Verschwörungstheorien zu pflegen war bisher eine Spezialität
von eher unpolitischen Menschen oder Rechtsradikalen. In den USA besonders
beliebt ist etwa die These, die Amerikaner seien nie auf dem Mond gelandet,
vielmehr seien die beeindruckenden Bilder vom bleichen Mondgestein und der
blauen Erde in einem Hollywoodstudio entstanden. In Großbritannien populär ist
wiederum die Behauptung, Lady Diana sei vom Geheimdienst Ihrer Majestät MI 6 in
einer konspirativen Aktion um die Ecke gebracht worden.
Jene Theorien eint, dass sie recht wenig Schaden anrichten.
Ihre Anhänger mögen sie propagieren, soviel sie wollen, es juckt niemanden - von
ehemaligen Mondfahrern und der königlichen Familie vielleicht abgesehen.
Die neueste Verschwörungstheorie ist da von einem anderen
Kaliber. Sie ist gefährlich, denn sie legt nahe, wenn sie nicht gleich
behauptet, nicht islamistische Terroristen seien für die Massenmorde vom 11.
September 2001 verantwortlich, sondern ein Konglomerat aus US-Geheimdienst,
Präsident Bush und dem israelischen Mossad.
Es ist nun leider nicht zu erwarten, dass diese Theorie in
Vergessenheit gerät, weil sie widerlegt ist - auch in der taz. Auch auf
öffentlichen Podien sind die Thesen der Bröckers, Wisnewskis und Bülows zerlegt
worden wie ein Ikearegal beim Umzug - doch nicht ein Einziger von ihnen rückte
deshalb auch nur ein Jota von seinen Behauptungen ab. Mehr noch: Deren Anhänger
protestieren in wütenden Leserbriefen gegen alle, die ihren Glauben mit simplen
Fakten in Frage stellen - denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Historisch sind Parallelen zu entdecken. Der Centralverein
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens versuchte nach dem Ersten Weltkrieg -
mit schlagenden Argumenten, aber ohne jedes Ergebnis - die Mär von den "Weisen
von Zion", die es geheimbündlerisch auf die Weltmacht abgesehen hätten, aus den
Köpfen zu schaffen. Und nach dem Holocaust waren sich seriöse Wissenschaftler
nicht zu schade, die absurde Behauptung, der Nazimassenmord an den Juden sei
technisch unmöglich gewesen, in allen Details zu widerlegen - natürlich, ohne
deswegen auch nur einen einzigen Neonazi von der Irrationalität seiner
Behauptungen abzubringen.
Warum aber stößt die Verschwörungstheorie zum 11. 9. in der
deutschen Bevölkerung, besonders bei der vermeintlichen Linken und bei den
Rechtsradikalen, auf derartigen Zuspruch? Einer Umfrage der Zeit zufolge geht
ein Fünftel aller Deutschen davon aus, die US-Regierung selbst habe die
Anschläge in Auftrag gegeben. Offenbar entspricht die Theorie gewissen
Deutungsmustern, die schon vor den Anschlägen bestanden hatten.
Eine davon ist zweifellos die weit verbreitete Vermutung, den
USA im Allgemeinen und Präsident George W. Bush im Besonderen sei jede
Schweinerei zuzutrauen. Tatsächlich haben die US-Politik und ihre Skandale - von
Chile 1973 über die Contraaffäre bis zum jüngsten Krieg gegen den Irak - dafür
gesorgt, dass die einzige verbliebene Supermacht ein miserables Image hat. War
es in den Tagen nach dem 11. 9. noch die Abscheu gegen das Verbrechen, die
hunderttausende Deutsche auf die Straße trieb, so demonstrierten anderthalb
Jahre später noch mehr Menschen - nun jedoch gegen die US-Politik.
Mit Verschwörungstheorien hat das zunächst einmal nichts zu
tun. Aber umgekehrt hätte die 11.-9.-Theorie nie funktioniert, hätte man
beispielsweise dem vermeintlich harmlosen Japan eine solche Untat
untergeschoben.
