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Interview:
»Jede Vertreibung ist zu verurteilen«

Interview mit Julius H. Schoeps zum Thema Vertreibung und dem geplanten Zentrum gegen Vertreibungen...

Das Interview führte Jörg Kronauer.

Es waren illustre Persönlichkeiten, die kürzlich in einer Anzeige die Einrichtung eines so genannten Zentrums gegen Vertreibung in Berlin forderten: etwa der konservative Historiker Arnulf Baring, der Überlebensspezialist Rüdiger Nehberg und der ehemalige Fußballtrainer Udo Lattek.

Aber auch Julius H. Schoeps sprach sich für ein solches Zentrum aus. Er ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien. Über seine Haltung sprach mit ihm Jörg Kronauer.

Was halten Sie von der aktuellen Debatte über die Umsiedlung der Deutschen?

Die Debatte entzündet sich an der Initiative, ein Zentrum gegen Vertreibungen zu gründen. Sie geht u.a. zurück auf Empfehlungen der Bundestagsfraktionen vom Juli des letzten Jahres. Damals waren sich die Parteien alle noch mehr oder weniger einig, dass ein solches Zentrum geschaffen werden soll.

Trägt diese Debatte nicht dazu bei, die Deutschen zu Opfern des Zweiten Weltkriegs zu stilisieren?

Es ist sicherlich so, dass dieses Thema die Gemüter erregt. Nach meiner Ansicht hängt das damit zusammen, dass es sich beim Thema Vertreibung um ein tabuisiertes Thema handelt, über das lange Jahre nicht gesprochen wurde, und wenn darüber gesprochen wurde, waren es verbandspolitische Interessen, die vertreten wurden.

Das scheint mir heute anders zu sein, und die Überlegung, ein Zentrum gegen Vertreibungen zu schaffen, halte ich für duchaus legitim, aber nur dann, wenn aller Vertreibungen gedacht wird, die im Europa des vergangenen Jahrhunderts geschehen sind. Ob das nun die Armenier sind, die Polen, die von jenseits der polnisch-sowjetischen Grenze vertrieben wurden, oder ob das in jüngster Vergangenheit Bosnien-Herzegowina gewesen ist. Überall hat es Vertreibungen gegeben, die dokumentiert werden sollten – wobei es nicht um Gebietsansprüche, um Restitutionsforderungen geht, sondern um die Ächtung der Vertreibung als Mittel der Politik.

Würden Sie in die genannten Ereignisse auch die Umsiedlung der Deutschen einordnen?

Ja sicherlich, auch das ist zu berücksichtigen, wobei man natürlich immer nach den Ursachen und Gründen fragen muss. Ein Zentrum, das sich mit der Geschichte und den Problemen der Vertreibungen beschäftigt, muss auch immer über die Ursachen nachdenken und diese thematisieren. Ohne Hitler und die Nazis, die den Krieg im Osten anzettelten und ethnische Säuberungen im großen Stil betrieben, ist die Vertreibung der Deutschen nach 1945 nicht zu verstehen.

Sehen Sie nicht die Gefahr einer Relativierung der deutschen Geschichte, wenn in diesem Zentrum die Umsiedlung der Deutschen direkt neben die Geschehnisse in Bosnien-Herzegowina gestellt wird?

Ich bin der Meinung, es muss alles gleichgewichtig behandelt werden. Die Vertreibungen müssen in einen europäischen Kontext eingeordnet werden. Sie nur national aufzuarbeiten, ist zwar legitim, führt aber nicht zu dem Ziel, Vertreibungen als Mittel der Politik zu ächten.

Dann würden Sie dem SPD-Politiker Markus Meckel zustimmen, der ein Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen fordert?

Die Ansichten liegen doch gar nicht so weit auseinander. Mir erscheint, dass Missverständnisse zurzeit das Denken blockieren. Ich bedaure das sehr. Man muss miteinander reden. Es scheint mir gar nicht so schwierig zu sein, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, das von allen getragen wird.

Die Umsiedlung der Deutschen beruht auf dem Potsdamer Abkommen. Würden Sie sie trotzdem als Unrecht bezeichnen?

