"Die Schrecken, denen man als Jude im besetzten Polen während
der Nazizeit ausgesetzt war, blieben auch mir nicht erspart. Ich kam vom Ghetto
ins Gefängnis und anschließend in das berüchtigte Lager Sobibor, wo ich am
dortigen Aufstand beteiligt war und flüchtete und somit dem sicherem Tod entkam.
Ich versteckte mich im Wald wie ein gejagtes Tier und schloss mich schließlich
bis zur Befreiung dem polnischen Widerstand an." So fasst Thomas T. Blatt sein
Leiden und Überleben im Vorwort seines Berichtes "Nur die Schatten bleiben"
zusammen. Blatt wurde 1927 in Izbica in Ostpolen geboren, er ist einer der
wenigen Überlebenden des Häftlingsaufstandes im Vernichtungslager Sobibor am 14.
Oktober 1943.
Im März 1942 begann der Bau des Vernichtungslager Sobibor in
Ostpolen an der Bahnlinie Chelm-Wlodawa in einem sumpfigen Waldgebiet. Neben
Belzec und Treblinka war Sobibor das dritte Vernichtungslager der "Aktion
Reinhard". Der Deckname steht für die Ermordung der Jüdinnen und Juden im
Generalgouvernement. In Sobibor wurden polnische Jüdinnen und Juden umgebracht,
es kamen aber auch Transporte aus anderen europäischen Ländern, wie Deutschland,
Österreich, der Slowakei, Frankreich und den Niederlanden. Erster Kommandant und
mit der Fertigstellung betraut war ab März 1942 SS-Obersturmführer Franz Stangl,
der vorher im Euthanasie-Programm in der Anstalt Schloss Hartheim bei Linz
eingesetzt war. Von Mai 1942 bis zum Oktober 1943 wurden in Sobibor direkt nach
ihrer Ankunft ca. 250.000 Menschen ermordet. Ca. 1.000 Menschen, darunter 150
Frauen, wurden als Funktionshäftlinge aus den ankommenden Transporten selektiert
und mussten Arbeiten für das Lagerpersonal verrichten.
Der Gedanke an Flucht, Aufstand und Revolte kam unter den
Funktionshäftlingen des Lagers immer wieder zur Sprache. Den Häftlingen war
klar, dass sie als Zeugen des Mordens in jedem Fall getötet würden. Der Aufstand
wurde von einer kleinen Häftlingsgruppe minutiös geplant und schließlich am
14.10.1943 durchgeführt. Durch Täuschungsmanöver wurden SS-Männer in Hinterhalte
gelockt und von Häftlingen heimlich getötet. Den überwiegend unbewaffneten 550
Arbeits- oder Funktionshäftlingen standen neben den 17 SS-Leuten der
Lagerleitung weitere 120 gut bewaffnete und militärisch ausgebildete Bewacher
gegenüber. Als der Aufstand offen ausbrach, schlossen sich viele der Gefangenen
an. Etwa 320 von ihnen konnten aus Sobibor fliehen. "Zwar waren wir dem Tod in
den Gaskammern entronnen, aber noch waren wir alles andere als in Sicherheit -
das Gespenst des Todes war nur ein wenig zurückgewichen. Wohin sollten wir
gehen? Was sollten wir tun? Ließ man sich als Jude in der Öffentlichkeit
blicken, bedeutete das unter dem Gesetz der Nazis das Todesurteil."
Weder die örtliche Bevölkerung in den umliegenden Dörfern
noch alle PartisanInnengruppen waren den Entflohenen wohlgesonnen, auch von hier
drohte der Tod. Bis Ende Oktober dauerte die Menschenjagd durch Wehrmacht, SS,
Polizei und Wachpersonal, selbst Flugzeuge wurden eingesetzt. Für mehr als die
Hälfte der Flüchtenden endete die Flucht mit ihrer Festnahme und sofortigen
Ermordung. Überlebende Augenzeugen der Morde und der Ausbeutung in den
Vernichtungslagern sollte es nicht geben, die SS versuchte sämtliche Spuren
auszulöschen. Das Vernichtungslager Sobibor wurde geschlossen und auf dem
Gelände ein Bauernhof errichtet und bewirtschaftet.
Thomas T. Blatt wertet den Aufstand eindeutig als Erfolg.
Nach dem Aufstand wurden keine Jüdinnen und Juden mehr nach Sobibor deportiert,
es fanden dort keine Vergasungen mehr statt. Und nur durch den Aufstand konnten
er und über 50 weitere Personen dem sonst sicheren Tod in Sobibor entkommen.
Diese Überlebenden können sowohl ihre eigene Verfolgungsgeschichte als auch die
Morde in Sobibor bezeugen. Ihr Zeugnis des Häftlingsaufstand widerlegt zudem das
Bild der passiven Opfer, der Aufstand stellt ein wichtiges Beispiel für den
jüdischen Widerstand dar.
Erst in den 60er Jahren errichtete der polnische Staat eine
Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers. Zum 60. Jahrestag des
Aufstandes wird jetzt eine Gedenkallee für die Opfer eingeweiht, ihr letzter Weg
soll sichtbar werden. Bisher ist dieser historische Ort, an dem die Asche der
250.000 Ermordeten verstreut liegt, nicht als solcher erkennbar, es fehlen
Hinweisschilder oder Pläne.
Der Umgang mit den direkt verantwortlichen Nazitätern ist
typisch für die BRD, erst zwanzig Jahre nach Kriegsende fand ein Prozess wegen
der Morde in Sobibor statt. "Elf der SS-Männer aus Sobibor standen vom 6.
September 1965 bis zum 20. Dezember 1966 in Hagen vor Gericht. Einer der
Angeklagten beging Selbstmord, einer wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt,
fünf erhielten Haftstrafen zwischen drei und acht Jahren, vier wurden
freigesprochen." (Enzyklopädie des Holocaust) Franz Stangl, der erste
Kommandant, geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Da er als
Verantwortlicher unerkannt blieb, wurde er in ein normales Gefängnis verlegt.
Von dort floh er mit Unterstützung von Bischof Alois Hudal über die
"Rattenlinie" nach Syrien. 1951 zog er mit seiner Familie nach Sao Paulo in
Brasilien und arbeitete dort bei Volkswagen. Erst 1967 wurde er festgenommen, in
die BRD ausgeliefert und 1970 zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Juni 1971
verstarb er in Haft.
Thomas T. Blatt sagt über sein Buch: "Mein Buch hat keine
besondere Botschaft. Es ist lediglich die Geschichte eines jüdischen Teenagers,
der unbedingt am Leben bleiben wollte; eine Geschichte, die selbst mir manchmal
unglaublich vorkommt, obwohl jedes Wort wahr ist."
Zitate aus der Autobiographie: Thomas Toive Blatt, "Nur die
Schatten bleiben", atv, 2002, 335 Seiten, 8,95 Euro. Zum Aufstand: Thomas Toive
Blatt, "Der Aufstand in Sobibor", Unrast Verlag, 2003, 240 Seiten, 16 Euro