Die Tochter eines SS-Opfers bezeichnet den Mörder als
Folterer - und wird dafür verurteilt. Undenkbar? Nicht in Italien. In Rom
stellte, wie erst jetzt bekannt wurde, eine Zivilkammer mit einem im Juni
gefällten Spruch die Ehre des Erich Priebke wieder her. Der 90-jährige ehemalige
SS-Hauptsturmbannführer sitzt seit 1998 unter komfortablen Bedingungen im
Hausarrest die lebenslange Haftstrafe ab, zu der als einer der Haupttäter des
Massakers in den Fosse Ardeatine verurteilt wurde. Priebke hatte als zweiter
Mann hinter Roms Gestapo-Chef Kappler im März 1944 die Mordaktion organisiert,
der 335 italienische Geiseln zum Opfer fielen; außerdem hatte er eigenhändig
zwei Geiseln erschossen.
Einer der Toten war Ugo Stame, Operntenor und Organisator
einer Widerstandsgruppe im deutsch besetzten Rom. Seine Tochter Simonetta hatte
in einem 1998 mit der römischen Tageszeitung Il Messaggero geführten Interview
den Verdacht geäußert, Stame sei zudem in Gestapo-Haft gefoltert worden. Sie
selbst habe bei ihrem letzten Besuch im Gefängnis Schwellungen in seinem Gesicht
wahrgenommen; außerdem hätten Zeugen aus dem Gefängnis ihr gesagt, dass ihr
Vater von einem Tag auf den anderen in Haft nicht mehr gesungen habe; ihm sei
offensichtlich bei einem Folter-Verhör der Brustkorb eingedrückt worden.
Zu viel für Priebke. Der verklagte Simonetta Stame und den
Messaggero wegen Verleumdung auf Schadensersatz von gut 50.000 Euro. Und während
der Messaggero freigesprochen wurde - die Zeitung habe nur ihrer Berichtspflicht
genügt -, wurde Simonetta Stame verurteilt, weil sie "der Ehre, der Reputation
und der moralischen Würde" Priebkes Schaden zugefügt habe. Schadenersatz muss
sie zwar nicht leisten, doch ihr wurde auferlegt, das Urteil auf eigene Kosten
im Messaggero publizieren zu lassen und außerdem 3.000 Euro Gerichtskosten zu
zahlen.
Bei dem Urteil stützten sich die Richter einzig auf den
Autopsiebefund. In dem sei von Folterspuren keine Rede. Dass die entstellten
Leichen aus den Fosse Ardeatine erst Monate nach ihrem Tod obduziert wurden,
dass es den Ärzten damals allein um ihre Identifizierung ging, unterschlägt das
Urteil. Der Antrag Simonetta Stames dagegen, in eine Beweisaufnahme auch mit
Zeugenanhörungen über Priebkes Wirken in der Via Tasso, dem berüchtigten
Gestapo-Folterhauptquartier in Rom einzutreten, wurde abgeschmettert.
Empörung löste das Urteil - das ausgerechnet zum 60.
Jahrestag der Deportation von über 1.000 Juden aus Rom bekannt wurde - nicht nur
bei der Jüdischen Gemeinde und dem Verband der Nazi-Opfer aus, die sofort eine
Kollekte für Simonetta Stame organisierten. Auch Roms Bürgermeister Walter
Veltroni erklärte, die Stadt werde mit einer Spende zur Deckung der
Verfahrenskosten beitragen.