Micha von der Aktion Zivilcourage Pirna ist sichtlich
ernüchtert. »Die Einschätzung des Richters kann ich nicht nachvollziehen. Von
wegen, die Angeklagten hätten keine schädlichen Neigungen mehr, so kahl
geschoren, wie sie heute hier gesessen sind«, sagt er. Nach einwöchigem Prozess
verkündete am vorigen Mittwoch die dritte Strafkammer des Dresdner Landgerichts
das Urteil gegen elf Mitglieder der verbotenen Neonazigruppe Skinheads
Sächsische Schweiz (SSS). Es fiel milde aus.
Die Männer im Alter von 22 bis 26 Jahren wurden wegen der
Bildung beziehungsweise der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung,
wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu
Jugendstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren verurteilt. Die Strafen
wurden zur Bewährung ausgesetzt. Nur zwei Angeklagte müssen Teile der
Verfahrenskosten tragen, die wegen der Kürze der Verhandlung gering ausfallen.
Das Gericht und die Verteidigung hatten sich schon vor dem
Urteil auf das Strafmaß geeinigt. Der Richter Tom Maciejewski stellte den
Angeklagten im Fall eines Geständnisses Bewährungsstrafen in Aussicht. Die
Staatsanwaltschaft stimmte dieser Absprache zu. Über ihre Anwälte gaben die
Angeklagten ihre Schuldbekenntnisse ab. Nur zwei von ihnen erklärten, dass sie
ihre Taten auch bereuen.
Damit ging der zweite Prozess gegen Mitglieder der SSS mit
ähnlichen Ergebnissen zu Ende wie schon der erste im Mai dieses Jahres, in dem
die Rädelsführer der Organisation ebenfalls nur zu Bewährungsstrafen verurteilt
wurden. Nach dem Urteil sind nun noch 20 von 82 Verfahren gegen Mitglieder der
SSS offen.
Die von Oberstaatsanwalt Jürgen Schär vorangetriebene
Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf
129 StGB führte kaum zur Aufklärung konkreter Taten. Und die Verfolgung
zivilrechtlicher Klagen ist für die Opfer der SSS wegen der geringen
Ermittlungsergebnisse schwierig.
Maciejewski betonte in seiner Urteilsbegründung den Charakter
der SSS als kriminelle Vereinigung. Ziel der Gruppe sei es gewesen, Straftaten
gegen politisch Andersdenkende zu verüben. Die im April 2001 als
verfassungsfeindlich verbotene SSS habe es sich zum Ziel gesetzt, die Sächsische
Schweiz von Linken, Drogenabhängigen und Ausländern »zu befreien«, wie sie das
nannte. »Denen hat es schon gereicht, wenn jemand ein bisschen anders aussah,
wenn sich jemand mal traute, einen Nirvana-Aufnäher zu tragen«, erzählt Tobias
von der Aktion Zivilcourage.
Zu dem Programm der etwa 120 Mitglieder starken SSS gehörten
in den neunziger Jahren Überfälle auf an der Elbe grillende Jugendliche, auf ein
Rockkonzert in einer Kirchengemeinde oder auf Leute, die von der Disco nach
Hause gingen. Sie klebte auch Wahlplakate der NPD und schützte Veranstaltungen
der Partei.
An der Spitze der streng hierarchischen Organisation standen
die bereits zu Bewährungsstrafen verurteilten Thomas S. und Thomas R. Nun stand
die Führungsriege der so genannten Members of SSS vor Gericht, die innerhalb der
SSS die zweite Ebene in der Hierarchie bildete. Die nächste Ebene bildeten die
Aufbauorganisationen Oberes und Unteres Elbtal, für die sich Anwärter sechs
Monate lang bewähren mussten. Die SSS besorgte sich Waffen und Sprengstoff,
legte eine Kartei über mehr als 50 missliebige Personen an und gab eine Zeitung
heraus.
»Es war wohl meine Sturm- und Drang-Zeit«, sagte der
Angeklagte Rene S. vor Gericht. Der vierfach vorbestrafte 25jährige
Kfz-Mechaniker sagte, er wolle nun ein ruhiges Privatleben führen, habe in
Karlsruhe eine Arbeitsstelle und eine Freundin. Oberstaatsanwalt Schär betonte,
die Mehrzahl der Beschuldigten habe eine Wende zum normalen Leben vollzogen,
auch wenn es noch Überzeugungstäter gebe. Auch der Richter folgte dieser
Argumentation. Die Taten lägen schon sehr lange, teilweise fünf Jahre zurück,
die Angeklagten seien heute sozial integriert.
Die Integrierten saßen allerdings in typischer Szenekleidung,
in Bomberjacken und Thor-Steynar-Pullovern, im Gerichtssaal. Bei der Verkündung
des Urteils befanden sich auch der Dresdner Neonazi Sven Hagendorf und der
verurteilte SSS-Aktivist Thomas R. im Publikum. R. betreibt nach wie vor »die
unabhängige Informationsstruktur« www.elbsandstein.org. Zum 9. November äußerte
er dort klar seinen politischen Standpunkt: »Seid bereit! Im Stillen! Denn der
Kampf um Deutschland geht weiter!«
Mindestens eines der angeklagten Mitglieder der SSS scheint
zu denen zu gehören, die nicht nur im Stillen aktiv sind. Gemeinsam mit zwei
weiteren bekannten Tätern verübte der 24jährige André F. in der Nacht zum 20.
August einen Anschlag auf eine Gruppe von Sinti und Roma in Gersdorf bei Pirna.
Dabei zündeten sie ein Auto an. Das Verfahren gegen André F. wurde wegen der
Überlagerung der beiden Anklagen abgetrennt, sein Prozess soll im Januar
stattfinden.
Immer wieder werden Übergriffe und rechte Aktivitäten in der
Region Elbsandsteingebirge bekannt. Anfang September wurden am »Tag der Sachsen«
in Sebnitz auf einer Veranstaltung des DGB und der Aktion Zivilcourage zwei
Person von Neonazis angegriffen. Der einen Personen wurde der Unterkiefer
gebrochen, der anderen wurden zwei Zähne ausgeschlagen. An dem Angriff war Tino
K. beteiligt, der ehemalige Anführer der SSS-Abteilung Oberes Elbtal. Er ist der
Sohn eines Bundesgrenzschützers, und ein Verfahren wegen seiner Aktivitäten in
der SSS ist anhängig.
Die Sächsische Zeitung zitierte in der vorigen Woche einen
Sprecher des Verfassungsschutzes, der darauf hinwies, dass es seit Anfang des
Jahres vermehrt Aktionen von Rechtsextremisten in der Sächsischen Schweiz gebe.
Vorher habe die Szene taktische Zurückhaltung geübt. Die Verurteilungen im
ersten Prozess im Mai hätten nur eine begrenzte Wirkung gezeitigt. Die Auskunft
darüber, ob sich unter den Angeklagten der SSS auch Informanten des
Verfassungsschutzes befanden, wurde allerdings wie schon im Mai auch bei dieser
Verhandlung verweigert.
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