»Wir grüßen die Friedensbewegung in den USA. Wir
demonstrieren nicht gegen die amerikanische Bevölkerung, sondern gegen die
Politik ihrer Regierung. Wir haben nichts gegen Amerika.« Dieser Textbaustein
tauchte im vergangenen Winter auf zahllosen Kundgebungen und Flugblättern gegen
den bevorstehenden Irakkrieg auf. Linker Antiamerikanismus? So ein Blödsinn.
Doch dann wurde ausgepackt. Mutig (»man wird ja wohl noch
sagen dürfen …«) verkündeten Demo-Redner unterdrückte Wahrheiten, die
mittlerweile auf jedem zweiten Spiegel-Cover zu betrachten sind. Die
»Bush-Krieger«, die Cowboys und Kreuzritter sind wieder los. Die Politik in den
USA wird sowohl von Ölkonzernen als auch von religiösen Fanatikern bestimmt. Die
US-Administration handelt unilateralistisch, aber die Schröder-Regierung stärkt
das Völkerrecht mit ihrer Ankündigung, sie werde sich nicht weiter um ein
etwaiges Mandat des UN-Sicherheitsrats scheren. Unter der Parole »Kauft nicht
vom Ami!« ruft ein linker Kleinverlag unter »www.usa-boykott.de« dazu auf, statt
bei Kentucky Fried Chicken lieber beim Wienerwald einzukehren.
Offensichtlich wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Während
des Kosovo-Krieges versammelten sich 1999 in Deutschland nur kleine Häufchen
linker Demonstranten, obwohl auch jener Krieg gegen das Völkerrecht verstieß und
obwohl auch damals leicht durchschaubar war, wie mit gefälschten Beweisen ein
Kriegsgrund konstruiert wurde. Dass vier Jahre später Hunderttausende
protestierten, legt den Verdacht nahe, dass es die meisten nicht in erster Linie
»gegen Krieg« sondern gegen den Krieg der Amerikaner auf die Straße trieb.
Nun ist unter Linken durchaus umstritten, ob der Begriff
»Antiamerikanismus« überhaupt etwas taugt. Damit soll doch nur die berechtigte
Kritik an den USA niedergebügelt werden, heißt es. Doch auch unter Linken
kursieren antiamerikanische Stereotype, und sie sind keine einzelnen
Ausrutscher, sondern durchaus linke Theoriedefizite.
Manche Klischees reichen bis in die Romantik zurück. Fast 200
Jahre lang wurden sie vor allem von der europäischen Rechten gepflegt, die in
den demokratischen Ansprüchen, in der egalitären »Vermassung« und in der
Populärkultur der USA eine Bedrohung für ihre eigene Herrschaft sah. Erst mit
dem Vietnamkrieg und der Revolte der sechziger Jahre hat auch eine linke,
antiimperialistische Version des Antiamerikanismus an Bedeutung gewonnen, nach
der die USA alle Übel des weltweiten Kapitalismus verkörpern. Dort schlug das
»Herz der Bestie« (Che Guevara), während sich die Neue Linke in revolutionärer
Unschuld auf die Seite des »Trikonts« mit seinen nationalen Befreiungsbewegungen
stellte. Ein schlichtes Gut-Böse-Schema, an dem sich übrigens auch viele
US-Linke orientieren.
Immerhin muss man aus deutscher Sicht den linken
antiamerikanischen Amerikanern eines zugute halten. Sie folgen der guten alten
Parole vom »Hauptfeind« im eigenen Land – oder auf Schwäbisch: vor der eigenen
Haustüre, vor der zuerst zu kehren ist. Diese Parole haben sich ihrerseits die
deutschen Antideutschen zu Eigen gemacht. Mit ihrer ätzenden Kritik an der
Linken haben sie zu einer selbstkritischen Diskussion über Antiamerikanismus
(ebenso wie über Antisemitismus und Antizionismus) beigetragen. Doch aus lauter
Verzweiflung über die eigene Gesellschaft werfen sich etwa die Leute um die
antideutsche Berliner Zeitschrift Bahamas nun einem neuen Vaterland an die
Brust: Mit US-Flaggen suchen sie deutsche Friedensdemonstranten zu provozieren
und feiern George Bush als »Man of Peace«.
Dabei machen die Antideutschen denselben Fehler wie die
Antiamerikaner (wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen). Beide messen die USA
mit einem besonderen Maßstab. Während Antiamerikaner die USA mit Kapitalismus
und mit Dekadenz identifizieren, preisen die Antideutschen Amerika als Inbegriff
der »westlichen Zivilisation«. So bejubeln sie die Bomben auf Kabul und Bagdad
und erhoffen sich davon die Voraussetzung für »Fanta statt Fatwa«, für Konsum
und Demokratie für alle. Am Ende laden »antideutsche Kommunisten« zur
freundschaftlichen Podiumsdiskussion mit einem Springer-Redakteur: eine neue
antilinke (statt antideutsche) Querfront entsteht. (Jungle World, 24/03)
Auch der linksliberale Historiker Dan Diner übernimmt in
seinem Standardwerk »Feindbild Amerika« (München 2002) viele antiamerikanische
Zuschreibungen – und verpasst ihnen nur das umgekehrte Vorzeichen. Hymnisch
besingt er die kapitalistische Führungsmacht als »Land der Zukunft«, als
»imperiale Republik, die allen sonstigen Gemeinwesen gegenüber spiegelbildlich
›verkehrt‹ konstituiert ist«, und in der »Attribute der Zugehörigkeit geradezu
irrelevant« sind.
Klar ist: Eine linke Kritik an der US-Außenpolitik und an den
gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA ist berechtigt und notwendig. Die
Frage ist nicht, ob Linke die militarisierte Außenpolitik, den Arbeitszwang für
Sozialhilfebezieher oder die Todesstrafe in den USA kritisieren sollen, sondern
wie. Begründete Kritik ist vom bloßen antiamerikanischen Ressentiment zu
trennen.
Antiamerikanismus ist nicht, wie seine Vertreter meinen, eine
besonders radikale Kritik. Vielmehr liefert er die Begleitmusik zum Aufstieg und
zur neoliberalen Zurichtung eines eigenen europäischen Machtblocks. Angesichts
der sich verschärfenden Konkurrenz zwischen den USA und dem »Alten Europa« führt
Antiamerikanismus direkt in die Arme der »eigenen« Herrschenden. Da haken sich
auch Rechtsradikale, die nicht gegen Herrschaft, sondern gegen Fremdherrschaft
protestieren, gerne unter. So marschiert die NPD heute mit der alten linken
Parole »USA – Internationale Völkermordzentrale« durch die Straßen.
In dieser Situation müssen Linke ihre alten Gewissheiten
hinterfragen: »Kann unsere Argumentation nicht auch antiamerikanisch verstanden
werden?« Dieser notwendigen Verunsicherung lässt sich nur mit einer geschärften
Analyse begegnen. Nur so lassen sich ungerechtfertigte Antiamerikanismusvorwürfe
zurückweisen. Und nur so können Linke auch handlungsfähig werden.