Dresden:
Mund zu am Totalitarismusinstitut
Nach seinem Auftritt bei Scientology: Direktor des
Hannah-Arendt-Instituts in Dresden verpflichtet sich zur Zurückhaltung. Ein Buch
über die Sekte will er trotzdem publizieren...
Michael Bartsch
Professor Gerhard Besier, Direktor des Dresdner
Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismusforschung (HAIT), will künftig vor
keinem Forum mehr auftreten, "das in der öffentlichen Meinung Deutschlands - aus
welchen Gründen auch immer - als anstößig oder irgendwie anrüchig gilt". So
steht es in seiner Stellungnahme für das Kuratorium des HAIT. Besier sollte sich
dort am Mittwoch für seine Ansprache auf einer Scientology-Veranstaltung in
Brüssel Ende September verantworten. Er hatte die Pseudokirche dort als
Vorkämpfer für religiösen Pluralismus gewürdigt und die Definitionsfrage von
Kirchen aufgeworfen. Er freue sich, "dieses Problem aus der Perspektive der
Scientology-Religion zu studieren".
Besier bestritt auch gestern dieses Übersetzungprotokoll
seiner englisch und frei gehaltenen Ansprache. Er wies auch jede innere
Affinität zu den kleineren Religionsgemeinschaften zurück, mit denen er sich
wissenschaftlich befasst habe. Gleichwohl ist ihm vom besorgten Kuratorium noch
einmal deutlich gemacht worden, unter welch besonderer Beobachtung das HAIT
steht. Die Kontroversen um die Bewertung des Elser-Attentats auf Hitler 1939 und
der staatliche Durchgriff hatten vor drei Jahren den Ruf des seit seiner
Gründung umstrittenen Instituts schwer geschädigt. "Eine erneute Entlassung und
Ausschreibung des Direktorenpostens wäre das Ende des Hannah-Arendt-Instituts",
gibt das Kuratoriumsmitglied Wolfgang Marcus (SPD) eine weit verbreitete
Auffassung wieder.
An der Person Besiers muss also unter teilweisen
Maulkorbauflagen festgehalten werden. Er solle bei allen öffentlichen Äußerungen
seiner Verantwortung für das Renommee des HAIT gerecht werden, verlangt das
Kuratorium. Die sächsische CDU befindet sich dabei in einem Dilemma. Bei der
Suche nach einem neuen Direktor Anfang 2003 galt Besier als Favorit der Union.
Man habe aber keine Ahnung gehabt, dass er von Scientology, den Zeugen Jehovas
oder der Vereinigungskirche (Moon-Sekte) gern als Kronzeuge ihrer
Diskriminierung zitiert werde, versichert Martin Jehne als Vorsitzender der
Berufungskommission. Auch Uwe Grüning (CDU), Chef des Kuratoriums, fiel nach der
Brüsseler Affäre aus allen Wolken. Anschließend erfolgten gerade aus
Unionskreisen, die sich vor allem den beiden Großkirchen verpflichtet fühlen,
die schärfsten Reaktionen.
Die PDS hingegen, die im September noch Besiers Rücktritt
verlangt hatte, entdeckt die Religionsfreiheit wieder und will "Political
Correctness" nicht von der CDU bestimmen lassen. Der nächste Krach ist schon
programmiert. Besier will trotz der auferlegten Zurückhaltung den im Frühjahr
fertig gestellten theoretischen Teil eines Buchs über Scientology in Deutschland
erscheinen lassen. Es wäre "feige, dies jetzt nicht zu tun", sagte Besier,
nachdem die Süddeutsche Zeitung sein bevorstehendes Werk publik gemacht hatte.
Für seine Arbeit durfte der HAIT-Direktor sogar die geheimnisvolle Datei der
11.000 Mitglieder einsehen.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 24.10.2003
taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns,
wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ
100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
kt /
hagalil.com
/ 2003-10-30
|