Hochschulpolitik des Asta. Bieberstein ist in der dortigen
Bibliothek für die Beschaffung in den Bereichen Soziologie und
Politikwissenschaften zuständig. Das genannte Buch erschien im Jahr 2002, der
extrem rechte Historiker Ernst Nolte schrieb das Vorwort.
Bieberstein geht darin der These nach, dass der Mythos des
»jüdischen Bolschewismus« einen realen Kern habe. »So findet und erfindet er
jede Menge Bande, die zwischen Juden und dem Bolschewismus bestanden hätten«,
beschreibt die Antifa-AG der Universität, die sich mit dem Werk befasst hat, das
Vorgehen des Historikers. »Damit rechnet Bieberstein den ›jüdischen
Bolschewisten‹ eine kausale Mitverantwortung für das Entstehen eines
radikalisierten Antisemitismus nach 1918 zu, in dem er die Reaktion ›der
christlich-bürgerlichen Welt‹ auf eine ›tatsächliche Herausforderung‹ erblickt.«
An einer Stelle des Buches heißt es: »Die Parteinahme einer bedeutsamen Fraktion
der Judenheit für Sozialismus und Kommunismus hat unzählige Christen und
Bürgerliche (…) in aller Welt alarmiert und antijüdisch reagieren lassen.«
Andernorts klagt Bieberstein, man dürfe der »deutschen Jugend nicht über
Generationen ›die Last von Auschwitz‹« aufbürden.
Das Werk trifft in rechten Kreisen auf große Zustimmung. So
verdiene »das ausgezeichnete Buch« nach Meinung des Ostpreußenblatts »weiteste
Verbreitung«. Das Buch ist u.a. beim Deutschen Buchdienst Gerhard Freys neben
CDs des rechtsextremen Liedermachers Frank Rennicke erhältlich.
Die rechtsextreme Wochenzeitung Junge Freiheit lobt es als
»wegweisenden Beitrag«. Einer der Autoren des Blattes, Hans-Helmuth Knütter,
schreibt im Internet über das Buch: »Es ist ein verdienstvoller Tabubrecher,
geeignet, auch die etablierten Historiker zu zwingen, sich mit dem
vernachlässigten Thema zu befassen.« Die Staats- und Wirtschaftspolitische
Gesellschaft, die sich vor allem dem Kampf gegen die Wehrmachtsausstellung
widmet, sagt zu dem Buch: »Die Vergleichbarkeit der Haltung vieler Juden in
Bezug auf Bolschewismus mit der Haltung vieler Deutscher zum Nationalsozialismus
liegt auf der Hand.«
Erschienen ist »Jüdischer Bolschewismus« in der Edition
Antaios. Sie beschreibt das Werk auf ihrer Internetseite so: »Und weil der durch
jüdische Führer geprägte Kommunismus zu einer terroristischen Diktatur
ausartete«, sei er »einer der Wege, die in den tödlichen Antisemitismus des
vergangenen Jahrhunderts führen«. Die Edition ist ein wichtiger Verlag der so
genannten neuen Rechten. Sie gibt unter anderem eine Schriftenreihe zu Ernst
Jünger heraus, auch dessen ehemaliger Privatsekretär Armin Mohler war einer der
Autoren des Verlags. Der kürzlich verstorbene Mohler bezeichnete sich selbst als
Faschist.
Ein weiterer Autor des Verlages ist Karlheinz Weißmann, nach
dem Informationsdienst gegen Rechtsextremismus einer der führenden Strategen der
neuen Rechten. Als solcher moderierte er 1998 die Bogenhausener Gespräche zum
Thema »Facetten der Konservativen Revolution«. Sie wurden von der Münchner
Burschenschaft Danubia veranstaltet, die im Jahr 2001 bekannt wurde, als sie
einen rechtsextremen Schläger nach einem Überfall auf einen Griechen in ihrem
Haus versteckte.
Bieberstein bestreitet aber, dass sein Buch antisemitisch
sei. »Die Unterstellung, dass Hohmann und ich ein ›rassistisches
Judenverständnis‹ hätten, geht ins Leere«, schrieb er an die Frankfurter
Rundschau. »Sie ist wohl darin begründet, dass viele Linke kein Verhältnis zur
Heiligen Schrift haben«, vermutete der Bibliothekar weiter. Und wie würde er
wohl das andere Buch verteidigen, das er geschrieben hat und das den Titel
trägt: »Die These von der Verschwörung 1776–1945. Philosophen, Freimaurer,
Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung«?
An der Universität ist Bieberstein Fachreferent für die
Bereiche Soziologie, Frauenforschung und das Zentrum für Interdiziplinäre
Forschung. »Seine Aufgabe ist es, im Einvernehmen mit der Fakultät Bücher zu
bestellen«, beschreibt Jost Adam, der stellvertretende Direktor der
Uni-Bibliothek, die Tätigkeit eines Fachreferenten. »Es ist aber nicht so, dass
Bieberstein die Regale vollstellt mit Büchern, die man am liebsten nicht in die
Hand nehmen würde«, begegnet er Bedenken, dass der Bibliothekar rechte Literatur
einkaufe. Das in der Universitätsbibliothek vorhandene Exemplar von »Jüdischer
Bolschewismus« habe nicht Rogalla von Bieberstein angeschafft. »Er hat der
Bibliothek ein Autorenexemplar geschenkt und der Fachbereich Geschichte hat es
in den Bestand aufgenommen«, erklärt Adam.
Das Rektorat der Universität teilte mit: »Eine Überprüfung
hat ergeben, dass der Text keine Passagen enthält, die ein dienstrechtliches
Vorgehen gegen den Verfasser geboten erscheinen lassen.« Schließlich sei
Biebersteins Buch »Resultat privater Aktivitäten, die nichts mit seinen
Dienstaufgaben zu tun haben«.
Dagegen glaubt die Antifa-AG, dass Bieberstein nicht der
richtige Mann sei, um Literatur für Soziologen und Politikwissenschaftler
anzuschaffen. »Wir halten die wissenschaftliche Weiterbeschäftigung des Doktor
von Bieberstein für eine ernsthafte Gefahr«, heißt es in der Erklärung, in der
seine sofortige Entlassung und eine öffentliche Diskussion über das Thema
gefordert werden.