Wohl durch Zufall wurde in München ein Bombenanschlag auf die
Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums verhindert. Bei Durchsuchungen am
10. September 2003 stellte die Polizei mehr als 14 Kilogramm Sprengstoff,
darunter 1,7 Kilogramm TNT, sicher. Mittlerweile wurden in diesem Zusammenhang
bundesweit elf Neonazis verhaftet; als Kopf der Neonazi-Combo gilt Martin Wiese,
Anführer der Kameradschaft Süd - Aktionsgemeinschaft Süddeutschland.
Am 26. September, also nur wenige Tage vor dem Zugriff der
Polizei, jährte sich zum 23. Mal der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest. Der
vermeintliche Einzeltäter Gundolf Köhler, Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann,
zündete 1980 eine Bombe mit 1,4 Kilogramm TNT. 13 Menschen wurden getötet und
weit über 200 zum Teil lebensgefährlich verletzt. Im Zuge der jetzigen
Hausdurchsuchungen stellte die Polizei neben 14 Kilogramm Sprengstoff, darunter
1,7 Kilogramm TNT, noch Handgranaten, Messer und Pistolen sowie umfangreiches
Propagandamaterial sicher. Ebenfalls gefunden wurden Listen, auf denen
missliebige Journalisten und AntifaschistInnen vermerkt waren.
Die Neonazis sollen geplant haben, am 9. November, dem 65.
Jahrestag der Reichspogromnacht, einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung
des neuen jüdischen Kulturzentrums auf dem Münchner Jakobsplatz zu verüben. Nach
Informationen der Süddeutschen Zeitung war der Plan weit gediehen - die Gruppe
wollte durch die Kanalisation an den Ort des geplanten Attentats herankommen.
Als weitere Anschlagsziele hatten die Neonazis die Münchner Synagoge,
Asylbewerberheime, Mahnmale und eine griechische Schule in Betracht gezogen.
Auch der Spitzenkandidat der Bayern-SPD zur Landtagswahl, Franz Maget, stand auf
der Liste möglicher Attentatsziele. Im Visier: Jüdisches Kulturzentrum
Hausdurchsuchungen und Verhaftungen fanden in diesem
Zusammenhang nicht nur in München statt: Im brandenburgischen Menkin wurden zwei
Neonazis, darunter ein ehemaliges NPD-Mitglied, verhaftet. Die
Bundesanwaltschaft vermutet, dass sie den Münchner Neonazis Waffen und Teile des
Sprengstoffs besorgten. Im mecklenburgischen Güstrow und in Berlin wurden zwei
weitere Männer festgenommen. Bei der Hausdurchsuchung trug der Berliner einen
Ring mit einem SS-Totenkopf; in seinem Schrank wurde eine SS-Uniform gefunden.
Die 1,7 Kilogramm TNT besorgten sich die Neonazis laut Süddeutscher Zeitung in
Polen. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen "Bildung einer
terroristischen Vereinigung" übernommen.
Bereits im Februar hatte ein Deutsches Anti-Jüdisches
Kampfbündnis in München Briefe mit gelblichem Pulver verschickt und mit
Terroranschlägen auf jüdische Einrichtungen gedroht. Gefordert wurde die
sofortige Einstellung der Bauarbeiten am jüdischen Kulturzentrum am Jakobsplatz.
Auf die Spur der "Rechtsterroristen" kamen die ErmittlerInnen
wohl nur durch Zufall: Ein Neonazi-Aussteiger, der von seinen ehemaligen
Kameraden zusammengeschlagen wurde, brachte die ErmittlerInnen auf die Spur. Von
einem Zufallsfund will der bayrische Innenminister Günther Beckstein jedoch
nichts wissen. Er bezeichnet die Verhinderung des Sprengstoffanschlag als
"riesigen Erfolg" der Sicherheitsbehörden. "Versäumnisse" will er nicht
erkennen. Jedoch will er "nicht völlig ausschließen", dass man die Rolle der
Kameradschaft Süd und vor allem die des Martin Wiese unterschätzt oder falsch
bewertet habe. Im letzten bayrischen Verfassungsbericht heißt es, dass rechte
"terroristische Ansätze" in Bayern nicht zu erkennen wären.
Ebenfalls noch keine Erklärung hat Beckstein zu den Vorwürfen
einiger linker und antifaschistischer Münchner Gruppen parat. Diese werfen dem
Innenministerium und der Staatsanwaltschaft vor, gefährdete Personen nicht
gewarnt zu haben. So mussten u.a. das Münchner Friedensbüro und die PDS aus der
Boulevardzeitung tz erfahren, dass eine 17-jährige, ehemalige
Postbank-Auszubildende im Auftrag der Kameradschaft Süd ihre Konten ausforschte
und so an die Namen von Kontobevollmächtigten, Vereinsvorständen und
EinzahlerInnen gelangen konnte. Weder PDS noch Friedensbüro wurden über den Fund
ihrer Kontodaten bei den Neonazis informiert. Nazi-Zelle: Keine Unbekannten
Seit rund drei Jahren lebt der 27-jährige, in
Mecklenburg-Vorpommern geborene Martin Wiese in der bayrischen Landeshauptstadt.
