Urlaubsparadies Usedom:
Rechts gehört einfach dazu
In der Hansestadt Anklam, dem "Tor zur Sonneninsel Usedom"
in der nordöstlichsten Ecke Deutschlands, ziehen die Rechtsradikalen nicht mehr
brüllend durch die Straßen...
Heike Kleffner
In der Hansestadt Anklam, dem "Tor zur Sonneninsel Usedom" in
der nordöstlichsten Ecke Deutschlands, ziehen die rechtsradikalen nicht mehr
brüllend durch die Straßen. Das ist vorbei. Stattdessen etablieren sie sich
erfolgreich im Zentrum der 15.000-Einwohner-Stadt. Fünf Minuten zu Fuß geht
man vom historischen Hanse-Rathaus, dann leuchtet auch schon weithin sichtbar
das Werbeschild "New Dawn - Streetwear, Music & More". Im Schaufenster liegen
ein paar schwarze Kapuzenpullover, wie sie hier jeder zweite Jugendliche trägt.
Auf den Drehständern hängen dicht gedrängt T-Shirts, die für Neonazi-Bands
werben. Die heißen "Screwdriver" oder "Hauptkampflinie" und machen CDs mit
Titeln wie "Völkermordzentrale". Direkt neben der Spendenbüchse für "Kameraden
in Not" liegt auf dem Tresen das schwarz-weiß-rote Hochglanzcover der jüngsten
Ausgabe des Fahnenträgers: 48 Seiten, gedruckt in der bekanntesten Druckerei der
Nachbarstadt Wolgast, unter dem Motto "offensiver nationaler Sozialismus". Zwei
Skinheads trinken am Tresen Kaffee und unterhalten sich mit den beiden blonden
Verkäuferinnen. Das Gespräch endet abrupt. Mit Journalisten reden, "das kommt
gar nicht in Frage", sagt der Älteste in der Gruppe unwirsch, ein Mittdreißiger
mit Glatze und nur noch einem Auge: "Die Presse lügt doch immer." Die mediale
Aufmerksamkeit seit der Verhaftung des ehemals in der Hansestadt aktiven
Neonazis Martin Wiese nervt sichtlich. "Wir kennen Martin Wiese nicht. Nur weil
der hier geboren ist, müssen wir den nicht auch kennen", sagt die Frau im
modischen Girlie-T-Shirt trotzig. "Kameradschaftsbund und Anklam?" Kopfschütteln
und Schweigen ist die Antwort.
Jeder Satz, jedes T-Shirt und jede Jacke
trägt im "New Dawn" für Käufer und Passanten eine klare Botschaft. Man ist
rechtsextrem und stolz darauf. Immer hart am Rand der Legalität, aber - fast
immer - strafrechtlich nicht verfolgbar. Für Außenstehende sind die Zahlencodes
auf den Shirts nicht leicht zu durchschauen. 41 Euro kostet das Sweatshirt mit
dem Aufdruck "28 - wir lassen uns nicht verbieten" - eine doppelte Anspielung:
Die Zahlen stehen für die Buchstabenkombination B und H im Alphabet. Das Kürzel
"B & H" für die von Bundesinnenminister Otto Schily vor zwei Jahren verbotene
militante Neonaziorganisation "Blood & Honour".
Selten kommt zutage, was
nur dem eingeweihten Kundenkreis angeboten wird. So wie im Sommer 2001, als
"Till" vom "New Dawn" gleich 350 Stück der neuer CD "Republik der Strolche" der
Berliner Neonaziband "Landser" orderte. Dass keine einzige "Landser"-CD legal
verkauft werden kann, macht den Reiz für Verkäufer und Konsumenten aus. Die
Liedtexte - "Irgendwer wollt den Niggern erzählen, sie hätten hier das freie
Recht zu wählen. Recht zu wählen haben sie auch: Strick um den Hals oder Kugel
im Bauch" - sind derzeit Verhandlungsgegenstand am Kammergericht in Berlin. Dort
wird gegen drei mutmaßliche Bandmitglieder wegen "Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung", "Volksverhetzung" und "Aufstachelung zu Rassenhass"
verhandelt.