Die globale Omnipotenz der USA ist es auch, die früh Zweifel
am Tathergang vom 11. 9. gesät hat. Kann es sein, dass ausgerechnet die
Supermacht zum Opfer einer Bande von mit Teppichmessern bewehrten Flugschülern
wurde? Ist das glaubhaft in einem Land, das Supercomputer, Superflugzeugträger
und Supermilitärjets sein Eigen nennt? Wo CIA und FBI angeblich alles belauschen
und fast alles wissen?
Es ist Inhalt vieler Verschwörungstheorien, dass einfache
Tatsachen geleugnet werden - weil das Einfache als zu simpel erscheint, um bei
der Größe des Ereignisses wahr sein zu können. Ein besoffener Fahrer soll Schuld
am Tode von Lady Di sein? Unmöglich! Ein durchgeknallter Einzeltäter erschoss
John F. Kennedy? Niemals!
Im Fall vom 11. 9. passt dieser Unglaube zum tatsächlichen
Versagen der US-Geheimdienste und der militärischen Abwehr. Man musste kein
Anhänger einer Verschwörung sein, um nach dem Massenmord darüber zu staunen,
dass dieses Land zwar Gesteinsproben auf dem Mars untersuchen kann, aber nicht
dazu in der Lage ist, in adäquater Zeit Abfangjäger über dem eigenen Territorium
aufsteigen zu lassen.
Dass besonders dumpflinke Deutsche dem Unsinn des selbst
gesteuerten Angriffs der USA auf die USA aufsitzen, kann wenig überraschen.
Schließlich sind es die Vulgärmarxisten, die das Feindbild Amerika (nicht nur)
in jüngster Zeit am sorgfältigsten gepflegt haben. Die Verschwörungstheorie vom
massenmordenden Präsident George W. Bush passt einfach zu gut. In diesen
Denkungsrahmen fungiert der 11. 9. - Gipfel der Perfidie - als Legitimation für
die Kriege in Afghanistan und im Irak, für einen neuen Imperialismus. Dass die
Verbrechen von New York, Washington D. C. und Shanksville US-Kapitalisten selbst
Schäden in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar beigebracht haben, wird -
weil unpassend - ausgeblendet.
Bei dieser Wahrnehmung treffen sich Linke und Rechte
punktgenau. Unter Rechtsradikalen ist jedwede Theorie verschwörerischer Art zum
11. 9. besonders populär, weil diese ihrem Feindbild USA perfekt entgegenkommt -
sie hassen die ethnische Vielfalt Amerikas und noch mehr den Erfolg jüdischer
US-Bürger.
Deshalb wird auch die These vom Mossadattentat und von Juden,
die am 11. 9. im World Trade Center angeblich nicht zur Arbeit erschienen (weil
vorgewarnt), besonders gerne breit getreten. Dieser platte Antisemitismus ist
den Dumpflinken dann doch etwas zu schmuddelig - obwohl auch Mathias Bröckers
und Andreas von Bülow Anleihen daraus beziehen.
Der besondere Erfolg der Verschwörungstheoretiker über die
reale Verschwörung vom 11. 9. in Deutschland - und Frankreich - erklärt sich
schließlich aus der simplen Tatsache, dass die Regierungen beider Staaten den
Krieg der USA und Großbritanniens gegen Saddam Husseins Irak abgelehnt haben.
Diese durchaus ehrenwerte Position ist offenbar mit dem unangenehmen Nachteil
verbunden, dass manche Deutsche und Franzosen jeglichen Erklärungen seitens der
US-Regierung keinen Glauben mehr schenken mögen. Wenn schon US-Außenminister
Colin Powell bei der Begründung des Irakfeldzugs im UN-Sicherheitsrat so
offensichtlich - um es milde zu sagen - die Wahrheit verbogen hat, liegt der
Gedanke nicht allzu fern, dass gleich der ganze 11. 9. eine riesige Lüge ist.
