Die Brüder bekommen hohe Haftstrafen. Der kleine Bruder acht
Jahre und sechs Monate wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung, der
ältere 15 Jahre wegen versuchten Mordes. Ihr Freund wird zu zwei Jahren wegen
Nötigung verurteilt.
Die Richter vom Landgericht Neuruppin haben den Mord, der in
der Nacht zum 13. Juli 2002 in dem kleinen Ort Potzlow in der Uckermark geschah,
nicht als verirrte Tat von drei betrunkenen Jungs gewertet. Sie haben mehr als
40 Zeugen befragt, sie haben fast das ganze Dorf Potzlow ins Gericht geladen:
die Polizisten, den Getränkehändler, die Lehrer, die Schulfreunde, die
Alkoholiker. 25 Tage hat der Prozess jetzt gedauert.
Die Richter haben sich Mühe gegeben. Sie haben versucht
herauszufinden, was passiert ist in jener Nacht, als die drei Angeklagten, die
Geschwister Marco und Marcel S., 23 und 17 Jahre alt, sowie ihr Freund, der
17-jährige Sebastian F. nach einem Abend voller Bier- und Schnapsherrlichkeit
den 16-jährigen Marinus Sch. erst stundenlang gequält und geschlagen haben.
"Sag, dass du ein Jude bist", verlangten sie. Auf das Gelände einer
stillgelegten LPG am Dorfrand haben sie ihn geschleppt. Dort erwartete ihn ein
so genannter "Bordstein-Kick", wie er auch in dem Spielfilm "American History X"
gezeigt wird: Marinus Sch. musste in die Kante eines Schweinetrogs beißen,
Marcel S. sprang ihm mit seinen Springerstiefeln auf den Kopf. Erst Monate
später wurde die Leiche von Kindern in der Jauchegrube gefunden.
Das Verbrechen flog auch deswegen auf, weil Marcel S. immer
wieder mit der Tat angegeben hatte. "Ich hab einen Penner umgebracht", hat er
gerufen, "musste auch mal machen, is geil." Die Angeklagten haben bei der
Polizei zugegeben, dass es so war. Den Rest haben Zeugenaussagen bestätigt. Am
Ende sahen es die Richter als erwiesen an, dass die Angeklagten Marinus Sch. als
Opfer aussuchten, weil er eine weite Hip-Hop-Hose getragen hatte und sich die
Haare blond färbte. Ihre rechte Einstellung führte zur Motivation, "ihn zu
demütigen, um eigene Überlegenheit zu demonstrieren", sagte die Vorsitzende
Richterin gestern. Marcel S. habe vorsätzlich und aus niederen Beweggründen
gehandelt. "Er wollte erleben, wie es ist, einen Menschen zu töten."
Die Verteidiger der Angeklagten hatten dagegen kein
rechtsextremes Motiv für den Mord ausmachen können, vielmehr handele es sich um
eine Tat im Alkoholaffekt. Der Anwalt von Sebastian F. hatte sogar eine
Jugendstrafe im Gefängnis abgelehnt. Bei den Auseinandersetzungen habe es sich
um "nicht wesentlich mehr als eine Kabbelei" gehandelt. "Ein so genannter
Bordstein-Kick ist sicher brutal, aber nicht grausam. Er ist effizient, um
jemanden zu töten."
Die beiden Brüder vernahmen mit gesenkten Köpfen ihr Urteil.
Beim älteren Bruder Marco S. floss auch dessen langes Vorstrafenregister in das
Strafmaß mit ein. Derzeit sitzt Marco. S. bereits im Gefängnis, wegen eines
Überfalls auf einen Asylbewerber aus Sierra Leone.
Sein kleiner Bruder wollte ihm mit dem Mord an Marinus S.
imponieren, erklärte die Richterin gestern. In der Untersuchungshaft hat Marcel
S. sich ein Hakenkreuz auf sein Knie tätowieren lassen. Auch im Gerichtssaal
bemühte er sich um ein ausdrucksloses Gesicht. Sein Freund Sebastian F. durfte
gestern nach Hause gehen. Bis zur Vollstreckung der Strafe ist er frei. Mit
einem breiten Grinsen im Gesicht, einer Plastiktüte in der einen und einer
Zigarette in der anderen Hand, verließ er gestern den Saal. Die
Staatsanwaltschaft hat indes angekündigt, gegen das Urteil in seinem Falle
Revision einzulegen. Auch der Anwalt der Nebenklage findet die Entscheidung
"viel zu milde".
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