Ein großer Kreis links: »Das ist das demokratische Spektrum.«
Ein großer Kreis rechts: »Das ist das rechtsextreme Spektrum.« Ein kleiner Kreis
im großen Kreis rechts: »Das ist die Neue Rechte.« So einfach ist die politische
Mengenlehre des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, die Thomas
Pfeiffer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Behörde, souverän vorstellt.
Rund 150 Interessierte besuchen am 8. Oktober die öffentliche
Fachtagung, zu der das Düsseldorfer Innenministerium ins prunkvolle Gebäude der
Bezirksregierung eingeladen hat. »Zum ersten Mal ist der Verfassungsschutz in
Nordrhein-Westfalen mit externem Fachpublikum im Rahmen einer größeren Tagung
ins Gespräch gekommen«, verkündet das Ministerium stolz. Etwas Besonderes ist
auch das Thema. Um die so genannte Neue Rechte geht es, eine höchst heterogene
Strömung, deren Beobachtung durch die Behörde in NRW umstritten ist.
Seit fast zehn Jahren beobachtet der Düsseldorfer Dienst das
bedeutendste Medium der Neuen Rechten, die Wochenzeitung Junge Freiheit. Die
Redaktion prozessiert seit 1996 vergeblich gegen die Überwachung, die ihren Ruf
im konservativen Teil ihres Publikums beschädigt. Zwei kleinere Kampagnen hat
sie bisher gegen den Verfassungsschutz in NRW geführt, ebenfalls ohne Erfolg. Im
Gegenteil: Inzwischen steht die Zeitung auch in Baden-Württemberg unter
Beobachtung.
Die Fachtagung in Düsseldorf soll dazu beitragen, auch die
Kollegen aus den Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer zur Beobachtung
der Neuen Rechten zu animieren. Zahlreiche Referenten sind dazu angereist, unter
ihnen befinden sich – erstaunlich für eine Tagung des Verfassungsschutzes –
ausgewiesene Linke.
Im Vorfeld führte das zu erheblichem Aufruhr. »Der
eigentliche Skandal ist die Referentenliste«, beschwerte sich die Junge Freiheit
schon im Mai. Eine »Ansammlung von Linksextremisten« entscheide hier über
Verfassungstreue. »Innenminister Behrens wird sich auf unangenehme Fragen
gefasst machen müssen«, drohte das Blatt und druckte eine ganze Reihe übler
Anti-Antifa-Artikel, in denen die Aktivitäten linker Referenten der Tagung
beschrieben wurden.
Im Sommer stimmten CDU-Bundestagsabgeordnete in die Kampagne
ein. »Es ist skandalös, dass bei dieser Tagung eine Reihe von Experten
auftreten, die ihrerseits in eindeutig linksextremistische Zusammenhänge
verstrickt sind«, heißt es in einem Brief der CDU, der der Welt am Sonntag
zugespielt wurde. Anfragen an die Bundesregierung wurden gestellt, die eine
regierungsamtliche Entlarvung der inkriminierten Experten als Linksextremisten
zum Ziel hatten. »Mir erscheint das, als ob man die Schweine zu Verwaltern des
Schlachthofes macht«, kommentierte der CDU-MdB Georg Schirmbeck die
Referentenliste.
Darüber hinaus gibt es Anzeichen für zukünftige
Diffamierungskampagnen. Der CDU-Abgeordnete Egon Jüttner hat sich inzwischen
über die Aktivitäten eines süddeutschen Friedensbündnisses kundig gemacht, das
gegen eine Großkundgebung der Sudetendeutschen Landsmannschaft protestierte.
Jüttners Büromitarbeiter Sebastian Prinz ist übrigens der Verfasser eines in der
Rechten kursierenden Papiers, das Recherchematerial für die Kampagne gegen die
Tagung in Düsseldorf enthält.
Prinz verkörpert den Übergang des Anti-Antifaschismus aus der
rechten Schmuddelecke in den etablierten Konservatismus. In den neunziger Jahren
gehörte er dem Arbeitskreis »Publizistische Aktivitäten gegen Links« des
Anti-Antifa-Mentors Hans-Helmuth Knütter an, berichten Szenekenner. Er soll
Aktivistinnen und Aktivisten der Neonazi-Truppe FAP von seinem Leserkreis der
Jungen Freiheit erzählt haben. Heute promoviert der Burschenschafter über die
PDS, publiziert seine Erkenntnisse bei der Konrad-Adenauer- sowie der
Hanns-Seidel-Stiftung. Und schreibt Dossiers über Linke.
Auf der Tagung am 8. Oktober ist diese Kampagne nur am Rande
präsent. »Solche durchsichtigen Manöver lenken uns nicht vom Thema ab«, beteuert
der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens, als er das Publikum
begrüßt. Um den Kampf gegen die Neue Rechte geht es ihm, die Tagung richtet sich
vor allem an Menschen »aus Wissenschaft, Medien, Bildung«, die für diesen Kampf
gewonnen werden sollen. »Ich würde mich freuen, wenn Sie über diesen Tag hinaus
mit dem Verfassungsschutz NRW in Kontakt blieben«, beteuert er.
Den Einfluss des Verfassungsschutzes auszuweiten, das ist
offenbar das zweite, ungenannte Ziel der Tagung. »Wir wollen mit Ihnen
zusammenarbeiten!«, ermuntert der Verfassungsschützer Pfeiffer die akademischen
Referenten, Wolfgang Gessenharter von der Hamburger Bundeswehr-Universität
stimmt ihm begeistert zu. Dabei sind sie schon Kollegen. Pfeiffer hat einen
Lehrauftrag an der Universität Bochum, sein VS-Kollege Armin Pfahl-Traughber an
der Universität Köln.
»Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist eine
Aufgabe, die Staat und Gesellschaft gemeinsam fordert«, sagt Behrens. An den
Wänden rufen die Porträts mächtiger Preußen den alten Obrigkeitsstaat in
Erinnerung, der noch jede Regung der Gesellschaft unter seine Kontrolle brachte.
Tendenzen in diese Richtung lassen sich auch heute feststellen. Die
Verfassungsschutzbehörde knüpft Kontakte, bietet Medien und
Bildungseinrichtungen Informationen an, gibt sich führend in der Debatte um den
Protest gegen rechts. Spiegel Online bittet einen Verfassungsschützer zum
Interview, nebenan wird ein zweiter für Volkshochschulkurse gewonnen.
Wie der Verfassungsschutz den Slogan des ehemaligen
Bildungsministers Jürgen Rüttgers »Kinder statt Inder« beurteile, fragt eine
Kritikerin, ohne Antwort zu erhalten. Kann man denn die Neue Rechte beobachten
und die Radikalisierung der bürgerlichen Mitte übersehen? Man kann, lächelt der
Mitarbeiter und blickt zu einem 1933 entstandenen Ölbildnis des Alten Fritz.
Denn die Neue Rechte ist der kleine Kreis in dem großen Kreis
rechts, der den Rechtsextremismus darstellt. Die bürgerliche Mitte aber ist der
große Kreis links, das demokratische Spektrum. Und das gehört nicht zum
Aufgabenbereich der Behörde.