Seine Geburtstagsfeier mit rund 60 Gästen im Januar 2001 in einer Münchner
Gaststätte war Ausgangspunkt für einen brutalen, rassistischen Überfall auf
einen Griechen. Dieser war zufällig an der Gaststätte, in der die Neonazis
feierten, vorbeigekommen und wurde von mehreren Neonazis beinahe totgetreten. Er
überlebte den Angriff wohl nur, weil ihm türkische Jugendliche zu Hilfe eilten.
In diesem Zusammenhang wurde auch gegen Wiese wegen versuchter Tötung ermittelt
- zu einer Gerichtsverhandlung kam es jedoch nie. Im August 2002 stand Wiese
gemeinsam mit Norman Bordin - dieser war bis zum Antritt einer Freiheitsstrafe
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung "Anführer" der Kameradschaft Süd
- vor einem Münchner Gericht. Wiese hatte im April 2001 einen Schwarzen mit
einem Faustschlag niedergestreckt.
Der Schlag wurde jedoch als "Notwehr" gewertet, eine
Verurteilung blieb aus. Im Jahre 2000 beteiligte sich Wiese an mehreren
Infoständen der NPD in der Münchener City. Im August nahm er mit anderen
Münchener Neonazis am so genannten Rudolf-Hess-Gedenkmarsch in Wunsiedel teil.
Im Oktober 2002 wurde Wiese als stellvertretender Versammlungsleiter einer
Demonstration gegen die Wehrmachtausstellung von Kreisverwaltungsreferat München
abgelehnt, da er einschlägig vorbelastet ist. Die Demonstration fand trotzdem
statt, und rund 500 Neonazis zogen durch die Landeshauptstadt. Im November,
jedoch konnte Wiese selbst einige Kundgebungen gegen die Ausstellung anmelden.
So etwa am 10. November als rund 50 "freie Kameraden" an einer Kundgebung am
Marienplatz teilnahmen. Am 30. November 2002 findet erneut eine von Wiese
angemeldete Demonstration gegen die Wehrmachtausstellung statt. Wegen dieser
Demonstration mussten sich zahlreiche AntifaschistInnen vor Gericht verantworten
und wurden zum Teil zu hohen Geldstrafen verurteilt.
Verbindungen hatte Wiese auch zu dem seit Anfang des Jahres
in München aktiven Verein Demokratie direkt. Dieser ist angetreten, um die
"Zerstrittenheit im Nationalen Lager" über Parteigrenzen hinweg durch "örtliche
Zellenbildung auszuhebeln". Im Verein finden sich sowohl der
Republikaner-Stadtrat Johann Weinfurtner als auch Anhänger der
Deutschlandbewegung um Alfred Mechtersheimer. Neonazis um Martin Wiese waren bei
deren Veranstaltungen für den Saalschutz zuständig. Nach Informationen der
Antifaschistischen Nachrichten soll der Sprecher des Vereins, Thomas S. Fischer,
Mitglied der CSU sein. Demokratie direkt greift neben "regionalen Themen" wie
dem "Bau einer Moschee oder eines Asylantenheims" auch überregionale Themen wie
die "Kriegspolitik an der Seite der USA" und die "Bevorzugung des Großkapitals"
auf. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Demokratie direkt einer
Großdemonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München im Jahre 2003
anschließen wollte - was jedoch an der Aufmerksamkeit von DemonstrantInnen
scheiterte. Aber auch "Anti-Antifa"-Arbeit wird von Demokratie direkt betrieben:
Mittels Foto und Kurzbiografie werden in der Vereinspublikation München direkt
unliebsame PolitikerInnen, JournalistInnen und AntifaschistInnen "vorgestellt".
Am 13. Februar sammelte Demokratie direkt anlässlich einer Gedenkveranstaltung
zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens Unterschriften für den Erhalt des
Altstadtbunkers unter dem Münchner St.-Jakobs-Platz. Der Erhalt des Bunkers wäre
gleichbedeutend mit der Verhinderung des neuen jüdischen Zentrums. Kein Aufstand
- Nur Wahlkampf
Enge Kontakte pflegt die Kameradschaft Süd - Aktionsbüro
Süddeutschland mit der vornehmlich im Raum Nürnberg aktiven Kameradschaft
Fränkische Aktionsfront (FAF). Die Zusammenarbeit dauert seit etwa eineinhalb
Jahren an. Dafür wurde die AG Bayern gegründet, ein bayernweites Netzwerk, dem
neben der Kameradschaft Süd und der FAF auch das Nationale Infotelefon Bayern
angehört. Als Vorbild für das Netzwerk steht die FAF selbst, in der mittlerweile
sechs regionale Kameradschaften in Mittel- und Oberfranken und mehrere
Einzelpersonen agieren. In der Praxis zeigt sich die Zusammenarbeit zwischen
Nürnberg und München u.a. in der gegenseitigen Unterstützung bei Aufmärschen und
Kundgebungen. So liefern Nürnberger Neonazis die Infrastruktur, im Ausgleich
nehmen Münchner Neonazis regelmäßig an Aufmärschen im Großraum Nürnberg teil.