Sorgen, dass die 350 Landser-CDs in Anklam unterm Ladentisch
verstauben würden, musste "Till" nicht haben. Schließlich hat sich neben dem
seit sieben Jahren aktiven, rund 20-köpfigen "Kameradschaftsbund Anklam"
(KBA), dem auch Martin Wiese bis zu seinem Umzug nach München vor drei Jahren
angehörte, eine unübersichtliche und zahlenmäßig schwer kalkulierbare rechte
Szene etabliert. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung schon Mitte der
Neunzigerjahre, in einem Landgasthof in dem 800-Seelen-Dorf Klein Bünzow, wenige
Kilometer nördlich von Anklam. Die Samstagabende in der "Linde" gehörten zu den
Highlights des rechten Wochenendvergnügens. Aus ganz Deutschland, England und
Skandinavien kamen Besucher, Kader und Bands angereist. Mitschnitte und Videos
der Konzerte kursierten bald europaweit: Sie zeigen schwarz gekleidete,
muskelbepackte Naziskin-Ordner, die vor 600 grölenden und halbnackten
Gesinnungsgenossen mit dem Hitlergruß posieren, während auf der Bühne neben der
Hakenkreuzfahne die englische Neonaziband No Remorse ihren Hit "Barbecue in
Rostock" in die Mikrofone brüllt.
Als "Grillfest in Rostock" werden jene
Tage im August 1992 gefeiert, als in Rostock-Lichtenhagen ein Mob von Neonazis
und jugendlichen Rechten das Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter in Brand
setzte. Derzeit instrumentalisieren in Anklam Rechte und CDU das Pogrom. Mit der
Drohung, "das gibt ein neues Lichtenhagen", soll ein neues Flüchtlingsheim
verhindert werden. 450 Nichtdeutsche leben in der Hansestadt. Demnächst könnten
in einen maroden, braungelben Klinkerbau knapp 300 Flüchtlinge einziehen. Eine
Kladde mit 1.000 Überschriften gegen das Heim hat der Diskobetreiber von
nebenan dem Bürgermeister schon überreicht.
Ohne die Konzerte in der
"Linde" Mitte der Neunzigerjahre wäre es vermutlich weder zur Gründung des
Kameradschaftsbundes Anklam noch zur Eröffnung des "New Dawn" im Herzen von
Anklam gekommen. Heute sind aus den Skinheads von einst Geschäftsleute wie
"Till" geworden, der mit vollem Namen Markus Thielke heißt und bis vor kurzem in
dem kleinen Dorf Salchow in einer Art neonazistischer Landkommune wohnte. Hinter
dem grauweiß verputzten Bauernhaus mit der Jahreszahl 1907 und den
geschlossenen Jalousien grasen ein halbes Dutzend Pferde. Durch den Garten tobt
ein Pitbull. Im Flur des Hauses grüßt ein nationalsozialistisches Wandbild.
"Lest den Stahlhelm" steht in altgotischen Lettern über dem stilisierten
Wehrmachtssoldaten. Am Spiegel hängen das Credo internationaler Rassisten: Die
"14 Worte" des US-amerikanischen Naziterrorristen David Lane, der vom "Erhalt
der weißen Rasse" fabuliert.
