Am 9. September hebt die Polizei bei Münchner Neonazis ein
Waffenlager aus, in dem sich unter anderem 1,7 Kilogramm TNT befinden. In der
Folge werden Mitglieder »einer terroristischen Zelle« verhaftet, die zum größten
Teil der örtlichen Kameradschaft Süd1 angehören sollen. Schlagartig sind
Aktivitäten von Neonazis wieder ein »hartes Thema« in den Medien.
Von Anfang an wird der Fall außergewöhnlich hoch gehängt.
Eine »Braune Armee Fraktion« sei am Werk, so Bayerns Innenminister Günther
Beckstein (CSU), es habe sich ein »harter terroristischer Kern« unter den
deutschen Rechtsextremisten gebildet. Dieser Einschätzung folgt auch
Generalbundesanwalt Kay Nehm und ermittelt nun wegen »Bildung einer
terroristischen Vereinigung«. Die Liste der angeblichen Anschlagsziele wird
dabei von Tag zu Tag länger: Die geplante Bombe sei für die Grundsteinlegung
eines jüdischen Gemeindezentrums am 9. November vorgesehen gewesen, moslemische
und jüdische Gotteshäuser seien ebenso wie spanische und griechische
Einrichtungen im Visier. Was die Gruppe tatsächlich vorhatte, ist jedoch bisher
ungeklärt.
Wahlkampf auf bayerisch oder
die Normalität des Terrors
Wie im Fall des gescheiterten NPD-Verbotes ist es erneut
Beckstein, der die Diskussion um innenpolitische Konsequenzen vorwärts treibt.
Dabei nutzt er den Fall zum einen, um die Härte der blau-weißen Innenpolitik im
laufenden Wahlkampf zu demonstrieren. Zum anderen verknüpft der maßgebliche
Stratege für konservative Sicherheitspolitik die aufgeflogenen
Anschlagsvorbereitungen direkt mit Gesetzesänderungen, die schon länger auf der
Wunschliste der Hardliner stehen, wie z.B. mit der von ihm schon lange
geforderten Verschärfung des Versammlungsrechtes. Eine Kausalkette, deren
Herleitung selbst Vertretern seiner eigenen Behörde sichtlich schwer fällt und
die trotz der parteiübergreifenden Empörung über die Rechtsterroristen noch
keine Mehrheit zu finden scheint.
Mehr als zwei Wochen ist das »Problem Rechtsextremismus«
wieder ein Topthema. Im Unterschied zum Sommer 2000 funktioniert es momentan
aber nur in der Verbindung mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Die Kehrseite
dieses Alarmgeschreis ist klar: Der alltägliche Terror durch Neonazis wird
ausgeblendet. Die bundesdeutsche Gesellschaft hat sich so weit an Gewalttaten
gegen ihre Minderheiten gewöhnt, dass die durchschnittlich anderthalb Taten pro
Tag beispielsweise im Monat Juli 2003 den Medien nicht einmal eine Randnotiz
wert waren. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, was die Taten der
Neonazis schon heute für ihre Opfer bedeuten: Ausgrenzung, Demütigung und
Verfolgung bis hin zu Verletzung und Tötung. Law-and-order-Strategen wie
Beckstein stürzen sich auf die wohl eher durchschnittlichen Aktivitäten der
Kameradschaft Süd, ohne zu verstehen, wie verbreitet der Terror von rechts seit
Jahren tatsächlich ist: Jede NS-Kameradschaft ist schon jetzt eine
»terroristische Zelle«.
Terror als Teil der Bewegung
Es ist ein banaler Hinweis, dass sich bei organisierten
Neonazis Waffen finden lassen. Weder die Tatsache an sich noch die Menge von
München lässt auf eine »neue Qualität« schließen. So wurden bei den Ermittlungen
zur Kameradschaft Süd bei fast jeder Hausdurchsuchung Waffen gefunden, auch bei
Personen, die eigentlich als Zeugen im Verfahren galten. So weit, so normal für
eine Naziszene, die sich in den letzten Jahren vom Aufstand der Anständigen
nicht nachhaltig hat beeindrukken lassen. Sie bastelt nach wie vor fleißig an
ihrem Netzwerk aus Kameradschaften und Parteien, Aktionsbüros, Zeitschriften und
Versänden.
Dieses Netzwerk versteht sich als revolutionäre Vorhut.
Selbst die gewöhnlichsten Kameradschaften – und damit Teile der NPD – haben den
Schritt von einer militanten Gegnerschaft zum System hin zu Gewalttaten mit
terroristischen Zügen innerlich schon vollzogen. Sie lieben den Fanatismus, die
Aufforderung, den Kampf bis zum Letzten zu führen, und verherrlichen den
»Politischen Soldaten«, der zu jedem Opfer bereit ist. Und sie verfügen über
Kontakte in ein Milieu, das ihnen den Zugriff auf Waffen ermöglicht.2 Die
notwendige Ausbildung wird bei der Bundeswehr, in Schützenvereinen oder eigenen
Wehrsportübungen organisiert.