Die Fränkische Aktionsfront zählt bundesweit zu den aktivsten
Kameradschaften. Einer der Führungskader der hierarchisch organisierten FAF ist
Matthias Fischer, ehemals Schlagzeuger der Blood & Honour-Band Hate Society.
Kopf der Band war der mittlerweile inhaftierte Bamberger Bernd Peruch, der über
gute Kontakte zur englischen Terror-Combo Combat 18 verfügt. Bei Fischer,
ehemals presserechtlich verantwortlich für das Neonazi-Fanzine Der Landser, fand
im Jahre 2002 eine Hausdurchsuchung statt, bei der 30.000 Plakate, Flugblätter
und Aufkleber anlässlich des "Rudolf-Hess-Gedenkmarsch", 500 Ausgaben des Der
Landser, Gaspistolen und Gotcha-Waffen sicher gestellt wurden. Inhaltlich wendet
sich die FAF mit Parolen wie "Den Zionismus gemeinsam bekämpfen" oder
"Solidarität mit der ETA" mehr und mehr vermeintlich linken Themenfeldern zu.
Optisch untermalt wird dies mit Palästinenserfahnen und -tüchern, die zum
Standardrepertoire ihrer Aufmärsche gehören. An anderer Stelle berichtet die FAF
hocherfreut über eine eingeworfene Fensterscheibe einer Nürnberger
Mc-Donalds-Filiale.
Daneben widmet sich die FAF sehr intensiv der
"Anti-Antifa"-Arbeit, worunter sie, so die Frauen in der FAF, die "aktive und
offensive Bekämpfung linkskrimineller Elemente" versteht. Dass dies nicht nur
leere Worte sind, zeigen Aktionen gegen linke und vermeintlich linke Personen
und Einrichtungen im Großraum Nürnberg in den vergangenen Jahren. In Nürnberg
wurde das Familienhaus zweier liberaler Lehrer und mehrfach ein linker Buchladen
attackiert. In Erlangen ein Büro, in dem sich auch die Redaktion der
alternativen Zeitung raumzeit befindet und die Studentische Mitverwaltung.
Zuletzt wurde in Herzogenaurach auf das Auto eines alternativen Jugendlichen ein
Brandanschlag verübt. Grundsätzlich jedoch will die Polizei keine Gefahr
erkennen. Im Juni 2003 erklärt ein Nürnberger Polizeisprecher gegenüber einer
Regionalzeitung: "Eine Zunahme des Gewaltpotenzials sei nicht erkennbar", es
lägen keine Erkenntnisse über eine "verstärkte Zusammenarbeit einzelner
Neonazi-Gruppierungen" in Mittelfranken vor.
Die Vernetzungsbestrebungen bayrischer Neonazis fallen auch
über die Landesgrenze hinweg auf fruchtbaren Boden. Auch die Mecklenburgische
Aktionsfront (MAF) und die Pommersche Aktionsfront (PAF) haben neben dem Namen
auch organisatorische Strukturen und sogar wörtlich das Konzept der FAF
übernommen. Diese Verbindung von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern bzw.
Nordbrandenburg lässt sich mit der Herkunft zweier bekannter Aktivisten
erklären: Der Neu-Nürnberger Matthias Fischer stammt aus Templin, der
Neu-Münchner Martin Wiese aus Anklan. Das bayerische Netzwerk pflegt auch
Kontakte nach Baden-Württemberg. So trat Wiese bei einer Demonstration gegen die
"Wehrmachtausstellung" in Schwäbisch Hall als Redner auf. Organisiert wurde die
Demonstration von der NPD/JN Baden-Württemberg - der Lautsprecherwagen wurde
durch Nürnberger "Kameraden" bereitgestellt.
Als die Nachricht über die geplanten Sprengstoffanschläge die
Öffentlichkeit erreichte, fanden keine Demonstrationen oder Kundgebungen statt,
die Solidarität mit den in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen ausdrückten.
Die berühmte Münchener Lichterkette wurde nicht entflammt. Statt dessen
lieferten sich Bayerns Innenminister Beckstein und Bundesinnenminister Schily
eine Wahlschlacht um eine mögliche Gefährdung des SPD-Spitzenkandidaten Maget
und darum, inwieweit man von einer "Braunen Armee Fraktion" sprechen könne. Die
potenziellen Opfer rückten dabei vollkommen in den Hintergrund.
Die Autoren sind Mitarbeiter des antifaschistisches
informations- und dokumentationsprojekt (adip) Nürnberg/Fürth.
Informationen, vor allem zur fränkischen Neonazi-Szene
liefert die im Sommer 2003 erschienene 100-seitige Broschüre "Spezialitäten aus
Mittelfranken". Zu bestellen für vier Euro incl. Porto bei: adip,
Königswarterstr. 16, 90762 Fürth. Weitere Informationen sind zu finden bei der
Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V.
(A.I.D.A)