Erlangen ist ein Provinzstädtchen in Franken, und es hat
einen handfesten Theaterskandal. Am 23. Oktober sollte die Neuinszenierung des
Theaterstücks »Die Wölfe« des nationalsozialistischen Dichters Hans Rehberg
(1901–1963) im Stadttheater Premiere haben. Denn »Rehbergs ambivalente Haltung
zur Diktatur verstellt den Zugang auf ein komplexes und widersprüchliches
Gesamtwerk«, heißt es in der Ankündigung des Theaters.
Hans Rehberg, bereits seit 1930 Mitglied der NSDAP, stieg
zusammen mit der Partei auf. Seine historischen Preußen-Dramen wurden an den
führenden Theatern des Reiches gegeben und teilweise unter der Intendanz von
Gustaf Gründgens inszeniert. Rehberg fabrizierte eine Hymne zum 50. Geburtstag
von Adolf Hitler im Jahr 1939 und ein gegen England gerichtetes antisemitisches
Hörspiel, in dem die Juden die Weltmachtpolitik Großbritanniens finanzieren.
Die Theaterzeitschrift Die Bühne bezeugte 1936: »Hans Rehberg
gehört zu den jungen nationalsozialistischen Dichtern, die wirklich aus der
Bewegung heraus gekommen sind, die sich für diese Bewegung mit Leib und Seele
eingesetzt haben und daher allein aus dem Geiste solcher Kampferlebnisse heraus
zu schreiben vermögen.« Für sein Drama »Die Wölfe« ging er 1942/43 sogar an Bord
des deutschen U-Boots U 106 auf »Feindfahrt«. So viel sei zu seiner heute
diagnostizierten »ambivalenten Haltung« gesagt.
Die Grüne Liste machte im Erlanger Stadtrat das Vorhaben der
Wiederaufführung publik und ließ der überregionalen Presse Informationen zu
Leben und Werk Rehbergs während der Zeit des Nationalsozialismus zukommen. Aber
erst als der Hamburger Schriftsteller Ralph Giordano öffentlich protestierte,
wurde die Premiere auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Kulturausschuss des
Erlanger Stadtrates fordert jetzt »kritische Begleitveranstaltungen«, wenn es
denn zur Aufführung kommt.
Die Ur- und bisher einzige Aufführung der »Wölfe« fand 1944
in Breslau statt, unter der Regie des 1998 hoch geehrt verstorbenen Bernhard
Minetti. Das Stück spielt auf einem schlesischen Gut unter dem Eindruck des
Zweiten Weltkrieges. Drei Frauen plaudern mit ihren (Ehe-) Männern, allesamt
Angehörige der U-Boot-Flotte, allerlei Schwachsinniges über Vaterland, Weltkrieg
und Heldentod. Der Kommandant der drei, Bobby, fasst seine Überzeugung in Worte
wie diese: »Es gibt wunderbare Frauen, die unbewusst das ganze Wunder des
Vaterlands ausstrahlen. Solche Frauen machen uns fest und hart und tapfer, wenn
wir sie lieben.« Da wird der Soldat zum Mann – und umgekehrt.
Dann stechen die Männer mit ihrem U-Boot »Sägefisch« in See.
Der zweite Akt spielt folglich an Bord des Schiffes, das nach langem Warten
einen angloamerikanischen Geleitzug angreift. Durch einen überraschenden Angriff
von Tieffliegern sterben zwei von ihnen. Aber es gelingt, feindliche Tanker zu
versenken, die brennend untergehen und »ein grandioses Bild« ergeben.
Im Schlussakt kehrt der überlebende Kapitänsleutnant Heiko zu
den Frauen zurück. Die Zurückgebliebenen versuchen, ihre Trauer und ihre
Verluste zu bewältigen. Der gefallene Robert erscheint seiner trauernden Maria
und bläut ihr die Liebe zum Vaterland ein. »Dass Freiheit köstlicher ist als
Knechtschaft oder sogar der Tod eines Volkes«, soll die Lehre des Stückes sein.
Der Völkische Beobachter, die Tageszeitung der NSDAP,
konstatierte in einem »Sonderbericht« zur Uraufführung, Rehberg gebe »der Front
ein Echo in den Herzen der Heimat«. Ausdrücklich gelobt wurde die überzeugende
Darstellung des U-Boot-Kampfes, bei der die Schauspieler »die wölfische
Witterung des Gegners« aufgenommen hätten.
Dabei ist das Stück ästhetisch genauso indiskutabel wie
politisch. Die Dialoge der handelnden Figuren sind an Banalität kaum zu
überbieten, Handlung und Thematik sind wirr zusammengeklatscht, kurzum: Es
handelt sich um ein Paradebeispiel nationalsozialistischer Bühnenkunst.
Dass das Erlanger Theater diesem ausgemachten Quark etwas
abgewinnen kann und die Neuinszenierung wagt, ist mehr als bedenklich.
Übertroffen wird seine Entscheidung lediglich von den Stimmen der Fürsprecher
einer Aufführung. So urteilte der ehemalige Direktor des Frankfurter
Schauspiels, Günther Rühle, der Mitte der achtziger Jahre Rainer Werner
Fassbinders antisemitisches Stück »Der Müll, die Stadt und der Tod« inszenieren
wollte (Jungle World, 37/98), in der Zeitschrift Theater heute bereits 1998:
»Wir lesen Rehbergs Dialoge heute eher mit Verstörung, spüren in ihnen die
Metamorphose des propagierten Heroismus in die Totenklage, sehen in den ›Wölfen‹
mehr ein Frauen-, ein Witwen- als ein Männerstück und den ersten Zipfel von
Deutschlands Leichentuch in der dramatischen Literatur. Als wärs ein Nachklang
aus den Trojanerinnen, die auch vor 2 000 Jahren mit ihren Männern ihr Vaterland
verloren.«
Die Deutschen sollen also wieder um ihre Großväter trauern
dürfen. Ganz ähnlich sieht das die Intendantin des Erlanger Theaters, Sabine
Dhein. Den Erlanger Nachrichten sagte sie: »Gerade die Generation der um die
30jährigen sucht nach der ihr gemäßen Form der Auseinandersetzung mit den
deutschen Geschichtstraumata.«
Der deutsche Opfergang, ein Opus in mehreren Teilen: Angelegt
schon in Hans Rehbergs »Wölfen«, folgte nach dem Krieg Wolfgang Borcherts
weinerliches und im Nachkriegsdeutschland umso erfolgreicheres Heimkehrerdrama
»Draußen vor der Tür«. Der Nobelpreisträger Günter Grass setzte die Reihe in
seiner jüngst erschienenen Flüchtlingsnovelle »Im Krebsgang« fort.
In allen diesen Werken sind die Deutschen vor allem heillos
verstörte Opfer, sie leiden und sinnen über ihr furchtbares Schicksal. Die
alliierten Armeen versenken ihre U-Boote mitsamt der feschen Matrosen, um danach
auch noch die Flüchtlingsschiffe, wie etwa Grass’ »Wilhelm Gustloff«, zu
torpedieren. Eine Aufführung von Rehbergs Stück in der fränkischen Provinz wäre
somit ganz auf der Höhe der Zeit. Es scheint, als hätte man auch dort »wölfische
Witterung« aufgenommen.