Es geht jetzt nicht darum, wie etwas zustande kam – das wissen wir ja –, sondern es geht auch um die Befindlichkeiten der jeweiligen Vertriebenengruppen. Die deutschen Vertriebenen hatten das Glück, dass sie in den Westzonen, der späteren Bundesrepublik, integriert wurden. Andere Bevölkerungsgruppen hatten nicht dieses Glück. Ich denke zum Beispiel an die Armenier, die nach ihrer Vertreibung aus der Türkei bis heute in der Diaspora leben.

Der polnische Staatspräsident Alexander Kwasniewski sagte kürzlich, wenn man die Umsiedlung als Unrecht bezeichne, dann öffne man die Büchse der Pandora, da dann auch andere Bestimmungen des Potsdamer Abkommens kritisiert werden könnten und neue Revisionsforderungen erhoben würden. Teilen Sie diese Befürchtungen?

Nein, die teile ich nicht. Niemand wird die Nachkriegsordnung in Frage stellen wollen. Niemand wird versuchen wollen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Um was es geht, und ich wiederhole es noch einmal, ist, die Vertreibung als Mittel der Politik zu ächten.

Sie sind Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Zentrums gegen Vertreibungen. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich bin angefragt worden und habe zugestimmt, als ich hörte, wer die anderen Beiratsmitglieder sind. Ausschlaggebend für mich war, dass auch Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität und Michael Wolfssohn Beiratsmitglieder sind. Es kam hinzu, dass in der Jury des Franz-Werfel-Preises, der von der Stiftung verliehen wird, Ralph Giordano, der diesjährige Träger des Leo-Baeck-Preises, und Daniel Cohn-Bendit sitzen.

Im Beirat sitzt mit Dieter Blumenwitz auch eine Person, die die Süddeutsche Zeitung vor Jahren noch als »rechtsextremen Professor« bezeichnete.

Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ich kenne Herrn Blumenwitz nicht, ich weiß bloß, dass er ein namhafter Völkerrechtler ist. Ich bin in den Beirat eingetreten, weil ich die Personen, die ich genannt habe, kenne. Von ihnen weiß ich, dass sie sehr genau überlegen, was sie tun. Sie und ich werden uns keinesfalls für irgendwelche Interessen missbrauchen lassen.

Bundespräsident Johannes Rau sagte beim so genannten Tag der Heimat in Berlin, man könne diejenigen nicht von ihrer Verantwortung freisprechen, »die in Mittel- und Osteuropa erst mit den Deutschen gemeinsam die Juden entrechteten« (er meinte wohl den Massenmord von Jedwabne), »danach die Deutschen«. Relativiert so eine Aussage nicht die deutsche Geschichte?

Ich verstehe die Argumentation nicht ganz. Ich bin der Ansicht: Jede Form von Vertreibung ist zu verurteilen. Ob sie nun Polen, Juden oder Deutsche betrifft. Wollen wir nicht im gegenseitigen Aufrechnen verharren, ist es notwendig, den Fragen auf den Grund zu gehen. Das 20. Jahrhundert war bestimmt von Genozid und Vertreibung. Wenn ich richtig informiert bin, waren es mehr als 35 Volksgruppen, die im letzten Jahrhundert von Vertreibungen betroffen waren.

Es gibt auch die Befürchtung, dass mit der Thematisierung anderer Umsiedlungen auch anderswo wieder Spannungen auftreten könnten. An der polnischen Ostgrenze etwa.

Mir ist das Problem schon klar. Ich glaube aber, wenn man Themen beschweigt, ist das viel schlimmer. Man muss die Fragen offen diskutieren, man muss sie erörtern. Im Falle der Vertreibungen wird es eine lange Debatte geben, ähnlich der Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin, die über zehn Jahre gedauert hat. Das ist auch gut so, die Debatte ist das Entscheidende. Mag sein, dass noch manches Missverständnis entsteht, aber Missverständnisse können aus der Welt geschafft werden.

Jungle World
Jungle World Nummer 41 vom 01.10.2003

kt / hagalil.com / 2003-10-02

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