In dieser Situation – eingebunden in ein Netzwerk mit
bundesweiten, teilweise internationalen Kontakten – wird nicht lange an
Untergrundstrukturen gebastelt. Allein der Zeitpunkt, an dem der bewaffnete
Kampf beginnen soll, wird diskutiert. Schon der Fall Kay Diesner3 hatte gezeigt,
dass die Entscheidung zur terroristischen Tat von der Stimmung eines Einzelnen
abhängen kann. Diesner hatte aufgrund seiner jahrelangen Aktivitäten in der
Naziszene sowohl alle Fähigkeiten zur Aktion, als auch die Möglichkeiten, sie
durchzuführen.
Aus diesem ideologischen und organisatorischen Feld der
NS-Kameradschaften wird seit Jahr und Tag der Terror vorgedacht, geplant und
ausgeführt. Die technischen Fähigkeiten vieler terroristisch ambitionierter
Kameraden bleiben dabei zwar oft gering. Dies macht sie angesichts der
Entschlossenheit der Protagonisten aber nicht unbedingt weniger gefährlich.
Profis bleiben im Dunkeln
Sollten die Planungen der Münchener Gruppe – und vor allem
das Verhalten einiger Einzelpersonen – tatsächlich dem entsprechen, was die
Medien berichten, weisen sie ein abenteuerliches Maß an Dilettantismus auf. Dem
stehen weitaus erfolgreichere von Neonazis begangene Anschläge aus den
vergangenen Jahren gegenüber, die dem öffentlichen Bewusstsein schon lange
entfallen sind: zwei vollendete Sprengstoffanschläge auf das Grab von Heinz
Galinski in Berlin, ein weiterer auf die Wehrmachts-Ausstellung in Saarbrücken
oder die über ein Dutzend Taten der Gruppe Nationale Bewegung in Brandenburg.
Diese und andere Fälle eines bundesdeutschen Nazi-Terrorismus sind bisher
ungeklärt.4
Fazit
In den vergangenen Jahren hat eine schleichende Gewöhnung an
den Terror gegen Minderheiten stattgefunden. Ein Terror, der ideologisch
motiviert ist und alles ins Visier nimmt, was als »undeutsch« konstruiert werden
kann. Sein erklärter Todfeind ist das Judentum und alles, was es repräsentiert.
Die Münchener Kameradschaft ist nicht der organisatorische »Kern« des
Rechtsterrorismus und der Hauptverdächtige Martin Wiese nicht die »Spinne« im
Netz. Von seinem Kaliber gibt es Dutzende und es gibt offensichtlich noch
größere. Das Erschreckende steckt in der Selbstverständlichkeit, aus der heraus
die NS-Kameradschaften ihre Taten begehen: »Antifas, Drogendealer, ausländische
Zuhälter und Kriminelle (...) werden oder sollten von nun an ins Visier genommen
werden«, schreiben deutsche Neonazis. Und mit dem sicheren Instinkt für den
rassistischen Stammtisch heißt es: »Der Vorteil wäre auch, das niemand darum
heulen würde wenn es ab und an mal einen Zuhälterkanacken oder Dealer treffen
würde.«5
Es ist nicht verwunderlich, dass Politiker wie Günther
Beckstein sich die Aufdeckung der Münchener Anschlagsvorbereitungen zu Nutze
machen, um ihre eigenen Vorstellungen vom »Kampf gegen den Terrorismus«
umzusetzen. Neue Gesetzesinitiativen zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit
werden folgen. Ihre Umsetzung wäre genauso fatal, wie es die momentane
öffentliche Diskussion um den »Rechtsterrorismus« schon ist.
-
Die Kameradschaft Süd ist auch unter den Namen Freie Kräfte
München und Aktionsbüro Süddeutschland aufgetreten. Vgl. auch monitor Nr.11,
S.2.
-
Im Münchener Fall führt die Waffen-Connection nach
Ostvorpommern, Brandenburg und Berlin. Das TNT soll aus Polen stammen.
-
Kay Diesner hatte im Februar 1997 einen PDS-nahen
Buchhändler angeschossen. Auf seiner Flucht erschoss er einen Polizisten.
-
Vgl. auch die Meldung »Bombenbastler ohne Verfahren« in
dieser Ausgabe, S.5.
-
Alle Zitate: »Whatever it Takes«, in: Stormer Nr.1, ohne
Datum (2003). Schreibweise wie im Original.