In der ausgebauten Scheune neben dem Haus
sollen sich an Wochenenden bis zu 100 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet zu
Strategietreffen versammelt haben, vermuten Sicherheitsbehörden. Doch der dicke
junge Mann, der im blauen Monteursanzug und Tennissocken in der Haustür steht,
will darüber nicht reden. Und über Martin Wiese erst recht nicht. Wie auswendig
gelernt folgt auch hier der Satz: "Den kennt hier keiner. Und nur weil der hier
geboren ist, muss man den nicht auch kennen." An der Bundesstraße 109 hängen
noch in jedem Buswartehäuschen die inzwischen etwas vergilbten Plakate "Opa
war in Ordnung", mit denen der KBA und andere Kameradschaften gegen die
Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" mobil machte, als die im Sommer im nahen
Peenemünde gezeigt wurde. Im Dorf Blesewitz wirbt der Dachdecker Mirko Gudath
mit einer mannshohen hölzernen Lebensrune am Rand neben der Bundesstraße für
seine Dienste. Auch Gudath wurde bis vor kurzem zum KBA dazugerechnet. Heute
lässt er sich im örtlichen Anzeigenblatt als heimatverbundener Jungunternehmer
und Sponsor des Tischtennisvereins porträtieren.
Der Ladenbesitzer
Thielke und der Dachdecker Gudath kommen aus der gleichen Endzwanziger
Generation Rechtsextremer wie Martin Wiese. Während Wiese zum Arbeiten und
Bombenbauen nach München zog und am Rand der Gesellschaft blieb, haben Thielke
und Gudath den Sprung aus der Nische längst geschafft. Sie schaffen
Arbeitsplätze für Gesinnungsgenossen, bedienen aber eine weitaus größere
Kundschaft und werkeln am "nationalen" Landidyll.
Das wird ergänzt durch
Veranstaltungen wie ein "nationales Volleyballturnier", für das die NPD
wirbt. Der Heimatbund Pommern lädt besorgte Väter und Mütter zu "Elternabenden"
ein, um "Missverständnisse" auszuräumen. Gewerkschaftsfunktionäre fürchten sich
vor aktiven Jungrechten, die als Jugendvertreter in Betrieben gewählt werden,
von "national und sozial" in einem Atemzug reden, und Lehrer vor Schülern,
deren Geschichtswissen aus "Schulungsbriefen" der Kameradschaften kommt und die
Rudolf Hess als Märtyrer verehren. Hoffte man in den Neunzigern immer noch auf
einen Ausstieg vieler Jungrechter durch "Frau, Kind und Pitbull", so gilt die
längst nicht mehr. Der hohe Anteil von jungen Frauen in den Kameradschaften und
eine Bandbreite von Dresscodes - vom Naziskin über Rockeroutfit und
Scheitelträger - festigt die Szene noch mehr. Von einem Verbot des KBA oder
einer der anderen 15 Kameradschaften im Land spricht im Schweriner
Innenministerium niemand. Anders aussehende und anders denkende Jugendliche
ziehen weg, sobald sie können. Oder es ergeht ihnen wie dem 15-jährigen Daniel,
dem kaum ältere Rechte im März den bunten Irokesenhaarbüschel auf dem Kopf
anzündeten. Doch derartige Angriffe sind selten geworden in Anklam, bestätigt
auch die Landesweite Beratung für Opfer rechte Gewalt (Lobbi). Aus Mangel an
Opfern, die dem Feindbild entsprechen; weil der eigene Ruf ohnehin gefestigt und
die Strafverfolgung geschäftsschädigend ist.
Anklams Bürgermeister
Michael Galander kann also guten Gewissens behaupten, dass die Rechten hier
"relativ wenig auffallen". Gegen das "New Dawn" allerdings will Galander nicht
vorgehen. "Das wäre blinder Aktionismus, eine Provokation. Wie Öl ins Feuer
gießen", wehrt er ab. Der 34-jährige Parteilose gilt als Macher. Vor zehn Jahren
kam er aus dem Westen hierher, hat eine Firma aufgebaut und sich nun ein Ziel
gesetzt. 500 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze will er in seiner
Amtszeit schaffen - in einer Region mit einer 25-prozentigen
Arbeitslosigkeit. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ein gravierendes
Problem mit Rechtsextremismus haben", sagt der Bürgermeister.
die tageszeitung
die tageszeitung vom 06.10.2003
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/ 2003-10-09
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