Die vorgebliche US-Verschwörung entspricht damit klassischen
Deutungsmustern. Ihren eigentlichen Charme erhält sie aber erst, weil damit das
eigene Denken bestätigt und zugleich eine viel kompliziertere Wirklichkeit
geleugnet wird.
Kaum ein Mensch ändert gerne über Nacht seine politische
Grundüberzeugung. Wenn die USA selbst als Täter identifiziert sind, dann
bestätigt das nicht nur das Weltbild manches Zeitgenossen. Dann muss man sich
auch keine Gedanken über den wachsenden Islamismus machen. Dann bleiben
muslimische Immigranten per se unterdrückte und ausgebeutete Mitbürger - kein
Gedanke daran, dass eine winzige Minderheit unter ihnen politischen Sprengstoff
im wahrsten Sinne des Wortes darstellen könnte.
Dann sind die Staaten, in denen der politische Islamismus
gedeiht und aus denen die Attentäter gekommen sind, nicht möglicherweise in
einen Massenmord verwickelte Diktaturen, sondern weiterhin und ausschließlich
Opfer des US-Imperialismus. Dann lassen sich sämtliche Gesetzesinitiativen der
US-Bundesregierung im Anschluss an den Einsturz des World Trade Centers als
plumper Versuch entlarven, die Bürgerrechte einzuschränken.
Schließlich: Dann ist jede Trauer über die mehr als
dreitausend Menschen, die am 11. 9. ermordet wurden, unangebracht. Lieber weint
man um Al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan, die dem brutalen US-Hegemonialstreben
zum Opfer gefallen sind.
Doch die Verschwörungstheorie bestätigt nicht nur das eigene
Weltbild. Darüber hinaus vermeiden ihre Anhänger eine Auseinandersetzung mit
ihrem eigenen individuellen Leben. Angenommen, nicht fanatische Islamisten mit
ihren religiös geprägten Vorstellungen einer künftigen Weltordnung, sondern die
weitgehend rational agierende US-Administration seien Urheber des 11. 9., dann
besteht auch keine Bedrohung für den westlichen Lebensstil, dem wir alle mit
großer Freude anhängen.
Die (gelinde gesagt) rigiden Vorstellungen einer
ausschließlich durch die Religion geprägten Gesellschaft lassen sich demgemäß
als pittoreske Erscheinungsformen einiger besonders heimatverwurzelter Migranten
in Berlin-Kreuzberg abbuchen. Eine Gefahr geht von ihnen nicht aus.
Auf diese Weise verliert das Attentat vom 11. 9. ein gut Teil
der Bedrohung für die Zukunft. Mit einem Wort: Die Verschwörungstheorie macht
das Denken ganz entschieden leichter.
Vor allem aber hilft diese Verschwörungstheorie gegen eines:
die eigene Angst. Wenn die Weltlage gar nicht so kompliziert ist, dann muss man
auch keine Furcht vor Konsequenzen für das eigene Leben haben. Egal ob Giftgas,
schmutzige Bomben oder TNT-Sprengstoff in Berlin, Düsseldorf oder auf Mallorca:
Alle diese Horrorszenarien werden bedeutungslos, wenn deren Urheber unter
derselben Adresse identifiziert sind wie die Mörder von Ground Zero.
Tatsächlich blieben viele Details des 11. 9. bis heute
ungeklärt. Weder konnten alle Geldströme vor dem Attentat vollständig
rekonstruiert werden, noch ist eindeutig festgestellt, inwieweit die Hamburger
Terrorzelle um Mohammed Atta selbstständig, auf Anweisung oder lediglich mit
Billigung der Führung von al-Qaida agiert hat. Viele mutmaßliche Helfer sind bis
heute nicht identifiziert. Unklar bleibt, inwieweit Teile des saudischen
Königshauses durch finanzielle Unterstützung in das Attentat verwickelt sind.
Und völlig im Dunkeln stochern wir bei der Frage, ob ein Attentat ähnlicher
Größe geplant wird.
Beunruhigende Tatsachen. Doch für manche ZeitgenossInnen kann
das Leben wunderbar einfach sein.